Trauerfeier in Waging am See:"Sepp, Du bist Bayern"

Hunderte Menschen, unter diesen Vertreter aller großen Parteien, erweisen dem an Krebs gestorbenen Grünen-Politiker Sepp Daxenberger in Waging die letzte Ehre.

Birgit Kruse und Tobias Dorfer

Die Geschäfte in Waging am See haben geöffnet. Sie sind leer. Die Cafés haben ihre Tische und Stühle auf die Straße in die Morgensonne gestellt. Niemand sitzt dort. Es ist bereits viel los an diesem Samstagvormittag. Doch es ist still. Niemand redet, niemand lacht. Sie gehen einfach nur, haben Blumen in der Hand - meist Sonnenblumen. Alle haben sie das gleiche Ziel: die Kirche St. Martin im Zentrum von Waging.

Trauerfeier für Sepp Daxenberger

Abschied von Sepp Daxenberger: Vor dem Kondolenzbuch wurden ein Bild und ein Strauß Sonnenblumen aufgestellt.

(Foto: dpa)

Hier findet die Trauerfeier für Sepp Daxenberger statt. Der Grünen-Politiker war am Morgen des 18. August an seinem Krebsleiden gestorben. Im Alter von 48 Jahren.

Jetzt versammelt sich die Trauergemeinde vor der Kirche - zum zweiten Mal innerhalb einer Woche. Erst vor drei Tagen wurde hier die Ehefrau von Sepp Daxenberger beerdigt. Auch sie war an Krebs gestorben. Doch dieses mal ist die Trauergemeinde viel größer.

Daxenberger war einer der beliebtesten Politiker im Freistaat. Über alle Parteigrenzen hinweg mochten sie den "Sepp". Sie schätzen ihn für seine Geradlinigkeit, auch nach 20 Jahren im Politikbetrieb war er sich und seinen Überzeugungen treugeblieben. Sie bewunderten ihn für die Kraft und den Lebenswillen, den er trotz seiner schweren Erkankung hatte. "Er war ein wertvoller Mensch mit einem starken Charakter, der sich bis zum Schluss nicht hat unterkriegen lassen und dabei nie seinen Humor und Optimismus verloren hat", sagte Theresa Schopper von den Grünen, als sie vom Tod ihres Parteifreundes erfahren hatte.

Auch bei den Bürgern war Daxenberger beliebt. Sie wählten ihn - auch im konservativen CSU-Stammland Oberbayern - zum ersten grünen Bürgermeister im Freistaat. Weil er authentisch war. Weil er sowohl für Fortschritt und Ökologie stand als auch für konservative Werte. Sie verhalfen bei der vergangenen Landtagswahl den Grünen zu ihrem besten Ergebnis. Auch weil "der Sepp" als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zog.

Heute sind sie alle nach Waging gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Mehr als tausend sind es, in der Kirche und vor der Kirche. Die Bürger, die Politiker. Die Kirche ist schon fast voll, und die Schlange vor dem Kondolenzbuch noch sehr lange. Grünen-Chef Cem Ödzemir trägt sich gerade in das Buch ein. Ein letzter Blick auf das Bild von Sepp Daxenberger, das neben einem Strauß Sonnenblumen aufgestellt wurde. Margarete Bause von den Grünen ist gekommen, ebenso wie die anderen Abgeordneten aus dem Landtag. Bereits um kurz nach sieben am Morgen haben sie sich in München am Maximilianeum getroffen. Gemeinsam sind sie im Bus gefahren, gemeinsam gehen sie in die Kirche.

Stärke und bäuerliche Sturheit

Renate Künast steht in der Schlange, will sich in das Buch eintragen. Immer wieder fährt sie sich unter den Augen entlang, holt ein Taschentusch aus der Jacke. Ja, sagt sie, der Sepp sei "durchaus ein Freund" gewesen. Immer wenn sie an ihn denke, fielen ihr Worte ein wie "Stärke" und "bäuerliche Sturheit". Und seine Krankeit. Doch selbst habe sie sich gedacht: "Es ist wie in der Natur. Im nächsten Jahr kommt sie wieder. Wie der Sepp Daxenberger."

Auch Landtagspräsidentin Barbara Stamm gibt als eine der ganz wenigen ein kurzes Statement in die Kameras. Dann umarmt die CSU-Politikern Bause innig. Sie steht noch vor der Kirche. Ministerpräsident Horst Seehofer und Frau Karin stehen ebenfalls in der Schlange, wie auch Peter Gauweiler und zahlreiche andere CSU-Politiker. Doch der Parteichef hat einen versteinerten Blick. Reden will er nicht - wie die meisten an diesem Tag.

Aus allen anderen Parteien sind sie auch gekommen. Die Freien Wähler mit Hubert Aiwanger an der Spitze, die SPD mit Franz Maget und dem Fraktionsschef Markus Rinderspacher. Die FDP mit ihrem Wirtschaftsminister Martin Zeil.

In der Kirche wird es immer voller. Aus den Vereinen sind die Fahnenträger gekommen. 13 große und prunkvoll geschmückte Fahnen tragen sie in die Kriche. Die Männer sind in Tracht, tragen schwarze Scherpen über der Brust. Die Freiwillige Feuerwehr ist damit beschäftigt, die Gänge freizuhalten. Es gelingt ihnen kaum. Als die Kirchenglocken zum Trauergottedienst rufen und der Chor anstimmt, strömen die Menschen noch immer in das Gotteshaus. Zu ihrem Sepp.

Viele haben Tränen in den Augen

Die katholische Pfarrkirche St. Martin ist eine freundliche Barockkirche, viele Schnörkel, viel Gold, ein Gotteshaus, gehalten in Weiß und Rosé. Vor dem Hochaltar haben sich die Fahnenträger der Vereine aufgereiht. Bis zum letzten Platz ist das Gotteshaus gefüllt. Teilweise warten sie seit Stunden hier. Und doch müssen viele stehen. Es ist still in der Kirche. Jedes kleine Gemurmel ist zu hören, jedes Seufzen, jedes Schneuzen. Die grüne Fraktionschefin Renate Künast betritt die Kirche. Jetzt atmet sie tief durch. Sie ist blass. Viele haben Tränen in den Augen.

Trauerfeier in Waging am See: Sichtlich gerührt spricht Grünen-Chefin Claudia Roth vor der Trauergemeinde.

Sichtlich gerührt spricht Grünen-Chefin Claudia Roth vor der Trauergemeinde.

(Foto: Rolf Pross, Bayerischer Landtag)

Auf dem Platz vor der Kirche tragen sich noch immer Menschen in das Kondolenzbuch ein. Andere stehen einfach auf dem Rasen, hören über die aufgestellten Lautsprecher den Reden der Politiker zu. Einige richten ihren leeren Blick in die Ferne, andere verbergen ihre Augen hinter großen, dunklen Sonnenbrillen.

Es ist eine schlichte Messe, und eine bewegende. Schnörkellos, so wie Sepp Daxenberger war. Kein melancholisches Ave Maria wird gespielt, keine Sologeige ertönt. Ein gemischter Chor eröffnet die Eucharistiefeier mit einem einfachen Choral. Die Orgel spielt dazu.

Im Zentrum des Gottesdienstes steht der achte Psalm. Es sind Worte, die Gott für seine Schöpfung preisen, die Natur, die Daxenberger immer so wichtig war. "Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere." Es klingt wie die Lebensphilosophie des Verstorbenen.

48 Jahre wurde Sepp Daxenberger alt, viele Menschen, gerade in der Politik, haben zu diesem Zeitpunkt den Höhepunkt ihres Wirkens noch nicht erreicht. "Kein Alter zum Sterben", sagt Prälat Lorenz Wolf in seiner Predigt. Und doch müsse man erkennen, "dass es weniger darauf ankommt wie alt ein Mensch wird, sondern was er für uns ist". Für Gott spiele "dieses Kriterium Alter" keine Rolle.

So wie Daxenberger ist auch die Trauermesse ein wenig unkonventionell. Nach der Predigt setzen die Trompeten mit einem wehmütigen, in Mollakkorden gehaltenen Stück ein, das sich zu einem fröhlich, beschwingten Volkstanz steigert. Die Trauergäste lauschen andächtig.

"Sepp, Du bist Bayern"

Selbst auf dem Platz vor der Kirche hören sie zu. In dem kleinen Café ist kaum ein Platz. Doch auch hier spricht keiner. Alle gucken sie in Richtung Kirche. Andere sitzen in ihren Wohnungen an den geöffneten Fenstern. Passanten bleiben stehen, viele junge Menschen sind darunter. Daxenberger hat die Jungen begeistert, für einige war er der Grund, sich politisch zu engagieren.

Seine Parteichefin Claudia Roth spricht mit belegter Stimme. Von einer "Tragödie, wie sie nur das Leben schreiben kann". Sie erinnert an Daxenbergers Kampf für die Natur, für eine "Heimat, die offen ist und einlädt". Sie spricht ihn direkt an in ihrer Rede. Ein Bauer, der pflanzt, damit Dinge wachsen können - in der Landwirtschaft und in der Politik. Ein Politiker, der ohne Feindbilder auskommt. Einer von hier. "Sepp, Du bist Bayern."

Auch Barbara Stamm, die Landtagspräsidentin, kämpft sichtlich darum, die Fassung zu bewahren. "Sepp Daxenberger war ein Mensch und Kollege, den ich gerne früher gekannt - und später verloren hätte", sagt sie. "Über die Jahre hinweg sind wir uns in gegenseitiger Achtung und enger menschlicher Verbundenheit begegnet."

Zwei Stunden dauert die Trauerfeier. Dann öffnen sich die Türen der Kirche, die Fahnenträger kommen heraus, gefolgt von den Ministranten, dem Pfarrer, den drei Söhnen. Sie führen den Trauerzug an, der durch die Marktgemeinde zum Friedhof führt - hier soll Sepp Daxenbergers Urne in den nächsten Tagen beigesetzt werden. Dann geht wieder jeder seiner Wege.

Was nachhallt an diesem Tag, ist das Versprechen von Claudia Roth: "Wir werden alles tun, dass deine Ziele Wirklichkeit werden", hat sie in der Kirche gesagt. "Dass die Welt ein besserer Ort ist."

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