Wahlkreis-Atlas zur Bundestagswahl:Wo Bayern am schwärzesten ist

Altötting

Altötting in Oberbayern: Landschaft wie aus dem Bilderbuch und CSU-Hochburg.

(Foto: Stadt Altötting)

Im oberbayerischen Altötting wählen so viele Menschen wie nirgends sonst in Bayern die Schwarzen. Wo, wenn nicht hier, ist es zu finden, das immerwährende Erfolgsgeheimnis der CSU?

Eine Reportage von Sebastian Gierke, Altötting

Kies unterm Tisch. Weißbier drauf. Kastanien drüber. Gerahmt vom weiß-blauen Himmel und dem Duft von Bratensoße. Ein Biergarten am südlichen Ortsrand von Altötting, international bekannter Wallfahrtsort, selbsternanntes Herz Bayerns: Das Sinnbild eines Freistaats, der dem Rest der Republik kitschig-schöne Bilder schenkt und rotwangig-strahlende Gesichter. Und zeigt, was es heißt, in einer heilen Welt zu leben.

Hier, im Biergarten, Zentrum bajuwarischer Selbstgewissheit und Größenwahns, Ort unumstößlicher, ewiger Wahrheiten, hier hocken ein paar Grüne - und planen die Zeit nach ihrem Triumph. Nein, nicht den Wahlkampf planen sie. Sondern eine Zeit, in der Bayern von den Grünen regiert wird.

Wir schreiben Mittwoch, 21. August 2013, gut drei Wochen vor der Landtagswahl. Und das ist: kein Witz.

Der oberbayerische Landkreis an der Grenze zu Österreich ist CSU-Land. Seit 1953 hat den Bundestags-Wahlkreis immer ein Christsozialer gewonnen. 51,9 Prozent haben hier 2009 ihre Zweitstimme der CSU gegeben. Nirgends sonst hat die Partei so viele Stimmen erhalten.

Bevor wir uns also mit den Grünen beschäftigen, erst mal zur CSU. Zum Landrat. Der ist in einem bayerischen Landkreis mindestens so wichtig wie der Ministerpräsident. Erwin Schneider hat das Amt seit 13 Jahren inne. Er empfängt in einer Gastwirtschaft am Rande des Kapellplatzes von Altötting. Die Sonne besiegt gerade den morgendlichen Nebel, es bietet sich ein beeindruckendes Bild. In einigem Abstand zur Gnadenkapelle, in der die berühmte schwarze Madonna steht, begrenzen zumeist sakrale Barockbauten die weite Fläche des Platzes an allen Seiten. Die Sehenswürdigkeiten Altöttings stehen ordentlich aufgereiht. Dazu Läden, in denen es Weihrauch in den Duftrichtungen "Erzengel", "Gottes Segen" und "Paradies" zu kaufen gibt. Daneben Weihwasserabfüllgefäße aus Plastik und in Madonnenform oder hellblaue Rosenkränze. Kitsch. Es ist ein Platz, auf dem sich die Leute im Hintergrund aufzulösen scheinen. Die Umgebung ist stärker, sie dominiert die Menschen.

weihwasser Altötting Plastikflaschen

Plastikflaschen fürs Weihwasser gibt es am Kapellplatz in Altötting für ein paar Cent.

(Foto: segi)

Schneider, klein von Wuchs, runder Kopf, gesunde Gesichtsfarbe, bestellt sich eine Weißwurst. Eine einzelne, nicht ein Paar. "Was das Steueraufkommen angeht, konkurriert Altötting in Bayern mit Starnberg um Platz zwei hinter dem Landkreis München", sagt er ziemlich bald. Er wirkt, wenn er spricht, zurückhaltend, fast gehemmt. Damit gelingt es ihm, einen typischen CSU-Fehler zu vermeiden; zu selbstbewusst zu wirken, zu donnerig, zu salonlöwenhaft.

Den Menschen in Altötting gehe es gut, sagt er. Lange Zeit agrarisch geprägt, hat vor allem die chemische Industrie in Burghausen den Landkreis wohlhabend gemacht. Der Rhythmus des Ortes Altötting, wenige Kilometer westlich gelegen, werde jedoch von der Religion geprägt, sagt der Landrat im Trachtenjanker. Entschleunigter als anderswo gehe es zu in Altötting. Auch gingen mehr Menschen in die Kirche als in anderen Orten Bayerns. "Aber auch hier werden es immer weniger."

"Von jeder Haustür geht ein Weg nach Altötting"

Ein Sprichwort sagt: "Von jeder Haustür geht ein Weg nach Altötting." Und all diese Wege führen auf den Kapellplatz. Jedes Jahr kommen eine Million Pilger in "das religiöse Herz Bayerns". Schneider erwähnt den Begriff nicht nur einmal. Weil viele deshalb ihren Lebensabend hier verbringen wollen, gibt es mehr Altersheime als anderswo. Im Ort hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Briefwahlunterlagen dort für die Bewohner ausgefüllt werden, nicht von ihnen. Gerhard Polt, der große bayerische Humorist, hat dazu passend einmal gesagt: "Ich bin eine Zeit lang in Altötting aufgewachsen, was sehr günstig ist, wenn man Komiker werden will."

Wo, wenn nicht hier, ist es zu finden, das Geheimnis der CSU? Das Geheimnis des Erfolgs dieser Partei, die bald 60 Jahre an der Macht ist, Ende nicht in Sicht. Trotz all der Affären, dem Filz und der Großmannssucht. Und nicht immer ging es dem Freistaat so gut wie jetzt.

Kapellplatz Altötting

Der Kapellplatz mit der Gnadenkapelle im Vordergrund.

(Foto: segi)

Vielleicht verbirgt sich das Geheimnis hinter all dem Kitsch, dem Bild einer heilen Welt, das in Bayern so ausdauernd propagiert wird wie in keinem anderen Bundesland. Kitsch ist: Das Ignorieren von allem, was nicht sein darf. Und im Reich des absoluten Kitsches sind Antworten von vornherein gegeben, schließen jede Frage aus. Ministerpräsident Horst Seehofer macht genau nach diesem Prinzip Wahlkampf.

Erwin Schneider lächelt. Seehofer mache alles richtig. Der Landrat schaut manchmal seinen Worten hinterher, als könnte er sie so zu Stein werden lassen und auf dem Kapellplatz als Denkmal aufstellen. Die Sonderrolle, die Bayern in Deutschland innehabe, und zwar nur wegen der CSU, das sei der Grund für die Stärke der Partei, glaubt er. "Wir hier müssen was Besonderes sein. Wir sind was Besonderes. Daran hat die CSU einen großen Anteil." Wieder der Denkmalblick. "Die Bayern wollen, dass die Nicht-Bayern sagen: Ihr habt's gut bei euch", sagt Schneider. Dass das weiterhin so ist, dafür müsse die CSU sorgen. "Das muss unser Anspruch sein."

Erwin Schneider, Landrat in Altötting.

So feiert Erwin Schneider seinen Wahlsieg zum Landrat im Jahr 2000.

(Foto: DPA)

Die CSU - der verlängerte Arm Gottes

Aber macht die kirchliche Prägung Bayerns die Partei mit dem C im Namen nicht auch unantastbar? Auch wenn sich in Altötting einige gerade wegen der Wallfahrt eine gesunde Distanz zu all der Frömmelei zugelegt haben: Die CSU wird hier noch von vielen als Gottes verlängerter Arm gesehen. Die Partei ordnet die Welt für die, die sie nach CSU-Koordinaten geordnet sehen wollen. Sie ist nah dran an den Leuten. Eine Partei der Kümmerer.

Erwin Schneider ist auch so einer. Länger als eine Woche macht er kaum Urlaub. Schneider betont zwar immer wieder, dass es wichtig sei, als Partei auch eine Meinung zu Ägypten zu haben, zu Syrien. Aber die Probleme der kleinen Leute, die seien dann doch entscheidend für den Wahlerfolg. Als seine Tochter drei Jahre alt war, hat er sie einmal gefragt, ob sie wisse, wohin der Papa arbeiten gehe. "Na klar", hat sie geantwortet: "Ins Wirtshaus." Dort wird eben auch Politik gemacht.

LANDRATSWAHL IN ALTÖTTING

Landratswahl im Jahr 2000 in Altötting. Die Farbe Schwarz dominiert noch die Politik - aber bei weitem nicht mehr so stark wie früher.

(Foto: DPA)

Tradition, Kirche, Wirtshaus, das ist ein CSU-Dreiklang. Doch er wird leiser. In Altötting und anderswo in Bayern. 51,9 Prozent, das mag 2009 das beste CSU Ergebnis gewesen sein. Doch bei dem Wert hätte man früher das Ende der bayerischer Herrlichkeit prophezeit. 2002 erhielt die CSU 69,6 Prozent, 2005 waren es 58,3 Prozent. Die Christsozialen müssen um jede Stimme kämpfen, die Erbhöfe bröckeln. Bairisch verlernt hat die CSU zwar nicht, aber andere sprechen es mittlerweile genauso gut.

Zum Beispiel Herbert Hofauer von den Freien Wählern. Auch der Bürgermeister von Altötting bittet zum Gespräch auf den Kapellplatz. Sein Handyton: Glockengeläut vom Kapellplatz (auch auf der Homepage des Ortes zu finden). Hofauer kennt hier jeden, ständig wird er gegrüßt, und grüßt zurück.

Ganz nah dran an dem, was die Menschen wollen. Das war früher ein Alleinstellungsmerkmal der CSU. Man konnte darauf vertrauen, Hilfe zu bekommen, wenn man sich in ihrem Wertebereich bewegte, also etwa keine sogenannten "alternativen Lebensentwürfe" favorisierte. Die CSU war für die Mehrheit da. Doch das können mittlerweile die Freien Wähler genauso gut und in Burghausen findet sich nicht einmal einer von der CSU, der den SPD-Bürgermeister herausfordert.

Herbert Hofauer

Altöttings Bürgermeister Herbert Hofauer (Freie Wähler).

(Foto: oh)

"Knallhart in die Unterhose reinregiert"

Hofauer sagt, dass die Menschen sich die Personen anschauen, nicht das Parteibuch. Ihm hätten sie auch gesagt, dass er als Freier Wähler nichts bewegen könne. Gelder aus München zum Beispiel, die würde er doch nicht bewilligt bekommen, er sei schließlich in der falschen Partei. Mit diesem Argument und dem Blick nach Berlin macht die CSU Wahlkampf gegen die SPD. "Alles Quatsch", grinst Hofauer durch seinen schmalen Schnauzer. In Altötting ist man pragmatisch. Bei der Abstimmung über den Bau eines neuen Kultur- und Kongresszentrums gab es im Stadtrat keine einzige Gegenstimme.

Natürlich wird auch hier gemauschelt und getrickst. Altötting hat einige Skandale erlebt, meist war die CSU involviert. Wenn man einen kennt, der einen kennt, dann lässt sich so manches Projekt leichter bewerkstelligen. Wer es sich aber mit einem der Oberen verscherzt, bekommt Probleme.

Altöttinger Mieter Konvent

Das Altöttinger Mieter Konvent funktioniert nach einem radikalen Prinzip.

(Foto: segi)

Doch die Menschen arrangieren sich damit. Und auch die, die mit der CSU gar nichts anfangen können. Das Altöttinger Mieter Konvent (AMK) zum Beispiel. Vier Jahre ist es her, dass ein alter Arbeiterwohnblock mit knapp 800 Quadratmetern abgerissen werden sollte. Ein paar junge Bewohner - einige nennen sich selbst Anarchisten - werden aktiv. Sie kaufen das Grundstück, renovieren die beiden Häuser. Fast eine Million Euro kostet das, finanziert über Darlehen einer sozial orientierten Bank und viel Unterstützung durch Freunde und Familie. Tausende Arbeitsstunden stecken sie in das Projekt, kämpfen gegen Vorbehalte und überwinden sie. "Wir können auch Spezlwirtschaft", lacht David Pietzka, der von Anfang an dabei war. In der Einfahrt stehen alte Toiletten - als Blumenkästen. Bauschutt liegt herum, Gemüse wird angebaut, Hängematten im Garten. An einer Mauer ist Graffiti zu sehen, Antifa-Fahnen hängen dort, im Keller wird gerade der Partyraum hergerichtet.

Das AMK funktioniert nach einem radikalen Prinzip: Es ist selbstverwaltet und Eigentum wird über eine rechtliche Konstruktion neutralisiert. Niemandem gehört hier etwas, deshalb kann auch niemand etwas davon verkaufen. Gewinnstreben ist ausgeschlossen, dafür sind die Mieten billig. Das AMK ist Mitglied in einem bundesweiten Solidaritätsnetzwerk, dem "Mietshäuser Syndikat", in dem sich selbstverwaltete Hausprojekte zusammengeschlossen haben. In Bayern gibt es nur wenige solcher Projekte: eines in München, eines in Regensburg - und das AMK in Altötting. In den 16 Wohnungen wohnen aber nicht nur junge Leute, sondern auch eine türkische Familie oder ein Rentner und seine Frau.

"Es muss auch hier nicht immer die CSU sein." Marcel Seehuber ist stolz auf das, was er und seine Mitstreiter geschaffen haben. Für die "kleinen Leute" oder Jugendliche werde viel zu wenig getan in Altötting. Das AMK sei auch Kapitalismuskritik: "Wir gehen hier mit Eigentum völlig anders um, als es üblich ist - und es funktioniert." Das habe etwas Subversives. Die CSU bekommt hier keine absolute Mehrheit. Doch die Partei hat auch kaum Berührungsängste mit den Anarchisten. Ein CSU-Stadtrat war schon da - und hat das Projekt für interessant und gut befunden.

Schon wieder: Seehofers Taktik, dem politischen Gegner alles zu nehmen, womit er sich von der CSU unterscheiden könnte. Da kann man auch mal Weltoffenheit demonstrieren.

Auch die Grünen haben mit diesem Vorgehen so ihre Probleme. Gentechnikfreies Bayern, nachhaltig Wirtschaften, Energiewende von unten. Für all das steht mittlerweile auch die CSU. Und damit sind wir zurück im Biergarten, wo gerade die grüne Regierungszeit geplant wird. Manfred Lucha doziert in tiefstem Bairisch. Im Sprichwort "Sprache ist die Kleidung der Gedanken" steckt in Altötting noch Wahrheit. Hier beeinflusst die Sprache das Denken. Zwar ist auch das Bairisch, das in Altötting heute überwiegend gesprochen wird, weichgespült, münchnerisiert, kurz: nicht sonderlich derb. Trotzdem bedeutet die Sprache hier kulturelle Selbstvergewisserung. Lucha strahlt einen Stolz aus, wie er in Bayern eigentlich nur an Politikern der CSU zu beobachten ist. Berauscht von der Macht. Der Grüne stammt auch von hier. Doch er regiert nicht hier, sondern in Baden-Württemberg, Lucha sitzt dort im Landtag.

"Für den Fall, dass ihr regiert." Immer wieder beginnt er so seine Sätze. Lucha ist einer, der einem nach fünf Minuten auf die Schultern haut, das Hemd an der Brust offen, das Grinsen breit. Die Regionalzeitung nennt ihn "Revolutionär". Ob die Revolution von Baden-Württemberg in Bayern, in Altötting, zu wiederholen ist? Da wird er vorsichtig. "20 Prozent weniger für die CDU in Baden-Württemberg, das entspricht fünf Prozent weniger für die CSU hier." Die "historische Autoritätshörigkeit" sei daran schuld. "Der Bayer ist immer Regent und Opponent gleichzeitig."

Doch auch Lucha sagt: Die Zeiten haben sich geändert. "Vor dreißig Jahren haben sie dir knallhart in die Unterhose reinregiert". Doch mittlerweile gebe es auch in der CSU ein paar Leute, "die keine reaktionären Bumsköpfe mehr sind". Man müsse eben weiter kämpfen, im Biergarten sitzen, fröhlich sein. Seine 15 Parteikollegen und ein Gasthörer von den Linken, die sitzen fast ein wenig schüchtern um ihn herum. Ungläubig.

Es ist der 21. August 2013 in einem Biergarten in Altötting, wenige Tage vor der Landtagswahl in Bayern. Und die Grünen reden vom Regieren. Daran glauben tun sie nicht.

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