Süddeutsche Zeitung

Waging am See:Das bedrohte Idyll

  • Die Idylle am Waginger See trügt. Das Seewasser ist mit Phosphat belastet, das Grundwasser mit Nitrat.
  • 50 Milligramm Nitrat pro Liter sind maximal im Trinkwasser erlaubt. Beim Traunsteiner Wasserwirtschaftsamt ist man besorgt, weil die Werte trotz Anstrengungen nicht zurückgehen.
  • Grund für die hohen Werte ist die landwirtschaftliche Nutzung rund um den See. Die Schadstoffe stecken im Dünger und in der Gülle.

Von Heiner Effern, Waging am See

Besucher sind hier nicht erwünscht. Zwei lange Ställe, im Herbst sind nur die Dächer über dem mannshohen Mais zu erkennen. Daneben stehen runde, dunkelgrüne Kessel, wie man sie von Biogasanlagen kennt. Am Ende der Zufahrtsstraße kommt ein Auto aus dem Tor. Ein paar Sätze fliegen hin und her. Wenig später stellt der Mann, der seinen Namen nicht sagen will, sein Fahrzeug auf der Straße quer. Nichts geht mehr. Dann droht er mit Strafanzeige, weil man auf dem Rückweg in der Hofeinfahrt gewendet hat. Alles nur wegen der Frage nach dem Grundwasser. Oder: gerade deswegen.

Der Hof, auf dem niemand sprechen will, ist einer der größten Bauernhöfe der Region um den Waginger See. Immer wieder kommt die Rede auf ihn, wenn es um massenhaftes Ausbringen von Gülle und Dünger geht. Doch niemand wagt mehr als eine Andeutung. Also wirtschaftet der Hof unbehelligt vor sich hin. Die Region um den Waginger See sieht aus wie aus einer Werbebroschüre der CSU. Sanft geschwungene Hügel liegen hier im Voralpenland, in Blickweite die Gipfel der Berge. Der See bildet das malerische Zentrum, ringsum satte Wiesen und Felder. Auf einigen stehen Kühe, auf immer mehr wächst Mais. Ferienland im Sommer, Bauernland das ganze Jahr über.

Grenzwerte für Nitrat können nicht mehr eingehalten werden

Doch in dem Idyll lauert eine Gefahr: Das Seewasser ist mit Phosphat belastet, das Grundwasser mit Nitrat. "Wir beobachten die Region sehr genau", sagt Walter Raith, Chef des Traunsteiner Wasserwirtschaftsamtes. "Wenn wir ein Problem sehen, warnen wir davor." Wie beim Grundwasser. In der aktuellen Risikoprognose des Landesamts für Umwelt ist das Gebiet südlich des Waginger Sees zum ersten Mal gelb dargestellt. So sind Regionen markiert, in denen der Grenzwert für Nitrat im Grundwasser ab 2021 aller Voraussicht nach nicht mehr eingehalten werden kann.

"Wir haben das Gebiet gemeldet, weil wir manchmal mehr als 40 Milligramm Nitrat im Grundwasser haben", sagt Raith. 50 Milligramm pro Liter sind maximal im Trinkwasser erlaubt. Raith ist besorgt, weil die Werte trotz Anstrengungen nicht zurückgehen. "Manche sind sogar schlechter geworden." Der Grund für das Nitrat im Grundwasser ist der gleiche wie für das Phosphat im See. "Die landwirtschaftliche Nutzung", sagt Raith.

Die Lage am Waginger See spiegelt die Situation vielerorts in Bayern wider. In einem Drittel des Freistaats ist es so schlecht um das Grundwasser bestellt, dass es Vorgaben der EU nicht erfüllt. 2021 könnte dies bereits in fast 40 Prozent Bayerns der Fall sein.

Die Schadstoffe, die Wasser-Experten wie Raith so viel Sorgen machen, stecken im Dünger und der Gülle, die Bauern auf den Feldern ausbringen. Ist der Boden ein poröser Nagelfluh mit dünner Humusschicht wie südlich des Waginger Sees, sickert bei Regen Stickstoff als Nitrat ins Grundwasser. Ist der Boden lehmig und dicht wie direkt um den See herum, wird er vom Regen ausgewaschen und rauscht über Drainagen und Bäche in den See. Die Nährstoffe sind in geringer Konzentration ungiftig. Im See lassen sie aber massenhaft giftgrüne, schleimige Algen gedeihen. An manchen Tagen so viele, dass das Baden keinen Spaß mehr macht. Im Grundwasser sieht keiner, ob Nitrat enthalten ist. Nur Proben der Wasserversorger alarmieren manchmal die Öffentlichkeit.

"Der Waginger See ist wie ein Thermometer, an dem man genau ablesen kann, wie viel Dünger in das Wasser kommt", sagt Ulrich Kühn von der Initiative "Rettet endlich den Waginger See". Eine Petition mit 6700 Unterschriften haben er und seine Mitstreiter im Oktober im Landtag abgegeben, in der sie ein Sofortprogramm für den See fordern. Halbherzige Versuche habe es genug gegeben, sagt Kühn, nun müsse die Staatsregierung handeln. "Es passiert viel zu wenig, letzten Endes nullkommanix." Gesetzliche Vorschriften für ausreichende Abstände zwischen gedüngten Feldern und Seezuflüssen wären ein Anfang, sagt Kühn. Doch eigentlich "muss ein Strukturwandel erfolgen, wenn wir den See retten wollen". Der müsse von der Politik kommen. "Unsere Bauern stecken in einem Dilemma, das ist das Grausame."

Es ist die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft, die das Grundwasser rund um den Waginger See und den See selbst belastet. Angesichts des Konkurrenzdrucks schafften viele kleine Bauern in den vergangenen Jahren mehr Kühe an, sie wirtschaften intensiver. Dazu kommt die immer schärfere Konkurrenz um Wiesen und Äcker mit den Biogas-Bauern. Rolf Oehler, Vize-Chef des Landwirtschaftsamtes in Traunstein, erklärt: "Wenn die Fläche sehr knapp ist, kann ich nur über die Intensität rentabel wirtschaften."

Einen Ausweg aus der Nitrat-Falle gibt es nicht

Das Traunsteiner Amt ist als ein Verfechter der intensiven Landwirtschaft bekannt - sogar im Landwirtschaftsministerium. Vize-Amtschef Oehler weist das zurück: Ihm und seinen Leuten gehe es einzig darum, was für den einzelnen Betrieb gut sei. Die Entscheidung träfen letztlich die Bauern. Einen Ausweg aus der Nitrat-Falle sieht Oehler nicht. Außer: "Man müsste den Anbau von Mais in Problemzonen verbieten. Hundert Prozent Dauergrünland, das Problem wäre gelöst. Aber dafür müsste man die Bauern auch entsprechend entschädigen."

Rupert Helminger aus Hörafing hat sich für eine intensive Bewirtschaftung entschieden. 55 Milchkühe stehen in seinem Stall, dazu noch einmal die gleiche Menge an Jungvieh. Sechs Mal im Jahr mäht er seine Wiesen, wenig später bringt er jeweils Gülle aus. Helminger gehört zu den Bauern, die ihr Agrarland in der Risikozone für das Grundwasser haben. Für das Umstellen auf Öko müsste er die Zahl seiner Kühe deutlich reduzieren, sagt er. "Extensiv wirtschaften bringt hier auch nicht gleich die heile Welt." Helminger betont aber, dass er sich für den Schutz des Grundwassers engagiere, so wie 80 Prozent der Bauern hier. "Wir haben eine freiwillige Vereinbarung unterschrieben und 60 Hektar Acker in Grünland umgewandelt."

Zu dieser Freiwilligkeit trägt einen entscheidenden Teil die Surgruppe bei, ein regionaler Wasserversorger, der vier Brunnen im Problemgebiet unterhält. Der Wasserversorger tut das, was Umweltschützer vom Staat fordern: Er zahlt den Bauern Geld, wenn sie grundwasserschonend wirtschaften. Fast 130 000 Euro waren es 2013, sagt Geschäftsleiter Franz Hasholzner. Trotzdem, so sagt Hasholzner, sei es "schon ein Erfolg, wenn wir den Stand jetzt einfrieren".

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Quelle:
SZ vom 29.12.2014
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