Wahlkampf:Ist Berlin bereit für einen bayerischen Bären?

Joachim Herrmann Innenminister des Freistaates Bayern CSU in der ARD Sendung Der Fünfkampf nach d

Ein Problem Joachim Herrmanns - hier bei einer TV-Debatte - sei, dass er im Schatten von Karl-Theodor zu Guttenberg steht, sagen Parteifreunde.

(Foto: imago/Müller-Stauffenberg)

Seit zehn Jahren ist Joachim Herrmann Bayerns Innenminister, bald wird er vielleicht sogar der des Bundes. Über einen, der lieber lächelt und abwartet.

Von Wolfgang Wittl

Der Weg nach Berlin kann lang sein und beschwerlich, und manchmal endet er abrupt. Wahlkampfauftritt in Emskirchen, Mittelfranken, Joachim Herrmann würde jetzt gern ins Bierzelt einziehen, doch angeheiterte Demonstranten in T-Shirt und Lederhose hindern ihn. Sie haben eine wirksame Barriere errichtet: ein Traktor, ein Kirchweihbaum, nichts geht mehr. Erst als Bayerns Innenminister Wegezoll entrichtet und für ein Foto posiert, lassen ihn die Ortsburschen ziehen.

Bestechung mit Geld und Bier, noch dazu von Alkoholisierten, gehört sonst nicht zu seinen Methoden. Joachim Herrmann ist in der CSU der Inbegriff für Recht und Ordnung, für Korrektheit und Konsequenz - vor allem ist er derjenige, der die Ministerehre seiner Partei in Berlin wiederherstellen soll. Herrmann soll nach der Bundestagswahl das Innenministerium übernehmen, so plant es jedenfalls CSU-Chef Horst Seehofer. Er sagt: "Wir haben 16 Landesinnenminister, den besten haben die Bayern, und den schicken wir nach Berlin." Aus dem Satz lässt sich zweierlei ablesen: Wertschätzung für Herrmann sowie das stille Eingeständnis eines Fehlers.

Drei Ministerien hat die CSU 2013 für sich beansprucht, heute weiß man: Es war eine Entscheidung für Quantität statt Qualität. Ein klassisches Ressort hat die CSU nicht bekommen, dafür eine Mischung aus Fiasko und Farblosigkeit. Gerd Müller wird zwar gute Arbeit bescheinigt, nur leitet er das wenig beachtete Entwicklungshilfeministerium.

Bei Verkehrsminister Alexander Dobrindt unterscheidet sich die Wertschätzung in der CSU-Spitze gravierend von der des Durchschnittsbürgers. Und der begeisterte Außenpolitiker Christian Schmidt gilt als Agrarminister sogar Parteifreunden als Fehlbesetzung. Wahrnehmbar - zumindest in positivem Kontext - ist selten einer drei CSU-Minister. Mit Herrmann, 60, soll sich das ändern.

Ein starker Innenminister, das trauen sie ihm zu. Aber welche Ambitionen hat er noch darüber hinaus?

Bald zehn Jahre führt der Mittelfranke das bayerische Innenministerium. An seiner Kompetenz zweifelt nicht mal die Opposition, höchstens an seinem Kurs, der einigen als zu hart erscheint. Herrmann steht für Kontrolle, für die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, für einen starken Staat in allen Sicherheitsfragen. Er forciert Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen, plädiert für Vorratsdatenspeicherung und schärfere Gesetze, wenn vorhandene aus seiner Sicht nicht ausreichen. Dann sollen Polizisten zur Abwehr von Terrorgefahren sogar die Fingerabdrücke von sechsjährigen Kindern nehmen können.

Seehofer verzichtete 2013 auch deshalb auf ein klassisches Ministerium, weil ihm die geeignete Person fehlte. In Joachim Herrmann hat er sie gefunden. Er ist die Antwort der CSU auf die CDU und AfD gleichermaßen. Kein anderer Unionspolitiker verkörpert die innere Sicherheit glaubwürdiger, Bayern führt nahezu alle relevanten Kriminalstatistiken an. Ein Jahr 2015, als Tausende Flüchtlinge unkontrolliert ins Land kamen, "wird sich nicht wiederholen. Dafür stehe ich persönlich", sagt Herrmann.

Für die Kanzlerin wäre ein Innenminister Herrmann ein stabiler Schild gegen Angriffe aus der Schwesterpartei. Falls es wieder haken sollte an den Grenzen oder im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wird die CSU kaum auf ihren eigenen Mann zeigen. Persönlich kommen Angela Merkel und Herrmann gut zurecht, daran ändert auch eine kleine Panne bei einem Wahlkampfauftritt nichts. Schon oft hat die Kanzlerin den bayerischen Innenminister an diesem Augustabend in Bad Kissingen erwähnt, doch plötzlich will ihr der Name nicht mehr einfallen. Längere Pause, ein Zuruf. "Joachim Herrmann. So!"

Seehofer und Merkel: Herrmann kann loyal zu beiden sein

Herrmann macht dann, was er immer macht: Er lächelt gemütlich wie Balu, der Bär aus dem Dschungelbuch - den Spitznamen haben ihm Parteifreunde verpasst. Für die Kanzlerin hat er sogar geklatscht, als Seehofer sie beim berühmten CSU-Parteitag 2015 schurigelte. Herrmann schafft es wohl als einziger, zu beiden loyal zu sein, ohne sich zu widersprechen. Kritik äußert er dort, wo sie seiner Meinung nach hingehört: hinter verschlossenen Türen. In der CSU erinnert sich keiner, dass Herrmann jemals jemanden verletzt hätte.

Eine Stunde redet Herrmann in Emskirchen, zehn Autominuten von seiner Heimatstadt Erlangen entfernt. Der heikelste Part nach den Ortsburschen wartet gleich zu Beginn. Es ist der Wahlkreis von Christian Schmidt, der als Minister wohl keine Zukunft mehr hat. Schon gar nicht, sollte der andere Mittelfranke Herrmann das Innenressort übernehmen. Beide kennen sich seit dem Jura-Studium, beiden nehmen die Zuhörer ab, dass sie trotz neuer Konkurrenz Freunde sind. "Ich sage herzlichen Dank, dass du menschlich ein anständiger Kerl geblieben bist", ruft Herrmann.

Ein CDU-Mann dürfte sich über die Pläne aus Bayern noch weniger freuen. Vor vier Jahren musste Thomas de Maizière als Verteidigungsminister seiner drängelnden Parteifreundin Ursula von der Leyen weichen, nun macht ihm erneut ein Rivale das Amt streitig.

Vorige Woche trafen sie bei einer Konferenz aufeinander. De Maizière hatte das erste Wort, Herrmann das letzte. Bis heute haben sie eingehalten, was sie sich offenbar versprochen haben. "Wir haben persönliche Beschädigungen vermieden", sagt Herrmann. Und: "Wir haben es beide nicht in der Hand." Erst entscheiden die Wähler, dann die Parteichefs.

Aber ist man mit dieser Haltung wirklich ein Alphatier? Ein solches wollte Seehofer ja nach Berlin schicken. Die oberste Sprosse in der Politik erreicht man durch Zugreifen, nicht durch Zuwarten - erst recht in der CSU. Vor neun Jahren wollte Herrmann Ministerpräsident werden. Geworden ist es Seehofer, weil sich die Favoriten der Landtagsfraktion neutralisierten. Also: Warum hat er für seine Spitzenkandidatur jetzt nicht den Parteivorsitz eingefordert? Herrmann beantwortet jede Frage höflich. In diesem Fall sagt er: "Horst Seehofer und ich haben miteinander gesprochen, aber ich sage nichts."

Herrmann fehle das "Macht-Gen", behaupten sogar Parteifreunde, die mit einem CSU-Chef Herrmann gut leben könnten. Man müsse bloß den Wahlkampf anschauen, sagen sie. Wie der USA-Exilant Karl-Theodor zu Guttenberg von der Parteispitze gepuscht werde - und der Spitzenkandidat damit ins Abseits gedrängt. Wie Guttenberg bei seiner Heimpremiere alle Aufmerksamkeit auf sich ziehe - und Herrmann bei einem gleichzeitigen Auftritt mit der Kanzlerin kaum mediale Beachtung finde. "Seehofer und Guttenberg dominieren den Wahlkampf", sagt einer, "Herrmann wird jetzt schon relativiert."

"Das werde ich dem Joachim nicht vergessen", sagt Seehofer

Andere entgegnen, Guttenbergs Tour bringe der ganzen CSU Stimmen. Herrmann, gläubiger Christ und durch Katastrophen kraft Amtes emotional gefestigt wie nur wenige in der CSU, sagt, er habe damit "keine Probleme", fühle sich "nicht vernachlässigt". Er ist lange genug dabei, um zu wissen, dass Dinge sich schnell drehen. Er staunt höchstens über Verrenkungen, die ein Wahlkampf mit sich bringt. Seine Partei inszeniert ihn ohne sein Zutun als Schwarzen Sheriff, die Bunte wollte ihn mit Cowboyhut am Kopf fotografieren. Am Schluss hielt er ihn in der Hand, "ein mühevoller Kompromiss".

Zum Wahlkampfstart vor sieben Wochen sagte Seehofer: Dass Herrmann ins Risiko gegangen sei und Verantwortung übernehme, "das werde ich dem Joachim nicht vergessen, und auch die Partei nicht". Ob das doch etwas für den CSU-Vorsitz bedeutet, etwa nach einer gewonnenen Wahl? Bislang hat der Parteisoldat Herrmann noch jeden Posten angetreten, auf den er gestellt wurde. Nur einmal nicht, 2011, als er aus familiären Gründen ablehnte, Bundesinnenminister in Berlin zu werden.

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