Wahlskandal in Niederbayern:Stimmvieh auf dem Spargelhof

Wahlskandal in Niederbayern: 465 von 482 Erntehelfern eines Spargelbetriebs haben ihre Stimme abgegeben, eine Wahlbeteiligung von 96,5 Prozent.

465 von 482 Erntehelfern eines Spargelbetriebs haben ihre Stimme abgegeben, eine Wahlbeteiligung von 96,5 Prozent.

Sechs Kandidaten rutschten bei der Kommunalwahl im niederbayerischen Geiselhöring plötzlich nach vorne, darunter die Großbäuerin eines Spargelhofs, deren Nachbar, ein Cousin und der Freund der Tochter. Dahinter steckt einer der größten Wahlfälschungsskandale, die Bayern je erlebt hat.

Von Wolfgang Wittl, Geiselhöring

Für einen Mann, der in diesem Jahr die bitterste Niederlage seines politischen Lebens erlitten hat, klingt Bernhard Krempl ziemlich fidel: Doch, ja, es gehe ihm gut, sagt der 62-Jährige. Seit gut zwei Monaten arbeitet er im Bezirksverband der Arbeiterwohlfahrt in Regensburg, entwickelt Konzepte in der Seniorenversorgung.

"Riesenspaß" mache ihm die Aufgabe, schwärmt Krempl, trotzdem würde er lieber heute als morgen in seinen alten Job zurückkehren: den des Bürgermeisters von Geiselhöring, den er im März unter fragwürdigen Umständen verloren hat. Nun sind seine Hoffnungen auf eine Rückkehr wieder beträchtlich gestiegen.

Am Donnerstag teilte das Landratsamt Straubing-Bogen mit, man beabsichtige, die Wahl zum Bürgermeister und des Stadtrats vom 16. März für ungültig zu erklären. Gleiches gelte für die Kreistagswahl, ergänzte die Regierung von Niederbayern. Sechs Monate stellten sich die 7000 Einwohner von Geiselhöring die Frage, ob es bei ihren Kommunalwahlen mit rechten Dingen zugegangen ist.

Sechsstellige Summe für die Nachwahlen

Sechs Monate, in denen das Misstrauen eher zu- als abgenommen hat. Wie ein Damoklesschwert schwebe die Wahl über der Stadt, sagte Bürgermeister Herbert Lichtinger, der selbst wissen wollte, ob er mit Recht im Geiselhöringer Rathaus sitzt. Die Antwort lautet wohl: nein. Es handelt sich um einen der größten Wahlfälschungsskandale, den der Freistaat jemals erlebt hat.

Eine sechsstellige Summe wird für die Nachwahlen anfallen, noch verheerender dürfte der politische Schaden sein: Sobald der Vorgang rechtsgültig ist, werden alle Amtsträger ihrer Posten enthoben - Bürgermeister, Stadträte, Kreisräte. Am Donnerstag wurden sie angeschrieben, bis zum 30. September können sie sich äußern. Danach bleiben ihnen vier Wochen für den Gang vor das Verwaltungsgericht. Bürgermeister Lichtinger hat bereits angekündigt, dass er die Entscheidung des Landratsamtes akzeptieren werde.

"Alle in Geiselhöring wollen Klarheit"

Bis zur Nachwahl wird Geiselhöring somit unter die Aufsicht der Kreisverwaltungsbehörde oder eines zu benennenden Vertreters gestellt. Der Landkreis wird alleine vom Landrat geführt, ohne Kreistag. Sollten die Wahlen nicht bis zum 16. März 2015 über die Bühne gehen, werden statt der Nach- sogar Neuwahlen fällig. Dann müssten alle Listen neu aufgestellt werden.

Eine Überraschung war die Entscheidung nach monatelangen Ermittlungen von LKA, Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft nicht mehr, selbst Lichtinger, der sich wie Krempl erneut zur Wahl stellen will, ist die Erleichterung anzumerken. Er sagt: "Alle in Geiselhöring wollen Klarheit, es ist Zeit, dass wir wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen." Dabei war Lichtinger zunächst ein Nutznießer der Ereignisse vom März, obwohl er mit der Sache nichts zu tun habe, wie er betont.

260 Stimmzettel nicht persönlich gekennzeichnet

Die Wahl war beinahe ausgezählt, Amtsinhaber Krempl (Freie Wähler) lag in Führung, ehe ein Briefwahlbezirk das Ergebnis auf den Kopf stellte. Sechs CSU-Bewerber wurden nach vorne gewählt: die Großbäuerin eines Spargel- und Beerenbetriebs, ihr Nachbar, ein Cousin der Familie, eine Mitarbeiterin, der Freund der Tochter - und Bürgermeisterkandidat Lichtinger.

Wie sich herausstellte, hatten 465 von 482 Erntehelfern des besagten landwirtschaftlichen Betriebs ihre Stimme abgegeben, eine Wahlbeteiligung von 96,5 Prozent. Die Anzeichen für Unregelmäßigkeiten, die bereits kurz nach der Wahl aufkeimten, haben sich jetzt bestätigt. Die Ermittlungen hätten ergeben, "dass es zu erheblichen Verstößen gegen wahlrechtliche Vorschriften gekommen ist", teilte das Landratsamt mit. Daher sei es vermutlich zu unrichtigen Ergebnissen gekommen, die nicht berichtigt werden könnten.

Beschäftigte seien als Stimmvieh missbraucht worden

Die Behörden gehen davon aus, dass mindestens 350 der abgegebenen Stimmzettel nicht hätten berücksichtigt werden dürfen - deutlich mehr als jene 303 Stimmen also, die Lichtinger vor Krempl lag. Einem Schriftgutachten des LKA zufolge waren 260 Stimmzettel der Kreistagswahl entgegen eidesstattlicher Versicherungen nicht persönlich gekennzeichnet. 85 Personen hätten an der Briefwahl teilgenommen, obwohl sie weder stimm- noch wahlberechtigt gewesen seien. Und weitere zehn Personen hätten gar nicht gewählt, obwohl für sie im Wahlscheinverzeichnis ein Abstimmungsvermerk enthalten ist.

Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht die Großbäuerin des Spargel- und Beerenbetriebs, die für die CSU auch in den Kreistag einzog. Gerüchte, abhängig Beschäftigte seien als Stimmvieh missbraucht worden, wies die Frau mit ihrem Ehemann stets zurück. Am Mittwoch beschlagnahmte die Polizei bei einer Razzia in den Wohn- und Geschäftsräumen des Ehepaars mehrere Unterlagen.

Wahlen von Geiselhöring sind zum Politikum geworden

Laut Staatsanwaltschaft besteht der Verdacht der Wahl- und Urkundenfälschung sowie der Verleitung zur falschen eidesstattlichen Versicherung. Die Bäuerin wollte sich am Donnerstag nicht äußern. Über eine Mitarbeiterin ließ sie ausrichten, es werde demnächst eine Presseerklärung dazu geben.

Die Wahlen von Geiselhöring sind landesweit längst zum Politikum geworden. Bürger forderten das Innenministerium in einer Postkartenaktion zum Handeln auf, Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger kritisierte Zustände wie in einer Bananenrepublik. Innenminister Joachim Herrmann verteidigte das Vorgehen, das eine besondere Sorgfalt erfordere. Für die Straubinger CSU bedeutet die jetzige Entscheidung mehr als nur einen Imageschaden: Weil der damalige Stimmenkönig Josef Laumer inzwischen Landrat ist, wird er bei der Kreistagswahl nicht mehr antreten dürfen.

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