Wenn die Bewohner des Seniorenheims Haus Konrad der künftigen Bundesregierung einen Wunsch mitgeben könnten, dann wäre es, dass sie zu ihrem Wort stehen soll. Diese Forderung steht gleich mehrmals auf dem Plakat im Eingangsbereich der Senioreneinrichtung in Senden im schwäbischen Landkreis Neu-Ulm. Sie steht da nicht allein: Die Liste der Wahlthemen, die sie im Heim mit den Bewohnern gesammelt haben, sei lang, berichtet Einrichtungsleiter Fabian Engels. Man erreicht ihn am Telefon und er läuft sofort zu dem Plakat in der Eingangshalle und trägt vor: „Für Klimaschutz engagieren, den jungen Menschen soll es gut gehen, stabiles Gesundheitssystem, steuerfreie Renten, gut bezahlte Arbeitsplätze.“ Ein Bewohner hat auch einen Wunsch für die politische Kultur in Berlin formuliert: „Einigkeit innerhalb der Parteien“.
Die Wahl-Wunschliste ist nur eins von mehreren Projekten, mit denen das Haus Konrad seine Bewohner auf die Bundestagswahl einstimmt – und sie idealerweise zum Wählen motivieren will. Die Mitarbeiter veranstalteten auch schon ein Politikcafé für die Bewohner, bei dem gemeinsam über politische Themen diskutiert wurde. Und sie forderten die Senioren beim Wahlquiz heraus. Vor allem aber unterstützen Mitarbeiter bei der Vorbereitung des Urnengangs selbst, der in diesem Heim fast immer eine Briefwahl ist.

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Der Wirbel um die Wahl ist vom Träger des Heims, der privaten Compassio Gruppe, gewünscht. Die Compassio sowie zwei weitere große private Heimträger haben in ihren Heimen das Projekt „Demokratie pflegen“ ausgerufen. Angesichts von Prognosen, dass die Zahl der Nicht-Wähler bei etwa 25 Prozent liegen könnte, sei es wichtig, dass Menschen, die wählen wollen, auch wählen können, heißt es in einer Erklärung. Man wolle den Pflegeheimbewohnern eine Stimme gegeben und damit einen Beitrag zu einer hohen Wahlbeteiligung zu leisten – mit absoluter Neutralität und ohne jegliche Wahlwerbung für Parteien.
Die Initiative ist ein ehrenwertes Anliegen, auch wenn die Stimme der älteren Mitbürger bei Wahlen generell sicher nicht zu kurz kommt. Derzeit erreichen die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge das Rentenalter, was dieser Altersgruppe besonderes Gewicht bei den Wahlen verleiht.
So werden bei der Bundestagswahl mehr als ein Viertel (28,7 Prozent) der etwa 9,2 Millionen Stimmberechtigten in Bayern 65 Jahre oder älter sein, wie das Bayerische Landesamts für Statistik vorrechnet. Bei der Bundestagswahl im Jahr 1990 waren es noch 19,7 Prozent. Dieser Effekt verstärkt sich noch dadurch, dass Menschen mit zunehmendem Alter ohnehin wahlfreudiger werden. Mit 81 Prozent war die Wahlbeteiligung bei den 60- bis 69-Jährigen bei der Bundestagswahl 2021 am höchsten, wie eine Auswertung der Bundeszentrale für politische Aufklärung zeigt. Zum Vergleich: Die Gruppe der Erstwähler kam nur auf 70,5 Prozent.
Die älteste Wählerin im Heim war 96 Jahre jung
Benötigen ältere Menschen also überhaupt Unterstützung bei der Wahl? Ein genauer Blick auf die Statistik lässt vermuten, dass das Engagement der privaten Heimbetreiber trotzdem gut investiert ist. Denn die über das Leben steigende Wahlbeteiligung erfährt bei den sehr betagten Menschen einen Knick. Die Gruppe der über 70-Jährigen lag 2021 mit 75,3 Prozent deutlich unter den etwas jüngeren Senioren. Mit plötzlicher Politikverdrossenheit im hohen Alter lässt sich das kaum erklären. Wahrscheinlicher ist, dass Menschen wegen zunehmender Gebrechlichkeit den Wahlgang scheuen. Hierfür spricht auch, dass sich die ältesten Wähler am häufigsten für die Briefwahl entscheiden. Bei den Jahrgängen 1951 und früher taten dies zuletzt über die Hälfte (52,7 Prozent).
Hilfe bei der Briefwahl hält man denn im Haus Konrad auch für einen guten Weg, um die alten Menschen zu unterstützen. Statt die Wahlbenachrichtigung einfach nur mit der Post auszuteilen, habe man sich entschieden, sie den sozialen Betreuern mitzugeben. Diese sprachen die Bewohner gezielt auf die Wahl an, fragten, ob sie teilnehmen wollten und ob sie Hilfe bei der Beantragung der Briefwahlunterlagen bräuchten. Bei den Bewohnern sei das gut angekommen, erzählt Heimleiter Engels. Die älteste Bewohnerin, die so an der Wahl teilnahm, sei 96 Jahre jung.