Wahlskandal auf Spargelhof in Niederbayern:Bedroht und eingeschüchtert

Spargelernte in Durmersheim

Erntehelfer im Dienste der CSU? Auf einem Spargelhof in Geiselhöring soll es bei der Kommunalwahl nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.

(Foto: dpa)

Der Wahlfälschungsskandal in Geiselhöring wird immer bizarrer: Erntehelfer stimmen für ihre Chefin, die so für die CSU in den Kreistag einzieht. Und jetzt werden auch noch schwere Vorwürfe gegen die ermittelnden Beamten bekannt.

Von Wolfgang Wittl, Geiselhöring

Josef Rothammer gehört keiner Partei an, für ein politisches Amt hat er sich nie beworben. Schon gar nicht hat er ein solches ausgeübt. So betrachtet ist er im Moment der ideale Bürgermeister für Geiselhöring. Seit gut 40 Jahren versieht Rothammer, 61, seinen Dienst als unbescholtener Beamter, im Landratsamt Straubing-Bogen leitet er das Sachgebiet für kommunale Angelegenheiten. Gesucht war eine Person, welche die niederbayerische Kleinstadt nach Monaten von Misstrauen und Verdächtigungen unaufgeregt zur nächsten Wahl führen soll. Einer wie der Regierungsrat Rothammer, der mit der Neutralität eines Staatsbeauftragten nun das Tagesgeschäft im Rathaus abwickelt.

Vor einer Woche hat das Landratsamt die Stadtrats- und Bürgermeisterwahlen in Geiselhöring wegen "Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften" offiziell für ungültig erklärt. Der Kreistag von Straubing-Bogen wurde laut Bescheid der Regierung von Niederbayern ebenfalls aufgelöst. Sollte gegen die Beschlüsse keine Klage eingehen, werden die Wahlen wiederholt - vermutlich Anfang nächsten Jahres. Dann soll berichtigt werden, was zuletzt so gründlich misslang: Geiselhöring und der Kreis sollen gewählte Vertreter bekommen, die über jeden Verdacht erhaben sind.

465 Erntehelfer setzten das Kreuz bei ihrer Chefin

Dass es bei den Wahlen am 16. März nicht mit rechten Dingen zuging, daran lassen die Bescheide der Behörden keinen Zweifel mehr. 499 überwiegend rumänische Erntehelfer waren in Geiselhöring mit Hauptwohnsitz gemeldet. 465 beteiligten sich an der Wahl, 460 per Briefwahl. Wohl alle waren über Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) beim Spargel- und Beerenbetrieb Baumann beschäftigt. Wohl alle gaben ihre Stimmen für ihre Chefin Rosemarie Baumann sowie fünf weitere Stadtratskandidaten auf der CSU-Liste ab. CSU-Mann Herbert Lichtinger setzte sich am Ende mit 303 Stimmen Vorsprung gegen Bürgermeister Bernhard Krempl (Freie Wähler) durch. Sowohl Baumann, die wegen Verdachts der Wahlfälschung im Fokus staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen steht, als auch Lichtinger bestreiten, sie hätten mit der Sache etwas zu tun.

Namen von möglichen Tätern werden in den Prüfberichten nicht genannt, wer jedoch Einblick in die Ermittlungsunterlagen hatte, berichtet von offenbar lange geplanten kriminellen Machenschaften. Demnach wurden die rumänischen Erntehelfer teils kurzfristig bei der Stadt Geiselhöring angemeldet. Nach Zustellung der Wahlbenachrichtigungen wurden die Briefwahlunterlagen aus dem Internet heruntergeladen - und offenbar per Kurier nach Rumänien gebracht. Von den Erntehelfern unterschrieben, wurden die Zettel wieder nach Geiselhöring zurückgefahren - wo sie dann erst ausgefüllt worden sein sollen.

Einige Rumänen gaben bei der ermittelnden Kriminalpolizei Passau an, sie hätten zwar etwas unterschrieben, aber keine Kreuzchen gemacht. Blankostimmzettel und Wahlschein seien von einem Busfahrer wieder nach Deutschland gebracht worden. Ein Schriftgutachten des Landeskriminalamts ergab, dass die Eintragungen in zunächst 272 untersuchten Kreistagsstimmzetteln zu 99,99 Prozent nicht von jeweils verschiedenen, unabhängig voneinander handelnden Wählern ausgefüllt worden seien. Vieles spreche dafür, dass die Zettel nur von zwei oder drei, maximal fünf Personen ausgefüllt worden seien.

Die Adresse der Wähler: ein leer stehendes Haus

Erstaunliche Erkenntnisse lieferte auch die Überprüfung der Geiselhöringer Adressen. So seien 23 osteuropäische Erntehelfer in einem Haus von 123 Quadratmeter Wohnfläche gemeldet gewesen. Ein Zeuge gab an, dass das bis dahin leer stehende Gebäude erst von März an wieder bewohnt worden sei - keinesfalls aber von 23 Personen. Unter einer anderen Anschrift wurden gar Briefwahlunterlagen für 45 Erntehelfer beantragt. Laut Eigentümerin war jenes Haus allerdings bereits seit Monaten unbewohnt, unter anderem mangels einer funktionierenden Heizung. Einige Erntehelfer wiederum erklärten, sie hätten in Schafhöfen gewohnt. Dieser Ort jedoch gehört zum Landkreis Regensburg. Selbst wenn die Arbeiter anwesend waren, hätten sie also nicht an den Wahlen in Straubing-Bogen teilnehmen dürfen.

Unabhängig davon bestehen erhebliche Zweifel, ob die Erntehelfer ihren Lebensmittelpunkt tatsächlich in Geiselhöring hatten. Kritik an der Verwaltung, sie habe die Wahlunterlagen fahrlässig bereitgestellt, weist ihr derzeitiger Chef Rothammer zurück. Bei gut 2000 Briefwählern sei nicht jeder einzelne Antrag zu prüfen. Zudem sei es bisher völlig unüblich gewesen, dass Saisonarbeiter wählten - erst recht in dem Ausmaß.

Warum kannten die Rumänen die Listen so gut?

Nutznießer der mindestens 350 manipulierten Stimmzettel war ausnahmslos die CSU. Sie erzielte im Kreistag etwa zusätzliche 21 000 Stimmen - und damit vermutlich einen Sitz mehr als ihr zusteht. Bereits bei gut 2200 Stimmen weniger hätte sie diesen Sitz der ÖDP überlassen müssen. Auffällig auch: Einige CSU-Bewerber wurden gezielt nach vorne gehäufelt, was für eine erstaunlich gute Listenkenntnis der rumänischen Wähler spricht. Die meisten Erkenntnisse der Verwaltungsbehörden resultieren aus Ermittlungsergebnissen der Kriminalpolizei Passau.

An deren Methoden entzünden sich jedoch massive Vorwürfe. Laut Berichten der osteuropäischen Erntehelfer, die dem Anwalt von Rosemarie Baumann vorliegen, sollen die Polizisten bei ihren Ermittlungen rechtsstaatliche Prinzipien systematisch unterlaufen haben. Obwohl die Erntehelfer als Zeugen gehört werden sollten, seien sie bedroht und eingeschüchtert worden. Eine Zeugin sei gehindert worden, mit einem Anwalt Kontakt aufzunehmen. Einem anderen sei mitgeteilt worden, er würde im Knast landen, falls er nicht aussage. Oder sie seien der Lüge bezichtigt und ihre Wohnungen ohne Durchsuchungsbeschluss betreten worden. Wie Baumanns Rechtsanwalt Helmut Mörtl bestätigt, habe er daher beantragt, die Kripo Passau von den Aufgaben zu entbinden.

Die Spargelbäuerin wehrt sich gegen die Vorwürfe

Die Staatsanwaltschaft Regensburg als Herrin des Verfahrens lehnt dies ab. Man sei fachlich weisungsbefugt, könne der Polizei aber nicht vorschreiben, welche Beamte sie einsetze, sagte ein Sprecher. Man gehe den Vorwürfen in einer Dienstaufsichtsbeschwerde nach. Anwalt Mörtl indes kündigt an, sämtlichen bisherigen Ermittlungen zu widersprechen, sollte für seine Mandantin ein Aktenzeichen angelegt werden. Rosemarie Baumanns Ansehen habe bereits erheblich Schaden genommen, etwa durch eine Razzia auf ihrem Anwesen, ohne dass es konkrete Hinweise auf ein rechtswidriges Verhalten gebe.

Geiselhörings Interims-Bürgermeister Josef Rothammer hat andere Themen. Er zeichnet aktuelle Vorgänge ab, kümmert sich um Bausachen, hält die Verwaltung am Laufen. Seine wichtigste Aufgabe will er umgehend in Angriff nehmen: die nächste Wahl so vorzubereiten, dass niemand mehr darüber reden muss.

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