Freie Wähler:Aiwangers Traum von Berlin könnte am Wahlrecht scheitern

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Hubert Aiwanger (FW) will nach Berlin, Markus Söder (CSU) behauptet, es persönlich nicht zu wollen. Die CSU aber sollte schon im Bundestag bleiben. Dementsprechend gespannt blicken beide Parteichefs nach Karlsruhe. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Hubert Aiwanger möchte mit seiner Partei unbedingt in den Bundestag. Ein ehrgeiziger Plan. Die Wahlrechtsreform macht die Sache kniffliger. Wie die CSU schauen auch die Freien Wähler gespannt nach Karlsruhe. Dort urteilt das Bundesverfassungsgericht am Dienstag, ob die Reform zulässig ist.

Von Andreas Glas

Seit der Reform des Wahlrechts wurde ja viel geredet und geschrieben über die Sorge der CSU, aus dem Bundestag zu fliegen. Worüber eher wenige reden: Die Sorge der Freien Wähler, wegen des neuen Wahlrechts gar nicht erst reinzukommen. Der Einzug in den Bundestag ist ja Ziel ihres Parteichefs Hubert Aiwanger. Der bayerische Wirtschaftsminister möchte bei der Bundestagswahl im Herbst 2025 als FW-Spitzenkandidat antreten – und sein Büro danach am liebsten ins Berliner Wirtschaftsministerium verlegen. „Ganz ehrlich: Wenn ich das in Berlin tun dürfte, würde ich das gern tun“, sagte Aiwanger im Frühjahr.

Auf den ersten Blick ist das ein wenig realistisches Szenario, jedenfalls derzeit. Viele bundesweite Umfragen haben die FW zuletzt gar nicht mehr einzeln ausgewiesen, sondern unter die „sonstigen“ Parteien subsumiert, die jeweils bei unter zwei Prozent stehen. Doch es gibt ein zweites Szenario: den Einzug über die Direktmandate. Und darum geht es ja am Dienstag, wenn das Bundesverfassungsgericht entscheidet, ob die Reform des Wahlrechts zulässig ist.

„Unser Ehrgeiz ist schon, die fünf Prozent zu nehmen“, sagt Gabi Schmidt, Parteivizechefin im FW-Bundesvorstand. Über das Urteil in Karlsruhe sagt sie aber auch: „Natürlich schauen wir da interessiert hin.“ Unter anderem entscheidet das Gericht über die sogenannte Grundmandatsklausel. Die Klausel hatte den Parteien den Einzug in den Bundestag auch dann garantiert, wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, aber mindestens drei Direktmandate gewinnen. Doch mit der Reform fallen alle Direktmandate weg, falls eine Partei weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen holt.

„Wir sehen sehr kritisch, dass die Erststimme extrem abgewertet würde“, sagt Felix Locke, Mitglied im FW-Bundesvorstand. Die Lage seiner Partei würde „deutlich erschwert“. Ebenso wie die CSU, die 2021 bei der Bundestagswahl 5,2 Prozent erreichte, hoffen die FW jetzt auf das Verfassungsgericht.

„Unser Ehrgeiz ist schon, die fünf Prozent zu nehmen“, sagt Gabi Schmidt, Parteivizechefin im FW-Bundesvorstand. (Foto: IMAGO/B. Lindenthaler)

„Wir haben schon wirklich gute Leute“, sagt Parteivize Schmidt über die FW-Kandidaten in den Wahlkreisen. Die besten Chancen auf ein Direktmandat hat natürlich Parteichef Aiwanger, der im Wahlkreis Landshut zuhause ist. Schon bei der Landtagswahl 2023 holte er sich das Direktmandat, mit 37,2 Prozent der Stimmen. Ein zweites Mandat konnte Roland Weigert in Neuburg-Schrobenhausen sichern (31,6 Prozent). Er wäre ein „Wunschkandidat“ für die Direktkandidatur bei der Bundestagswahl 2025, sagt ein hochrangiges FW-Mitglied. Auch Landtagsvizepräsident Alexander Hold wird bisweilen genannt. Der frühere Fernsehrichter hat die nötige Bekanntheit und bei der Bayernwahl in Kempten immerhin mehr als 20 Prozent bekommen.

Die Frage ist halt, wie gut es in der Wählerschaft ankommt, wenn gleich mehrere recht frisch gewählte Landtagsabgeordnete bereit wären, ihr Mandat in Bayern direkt wieder zu opfern für ein Bundestagsmandat in Berlin. Im Gegensatz zur CSU treten die FW bundesweit an, doch in den übrigen Ländern gibt es nur wenige prominente Kandidaten. Potenzial sähe man in der Partei bei Joachim Streit in Rheinland-Pfalz. Er war mal Bürgermeister in Bitburg, danach Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm, ist ebenfalls Parteivize. Im Frühjahr 2021 gelang mit Spitzenkandidat Streit in Rheinland-Pfalz, was den FW ansonsten nur in Bayern gelungen ist: der Sprung über die Fünf-Prozent-Marke und damit der Einzug in den Landtag. Die Personalie Streit hat aber ebenfalls einen Haken: Er ist seit Kurzem EU-Abgeordneter.

In Parteikreisen ist schon länger zu hören, dass FW-Chef Aiwanger fieberhaft versucht, regionale oder überregionale Bekanntheiten für seine Partei zu gewinnen. Dass ein gewisser Promistatus kein Schaden ist, hat sich bei Ex-Fernsehrichter Hold ja gezeigt. Und im Gegensatz zur Zweitstimme ist die Erststimme eine Personenwahl, bei der die Parteizugehörigkeit eine kleinere Rolle spielt. Zur Erinnerung: Für die Landtagswahl 2013 konnten die FW die Schlagersängerin Claudia Jung gewinnen, die im Stimmkreis Pfaffenhofen-Schrobenhausen prompt 19,4 Prozent holte und über die Liste in den Landtag einzog.

Fiele die Grundmandatsklausel, hätten die FW eine Hürde weniger

Die Umfragen, das Personal, aktuell spricht wenig dafür, dass Aiwangers bundespolitische Pläne aufgehen. Weil aber immer mehr Parteien aus dem Boden schießen und damit mehr Konkurrenz – allen voran das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – dürften drei FW-Direktmandate zumindest etwas realistischer sein als fünf Prozent der Zweitstimmen. Und wenn nicht bei der kommenden Bundestagswahl, dann ja vielleicht bei der nächsten. Auch für die FW geht die Bedeutung des Urteils zur Wahlrechtsreform über die Wahl 2025 hinaus. Fällt die Grundmandatsklausel, hätte die Partei auch danach eine Hürde weniger.

Für die Fünf-Prozent-Marke jedenfalls müssten die FW ihr Ergebnis mehr als verdoppeln. Ein weiter Weg. Bei der Bundestagswahl 2021 stand ein Ergebnis von 2,4 Prozent. Andererseits hat Hubert Aiwanger selbst erfahren, wie schnell sich die Dinge in der Politik drehen können. Nach der Flugblatt-Affäre, die ihm auch Solidaritätsstimmen brachte, konnte seine Partei binnen kurzer Zeit zulegen. Nicht nur bei der Landtagswahl. Im ZDF-Politbarometer lagen die FW zeitweise bei vier Prozent – und damit recht nah an der Fünfer-Marke.

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