Wahlergebnisse:Nürnberg ist bunt - und wie

Bei der Bundestagswahl zeigte sich Bayerns zweitgrößte Stadt in ihrer ganzen Heterogenität: Fünf Parteien haben einzelne Wahlbezirke für sich entschieden

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hat Nürnberg mal zur langweiligsten Großstadt in Deutschland erklärt. Was man leicht dadurch parieren könnte, dass so etwas nur jemand behaupten kann, den das Schicksal ereilte, in den Klassenstufen fünf bis 13 im Unterrichtsfach "Geschichte" immer dasselbe Schild vor Augen gehabt zu haben: Muss heute leider ausfallen. Stadt der Kaiser, Stadt der Reichsparteitage, Stadt der NS-Kriegsverbrecherprozesse? Egal: total langweilig. Aber wie das so ist, vor allem die unsinnigsten Etiketten bleiben irgendwann kleben. Ist halt irgendwie öde da in diesem Mittelfranken. Mit Blick auf die Bundestagswahl könnte man zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Man muss nur genau hinschauen.

In jeder Stadt einer gewissen Größe gibt es Quartiere, in denen die eine oder andere Partei besonders stark ist. In Nürnberg aber haben es am Sonntag insgesamt fünf Parteien geschafft, in einzelnen Wahlbezirke nicht nur besonders gute Ergebnisse zu erzielen. Sondern diese Wahlbezirke sogar für sich zu entscheiden: CSU, SPD, die Grünen, die Linke und die AfD. Man fährt zum Teil zwei Stationen mit der Tram und ist in dieser Halbmillionenstadt in einem nahezu komplett anderen Milieu. Das kann man nun langweilig finden, wenn man nur die gepflegte städtische Monokultur für total spannend hält. Wen eher Heterogenität interessiert, dem dürfte es in Nürnberg nicht gar so schnell langweilig werden.

Für schnelle Klischee-Draufkleber finden sich in Nürnberg sogar Straßenzüge, in denen Hamburger sich darin bestätigt fühlen könnten, dass diese Kommune ja wohl alle Vorurteile bestätige, die man immer schon über Kommunen in Bayern gehegt hat. Man muss nur aussteigen im Dreieck zwischen Reichelsdorf, Katzwang und Kornburg im Süden der Stadt. Nürnbergs Süden steht im Klischee eigentlich für den historischen Industriekern Bayerns, ein Gebiet mit extrem rauem Pflaster. Im Wahlbezirk Mindelheimer Straße/Kaufbeurer Straße aber weiß man nicht, wo die Stadt gerade aufhört und das Land beginnt. Wer auf die Wahlergebnisse schaut, der wird Nürnberg hier sofort zur Markus-Söder-Kommune ausrufen können. Stärkste Kraft: die CSU mit 44 Prozent. Dann kommt lange nichts. Dann die Sozialdemokraten mit 15,9 Prozent. Klar: der starke Söder, das Licht der CSU in Nordbayern.

Ein paar Autominuten später weiß man dann wieder, was Nürnberg im Herzen ist und immer war: eine historische Arbeiterstadt. Die Stadt, in der nicht zufällig die erste Eisenbahn Deutschlands fuhr, weil dort die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts früher tobte als andernorts. Wir sind zwar mitten in Bayern, aber im Wahlbezirk Minervastraße/Falkenhorst ist es so richtig rot. Die SPD von Oberbürgermeister Ulrich Maly holt dort 36,7 Prozent - wer ist eigentlich dieser Söder? 20,4 Prozent für die CSU. Und dass das aufgeklärte deutsche Großstadtpublikum heute so gerne grün wählt, erzählt man sich rund um die Minervastraße auch eher als witziges Gerücht. Die Grünen? Also bitte. 6,9 Prozent.

Jetzt könnte man einen Abstecher nach Langwasser machen. Alle fragen sich gerade, wie den Sachsen so was eigentlich passieren kann: die AfD als stärkste Kraft? Das geht ja gar nicht. Wer freilich den Mittelpunkt Bayerns aufsucht, kommt nicht gar so weit entfernt heraus von Nürnberg-Langwasser. 2o Autominuten sind es von dort zur geografischen Mitte Bayerns. Und in Langwasser, einer Nachkriegs-Trabantenstadt, dominiert nun halt auch die AfD. Giesbertstraße: 26,6 Prozent. Die anderen Parteien brauchen ein Fernrohr, um zu beobachten, wie die AfD dort ihre Triumphrunde dreht. Zweitstärkste Partei ist die SPD mit 21,2 Prozent. Nun könnte man sagen: eine Trabantenstadt eben. Aber um die Scharrerstraße herum, mit dem Radl vier Minuten von der Nürnberger Altstadtmauer entfernt, ist ebenfalls keine andere Partei so stark wie die AfD: 24,8 Prozent.

Die Scharrerstraße ist nur ein paar Tramstationen entfernt vom Plärrer. Von dort aus kann man zu Fuß zwei Minuten in Richtung Süden laufen. Oder zwei Minuten in Richtung Westen marschieren. Und kommt dann entweder zu dem Ergebnis: Dieses Nürnberg ist halt doch noch das alte Zentrum der Linksaußenszene, das in den Achtzigerjahren mal deutschlandweit berühmt geworden ist. Oder zum Resultat, dass das grün-akademische Ökospießbürgertum baden-württembergischer Ausprägung nun also auch in Mittelfranken angekommen ist und sich etabliert hat.

Bei der Massenverhaftung von Nürnberg gefiel sich am 5. März 1981 die bayerische Polizei darin, 141 Personen der linken Szene am Kulturzentrum "Komm" - also mitten in Nürnbergs Zentrum - einzukesseln und bis zu zwei Wochen festzuhalten. Das Milieu im Bezirk Veit-Stoß-Platz/Austraße hat sich zwar stark gewandelt seither. Die Wurzeln aber gibt es da unverändert. Stärkste Partei in Gostenhof-Süd, in einem Bezirk mitten in Bayern: die Linke mit 34,2 Prozent. Gemeinsam mit den Grünen kommen sie dort auf die absolute Mehrheit. Die CSU hat gekämpft diesmal in Gostenhof, das war nicht immer so. Bei vergangenen Wahlen scheiterte die Partei dort schon mal an der Zehn-Prozent-Hürde. Diesmal hat man das Ruder herumgerissen: 10,9 Prozent.

Es geht aufwärts. Ebenfalls nur ein paar Fußminuten von der Stadtmauer entfernt in Richtung Fürth, im Bezirk Roonstraße, wird grün gewählt. Mit 28 Prozent hat sich die Partei dort nicht nur als stärkste etabliert. Sie hat alle anderen um mindestens zehn Prozentpunkte distanziert. Nördlich der Stadtmauer, gleich hinter der Burg in Richtung Erlangen, dasselbe Bild: Hier lebt man grün. Uhlandstraße / Kaulbachstraße: 31,5 Prozent. Die Stadt sieht dort zwischen hübsch restaurierten Jugendstilensembles nicht aus wie der Prenzlauer Berg. Aber erst recht nicht so, wie man sich eine zerbombte Arbeiterstadt wohl gemeinhin vorstellt.

Von den künftig im Bundestag vertretenen Parteien hat (außer der CDU) nur die FDP keinen Wahlbezirk Nürnbergs für sich entscheiden können. Dort aber, wo schicke Einfamilienhäuser auf ehemaligen Brachflächen in Innenstadtnähe hochgezogen werden, könnten sie es bei einer der kommenden Wahlen durchaus schaffen. Im Norden der Stadt, wo es nicht weit ist in die Siemens- und Universitätsstadt Erlangen, erreichte die FDP im Bezirk Pretzfelder Straße/Forchheimer Straße 22,5 Prozent. Da geht noch was.

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