Süddeutsche Zeitung

Walhalla bei Regensburg:Der Himmel der Deutschen

Es wird eng in der Walhalla. In der Ruhmeshalle hoch über der Donau bei Regensburg stehen 130 Büsten von bedeutenden Männern und Frauen. Nur noch vier Plätze sind frei - CSU und SPD haben dafür sehr unterschiedliche Pläne.

Von Hans Kratzer

Früher hat der Mensch die Götter angebetet, heute huldigt er den Superstars. Wenn Überirdische wie Lionel Messi, Brad Pitt und Miley Cyrus mit ihren Talenten das Getriebe des Sports, des Massenkinos und der Musikindustrie schmieren, wirken sie wie lebende Gelddruckmaschinen. Und doch ist der Ruhm dieser Stars flüchtig, schon in 30 Jahren werden Messi & Co im Olymp der Superhelden wieder im Schatten stehen.

Wenn ihr Glanz verblasst ist, werden die Menschen aber immer noch zur Walhalla hinaufsteigen, um dort zum Beispiel auf einer Gedenktafel der Herzogstochter und Langobardenkönigin Theodolinde zu begegnen, einer Dame aus dem frühen Mittelalter, die beim Anblick einer Miley Cyrus vor Schreck vermutlich tot umfallen würde. Obwohl Theodolinde bereits seit 1400 Jahren tot ist, lebt ihr Mythos fort. Zumindest in der Walhalla, in der noch weitere 63 Tafeln und 130 Büsten die Erinnerung an große Deutsche aus der Vergangenheit wachhalten.

Ein Tempel von strahlendem Weiß

Der überragend in einen Hang bei Donaustauf eingebettete Säulentempel wurde auf Wunsch des bayerischen Königs Ludwig I. (1825-48) erbaut. Er ist wohl das bekannteste deutsche Nationaldenkmal. Ludwigs Motivation für dieses außergewöhnliche Projekt speiste sich aus der politischen Misere des frühen 19. Jahrhunderts. Ein Deutschland im heutigen Sinne gab es noch nicht, der Wunsch nach einer nationalen Identität aber war nach dem Joch Napoleons übermächtig. Also baute der Bayernkönig über der Donau einen Tempel von strahlendem Weiß, damit "alle Teutschen, welchen Stammes sie auch seyen, immer fühlen, daß sie ein gemeinsames Vaterland haben". Die Ruhmeshalle sollte bedeutende Persönlichkeiten "teutscher Zunge" sammeln, denn das einzige Verbindungsband der Deutschen war damals die gemeinsame Sprache.

Zusammen mit seinem Baumeister Leo von Klenze hatte Ludwig I. den Bräuberg oberhalb des Donautals ausgewählt. Der König hatte ein außergewöhnliches Gespür für Landschaft und Architektur, eine Gabe, die später auch seinen Enkel Ludwig II. ausgezeichnet hat. Nach der Eröffnung im Oktober 1842 füllte sich der Ruhmestempel nach und nach mit den Büsten großer Deutscher, sodass jetzt nur noch vier Plätze frei sind. Das ist nicht gerade üppig angesichts der vielen Genies, die es bislang nicht geschafft haben, einen Platz neben Friedrich Barbarossa und Albrecht Dürer, neben Goethe und Sophie Scholl zu ergattern. Ein Ausbau der Walhalla kommt aber nicht infrage: "Wir werden sie weder unterkellern oder draufbauen", heißt es im zuständigen Wissenschaftsministerium in München.

Die CSU sähe am liebsten ihren großen Sohn Franz Josef Strauß in der Walhalla. Die bayerische SPD aber hat soeben für die Aufnahme Wilhelm Hoegners, des Vaters der bayerischen Verfassung, plädiert. Hoegner sei die prägende Persönlichkeit Bayerns in der Nachkriegszeit gewesen, sagt SPD-Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher. Der Ministerrat, der über die Aufnahme in die Walhalla entscheidet, folgt hier aber ausnahmsweise nicht den Wünschen der Politik, sondern uneingeschränkt dem Urteil der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die alle Vorschläge prüft.

Zuletzt befürwortete die Akademie die Aufnahme der Büsten des Mathematikers Carl Friedrich Gauß (2007), der Ordensfrau Edith Stein (2009) und des Dichters Heinrich Heine (2010). Ausgerechnet Heine, wird sich so mancher gewundert haben. Denn der hatte nur Spott und Häme für die Walhalla übrig und wollte niemals in die "marmorne Schädelstätte" aufgenommen werden.

Die Frage, ob dieses Prozedere noch zeitgemäß ist, berührt auch den Wunsch, endlich einen Fußballer aufzunehmen. Die Kosten für die Büste, für die in der Regel die Vorschlagenden aufkommen müssen, wären bei hochdotierten Sportlern sicher kein Problem. Allerdings kommen Fußball-Kaiser wie Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus und selbst der 2003 gestorbene Löwen-Stürmer Rudi Brunnenmeier aus Satzungsgründen noch nicht infrage. Kandidaten für die Walhalla müssen mindestens 20 Jahre tot sein. Und sie sollten nicht so sehr im Sport, sondern eher in Politik, Sozialwesen, Wissenschaft oder Kunst Großes geleistet haben.

Ist die Walhalla ein Relikt?

Eine drängendere Frage ist, welche Relevanz ein Nationaldenkmal des 19. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert hat. Hakt man nach bei Sepp Dürr, dem kulturpolitischen Sprecher der Landtagsgrünen, braucht man auf eine schneidige Antwort nicht lange zu warten. "Relikte wie die Walhalla haben sich überlebt", pulvert Dürr. "Das sind Konzepte, die der Jugend von heute nichts mehr sagen." Statt in der Walhalla einen Heldenkult zu betreiben, sollte man lieber moderne Konzepte entwickeln, um zu vermitteln, "wie wir mit Helden und Vorbildern künftig umgehen wollen".

Wie sehr die Menschen mittlerweile mit alten Denkmälern fremdeln, ist in München gut zu beobachten. Fragt man die Passanten, wer denn da alles in steinerner Form am Straßenrand steht, so herrscht meistens Schweigen. Kaum jemand kennt die alten Recken und ihre Heldentaten, was wiederum kein Wunder ist, da ja die Geschichte Bayerns in den Schulen so gut wie nicht mehr vermittelt wird. Und so schafft sich die junge Generation eben eine eigene Erinnerungskultur, indem sie etwa das Orlando-di-Lasso-Denkmal am Promenadeplatz in eine Michael-Jackson-Gedenkstätte umfunktioniert hat.

Eine solche Umwidmung ist in der Walhalla noch nicht denkbar. Faktisch hat der Freistaat Bayern den Bau 1918 mit dem Erbe der vom Thron gestürzten Wittelsbacher erworben. Damit trägt er auch die Baulast, die durchaus ins Gewicht fällt. Die letzte, 2013 abgeschlossene Sanierung, kostete immerhin 13,3 Millionen Euro. Rechtlich ist die Walhalla damit nicht deutsch, wie es Ludwig I. in seinem Testament bestimmt hatte, sondern bayerisch. Seitdem entscheiden die Bayern, wer ein herausragender Deutscher ist.

Walhalla und Parthenon

Die Walhalla in Donaustauf bei Regensburg ist ein herausragendes Zeugnis klassizistischer Architektur des 19. Jahrhunderts. Das Bauwerk gilt als eine der gelungensten Synthesen zwischen den traditionellen Gestaltungsformen der Antike und dem seinerzeitigen Stand der Bautechnik. Unter König Ludwig I. wurde die Walhalla von Hofbaumeister Leo von Klenze entworfen und von 1830 bis 1842 errichtet. Die Architektur ist nach dem Vorbild des Parthenon in Athen konzipiert. Der Name des Bauwerks wurde der germanischen Mythologie entlehnt und weist auf die Intention des Erbauers hin, nach dem Zerfall des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit der Walhalla eine Identität stiftende Einrichtung zu schaffen. Öffnungszeiten: Oktober: 9 bis 16.45 Uhr; November bis März: 10 bis 11.45 und 13 bis 15.45 Uhr. Führungen: Telefon 09403/ 9 55 29 29 und 0941/ 5 07 44 10. sz

"Ob die Walhalla noch zeitgemäß ist, diese Frage stellt sich gar nicht", sagt Ministerialdirigent Toni Schmid vom Wissenschaftsministerium. "Wir müssen sie als Ludwigs Vermächtnis respektieren und weiterführen." Trotzdem könnte man sich als Besucher durchaus vorstellen, ein paar Köpfe zu entsorgen und Platz zu schaffen für große Deutsche wie Hegel, Nietzsche und Bonhoeffer. Was haben Hugo de Groot, Maarten Tromp und Amalie Elisabeth von Hanau-Münzenberg, deren Namen die Zeit verschluckt hat, in der Walhalla zu suchen, wenn gleichzeitig der Physiker Joseph von Fraunhofer, einer der genialsten Köpfe, die Deutschland je hervorgebracht hat, draußen steht.

Ungeachtet dessen: "Ohne das Erbe Ludwigs I. wären wir arm dran", sagt Toni Schmid. Obwohl dieser König eigensinnig und stur war, hat er München und Bayern mit architektonischen Sensationen geprägt. Das Land zehrt von seinem Vermächtnis. 200 000 Besucher werden allein auf der Walhalla alljährlich gezählt, von einem solchen Zuspruch können die meisten Museen nur träumen. Der König baute auch deshalb, weil er glaubte, dass die Leute besser werden, wenn man sie mit Kunst konfrontiert. "Das ist doch ein sympathischer Zug", sagt Schmid.

Das Erlebnis der Baukunst

Wenn man das Phänomen Walhalla von dieser Warte aus betrachtet, dann ist weniger der Inhalt entscheidend als vielmehr das Erlebnis der Baukunst. Wer je auf der Walhalla stand und in die Weite des Donautals hinausblickte, wird diesen erhabenen Moment nicht vergessen. Die ästhetische Kraft dieses Ensembles hat der Maler William Turner schon 1842 in einem Meisterwerk (The Opening of the Walhalla) kongenial festgehalten.

Und vielleicht steckt sogar eine europäische Idee hinter der Walhalla. "Kaum ein Ort auf der Welt könnte weniger deutsch sein", schrieb der inzwischen verstorbene Kunsthistoriker Jörg Traeger in einem Aufsatz. Wie recht er hatte: Der Name der Walhalla ist nordisch, die Architektur griechisch-dorisch, die Idee entfernt französisch, die Büsten sind aus italienischem Marmor, und unter den Helden finden sich Schweizer und Holländer, Balten, Österreicher und Russen, einfach weil sie seinerzeit "teutscher Zunge" waren.

Wenn es einer verdient hat, in der Walhalla zu überdauern, dann ist es der Bauherr selber: Ludwig I. - seine Büste fehlt noch, aber immerhin ein Standbild hat er.

130 Deutsche

Derzeit werden in der Walhalla 130 herausragende Persönlichkeiten "teutscher Zunge" in Form von Marmorbüsten und weitere 64 Menschen durch Gedenktafeln geehrt. Für den Erbauer Ludwig I. wurde 1890 ein Standbild errichtet. Als jüngste "Walhall-Genossen" wurden nach Beschlüssen des Bayerischen Ministerrats die Widerstandskämpferin Sophie Scholl (2003), der Mathematiker und Astronom Carl Friedrich Gauß (2007), die Philosophin und Ordensschwester Edith Stein (2009) sowie der Dichter und Schriftsteller Heinrich Heine (2010) aufgenommen. Für die vier Ehrenplätze, die in der Walhalla noch frei sind, liegen zurzeit mehr als hundert Vorschläge vor.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2673871
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.10.2015/vewo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.