Wahlkampf in Bayern:Der "Linksrutsch" stockt

Lesezeit: 3 min

Landeschef Ates Gürpinar könnte über die Landesliste der Linken in den Bundestag einziehen, auch wenn es seine Partei in Bayern vielleicht nicht über die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Die ist aber das Ziel bei der Landtagswahl 2023 - bei der Wahlparty 2018 (Foto) gab es keinen Einzug zu feiern. (Foto: Robert Haas)

Während die CSU vor einer Ampel und vor Rot-rot-grün warnt, erhofft sich die Linke dadurch mehr Aufmerksamkeit. Landeschef Ates Gürpinar nimmt Sympathien für seine Partei wahr - für fünf Prozent wird es aber wohl nicht reichen.

Von Johann Osel, München/Rosenheim

Es ist ein gelungenes Date für Ates Gürpinar, anscheinend auch für die junge Frau im Bildschirmfenster daneben. Sie will vom Landeschef der Linken und Rosenheimer Direktkandidaten etwas über Geschlechtergerechtigkeit wissen, aber, sagt sie, "bodenständige Dinge" wie die Lohnlücke zwischen Frau und Mann, nicht nur Gendern; auch hat sie Fragen zur Energiewende. Gürpinar in seinem Zoom-Fenster - Mitte 30, Kapuzenpulli, Lockenkopf - geht tief ins linke Programm: Mindestlohn, Rentenniveau, Ehegatten-Splitting. Und er sagt, dass die Energiekonzerne, die ja viel Profit machen wollten, "in gemeinschaftliche Hand müssen". Die Fragestellerin nickt oft während dieser Viertelstunde im digitalen Tete-a-Tete.

Wobei Gürpinar hier leichtes Spiel hat beim "Speed-Dating", zu dem er zum wiederholten Male einlädt: Die junge Frau war schon mal auf einer Veranstaltung im Wahlkreis, ist quasi eine Sympathisantin. Auch die Folgeteilnehmer, gut fünf sind es meist bei dem Online-Wahlkampf, gelten nicht als Konservative, die urplötzlich mit Linksaußen liebäugeln - es ist ein geneigtes Publikum, das die Chance für den direkten Draht zum Politiker nutzt. Frauenrechte, Ausbildung, Hartz IV, darum geht es dann.

Wahlkampfendspurt auch für die Linke in Bayern. Es lässt sich nicht bestreiten seit ein paar Wochen, dass sie öffentlich im Fokus steht. Die Partei ist in aller Munde, vor allem in den Mündern von Markus Söder und CSU-Generalsekretär Markus Blume. "Linksrutsch verhindern" ist deren Slogan, flächendeckend plakatiert. Söder und Blume geht es um eine "verdünnte Linksregierung" mit einer Ampel, mehr noch um Rot-rot-grün. Dies sei "keine Rote-Socken-Kampagne reloaded", sondern eine gebotene Warnung, heißt es. Kürzlich hat der CSU-Vorstand einen mehrseitigen Wahlruf veröffentlicht, der haarklein die seiner Ansicht nach drohenden Folgen für die Menschen in Bayern auflistet. "Niemand der 13,14 Millionen Bayern bliebe von einem Linksrutsch in seinem Alltag verschont." Jedem gehe es ans Geld, an die Substanz und die Lebensgewohnheiten, durch Steuern, Schulden, womöglich Enteignungen.

Gürpinar deutet das so: "Die Kampagne der CSU eint vielleicht deren Reihen - aber ansonsten bringt dieses verzweifelte und völlig inhaltsleere Schüren von Angst uns Aufmerksamkeit." Es führe dazu, dass sich die Menschen mit Programmen auseinandersetzten "und hoffentlich merken, dass Olaf Scholz und Annalena Baerbock nicht wirklich etwas verändern wollen. Wir müssen jetzt in den letzten Tagen kommunikativ damit durchschlagen, dass wir die zentrale Kraft sind, um etwas zu verändern - Soziales, Friedenspolitik, Nachhaltigkeit".

Bundestagswahl 2021
:Lokaler Liveticker zur großen Wahl

Wird aus dem doppelten der dreifache Wahlsieger Andreas Lenz? Die SZ berichtet am Sonntag live aus Erding/Ebersberg zur Bundestagswahl. Was die Leser erwartet.

Von Korbinian Eisenberger

Aufmerksamkeit indes kann nicht schaden. Der jüngste BR-"Bayerntrend" sieht die Linke im Freistaat bei drei Prozent. Ein Verpassen der Fünf-Prozent-Hürde hätte keine bayernlose Linksfraktion zur Folge; bei einem bundesweiten Ergebnis auf Umfrageniveau kämen Kandidaten der Landesliste in den Bundestag; wohl auch Gürpinar, Platz vier. Doch symbolisch sind das keine guten Aussichten. BR-Wahlexperte Andreas Bachmann hatte bei der Präsentation der Umfrage gesagt, dass angesichts des SPD-Aufwinds durch Olaf Scholz " Genosse Trend marschiert". Die Linken sind Genossen - doch da marschiert nicht viel.

Wobei Gürpinar betont: Die Linke werde längst auch in Bayern "als selbstverständlicher Teil des Parteienspektrums gesehen". Erfahrungen im Wahlkampf bestätigten das. Man stellt sich das klischeehaft ja so vor: Ein Linker klopft auf dem Land an die Tür, die Bäuerin bekreuzigt sich erschrocken, verspritzt Weihwasser. Nix da, sagt Gürpinar und erzählt etwa aus Halfing bei Rosenheim: "Wenn wir da durchs Dorf gehen, gibt es natürlich welche, die sagen: Linke, brauch'ma ned. Aber das war nie böse, die Menschen sind offener." Das erlebe er auch in Niederbayern und in der Oberpfalz. "Gerade dort, wo die CSU für eine desaströse Strukturpolitik verantwortlich zeichnet, hören uns die Leute zu."

Allgemein gilt: Sitzen Parteien nicht im Landtag, sind sie kaum auf dem Schirm der politischen Öffentlichkeit; etwa in der FDP, die 2013 für fünf Jahre aus dem Maximilianeum gewählt wurde, weiß man das zu gut. Gleichwohl konnte die Linke zuletzt auch etwas Rummel machen, mit ihrer Klage gegen das Polizeigesetz etwa oder beim Volksbegehren zur Pflege. Gürpinar verweist auf Mitgliederzuwächse, binnen fünf Jahren um gut 1000 auf 3400. Junge, engagierte Neu-Linke sind das meist, keine Karteileichen wie der PDS-Rest in Ostdeutschland. Wahlkampfzeiten sind stets Rekrutierungszeiten; die Frau vom Speed-Dating hat Interesse. Sie erkundigt sich noch nach der Bundeswehr, sie habe Soldaten in der Familie, sei da im "Zwiespalt": Es brauche gute Ausrüstung, aber irgendwie doch Abrüstung. Gürpinars Ansatz: "Deutsche Soldaten haben im Ausland nichts zu suchen."

Er schickt ihr den Link zum Mitgliedsantrag. "Das Problem ist, dass wir oft vor Ort noch nicht genug verankert sind, dass wir zwar starke Mitgliederzuwächse haben, aber für ein so großes Bundesland noch nicht genug", meint der Landeschef: "Mitglieder machen Wahlkampf, tragen die Ideen weiter, sind Gesichter und Ansprechpartner im Ort" - das sei auch relevant, um 2023 endlich in den Landtag einzuziehen.

© SZ vom 24.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusJugend und Politik
:"Uns wird immer vorgeworfen, dass wir desinteressiert seien"

Fühlt die Jugend sich eigentlich ernstgenommen und repräsentiert von der Politik? Und was wünscht sie sich von den Menschen, die Deutschland gestalten? Fünf junge Menschen über das, was sich ändern muss.

Protokolle von Karolin Arnold und Joshua Beer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: