Einer der zentralen Gründe, weshalb Gustl Mollath seit mehr als sieben Jahren in der geschlossenen Psychiatrie sitzt, gerät zunehmend in Zweifel: der Vorwurf der Reifenstecherei. Die 7. Große Strafkammer am Landgericht Nürnberg unter Vorsitz von Richter Otto Brixner hatte die Reifenstechereien Mollaths 2006 als erwiesen angesehen und als besonders gefährlich eingestuft, weil diese "meist erst auf der Fahrt entdeckt" worden sein sollen - und deshalb zu erheblichen Unfällen hätten führen können.
Der Regensburger Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl hat diesen Tatvorwurf in einem Entwurf für den Wiederaufnahmeantrag inzwischen regelrecht zerpflückt. Meindl kommt angesichts der Aktenlage zu der Bewertung: Für die Behauptung der besonders perfiden Art des Reifenzerstechens finde sich "nicht die geringste Stütze in der Beweisaufnahme". Und sie entspreche auch nicht "den tatsächlichen Gegebenheiten".
Wenn sich der Wahn auflöst
In dem im März 2013 tatsächlich eingereichten Wiederaufnahmeantrag kommt der Punkt "Reifenstecherei" so zwar nicht mehr vor. Dennoch ist der 17-seitige Entwurf, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, von immenser Sprengkraft. Schließlich wurde Mollaths Einweisung in die geschlossene Psychiatrie immer wieder mit "gefährlichem Wahn" begründet.
Seit der vermeintliche "Schwarzgeld-Wahn" - der sich als Einweisungsgrund jahrelang durch die psychiatrischen Stellungnahmen und Gutachten zog - nach Bekanntwerden des Hypo-Vereinsbank-Revisionsberichts kaum mehr ernsthaft behauptet werden kann, argumentiert Justizministerin Beate Merk (CSU) inzwischen nur noch mit der attestierten "Gemeingefährlichkeit" Mollaths: Dieser habe auf gefährliche Weise zahlreiche Reifen manipuliert.
So zumindest sah es das Gericht 2006 als erwiesen an - wenn es auch Mollath wegen Schuldunfähigkeit vom Tatvorwurf freisprach. Nur: Dürfen die Taten tatsächlich als erwiesen angesehen werden?
Vernichtende Auswertung
Meindls Auswertung der Mollath-Akten fällt vernichtend aus: Die Darstellung, dass die angeblichen Manipulationen an Autoreifen besonders perfide - weil besonders gefährlich - durchgeführt worden sein sollen, lasse sich wenn überhaupt nur in einem einzigen Fall von angeblicher Reifenstecherei behaupten, und "somit im Verhältnis zur Gesamtzahl in einer verschwindend geringen Menge von Fällen".
Zudem entbehre die "beleglose Behauptung", dass ein Reifenhändler, Gustl Mollath nämlich, "ein besonders fähiger Reifenstecher" sei, jeder Grundlage. Und zwar schon allein deshalb, weil "ein Reifenhändler Reifen verkauft und nicht Reifen zerstört" - wie der Oberstaatsanwalt angesichts der Akten offenbar bereits mit einem Zug ins Sarkastische anmerkt.
Somit sei die Darstellung im Urteil von 2006, durch die angebliche Tatausführung Mollaths - "nur geringe Stichbeschädigungen, langsames Entweichen der Luft aus den Reifen" - sei eine "konkrete Gefährdung des jeweiligen Fahrezeugbenutzers hervorgerufen" worden, schlicht unwahr.