Vom Flüchtling zum Chef:"Ich werde meine ersten 900 Mark nie vergessen"

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Dass er sich als Bayer fühlt, will der Albaner Artan Pojani, 52, lieber nicht sagen. Höchstens während des Oktoberfestes. "Ich fühle mich als Franke". (Foto: privat)

Artan Pojani kam vor 25 Jahren aus Albanien - und hatte einen schwierigen Start in Bayern. Heute leitet der Ingenieur seine eigene Firma und könnte Deutscher werden. Aber das will er nicht mehr.

Interview von Olaf Przybilla, Coburg

Artan Pojani kam vor 25 Jahren als Asylbewerber aus Albanien nach Deutschland. Im Jahr 2000 hat er in Coburg eine Firma gegründet: Powatec beschäftigt 29 Mitarbeiter, baut Schwimmbäder und hat einen Jahresumsatz von etwa fünf Millionen Euro.

SZ: Herr Pojani, was hat Sie vor 25 Jahren dazu bewogen, Albanien zu verlassen?

Artan Pojani: In Albanien regierte zu der Zeit eine orthodox kommunistische Partei, wir lebten in einer Diktatur ohne Meinungsfreiheit und mit geschlossenen Grenzen. Unsere einzige freiheitliche Quelle war das italienische Fernsehen. Ich sah einfach keine Zukunft in diesem Land.

Und wie kamen Sie nach Deutschland?

Polnische Geschäftskunden haben mich und meine Frau zu sich nach Hause eingeladen, wir machten dann in Polen unsere Flitterwochen. Dort haben wir die Gelegenheit genutzt und sind spontan über die Grenze. Vor 1990 wär' das nicht gegangen, unsere ganze Familie zu Hause wäre verhaftet worden. Aber in dem Jahr haben unsere Eltern gesagt: Macht das! Also sind wir nach Berlin. Dort hat man uns befohlen, nach Zirndorf aufzubrechen, in die Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber. Wenn ich heute darüber nachdenke: abenteuerlich.

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Wie haben Sie Zirndorf in Erinnerung?

Es war schmutzig, es war voll, viel zu viele Menschen auf viel zu wenig Raum. Aber verglichen mit Albanien? Wir hatten kein fließendes Warmwasser dort, Duschen kannten wir nur aus dem Hotel. Gemischte Gefühle also. Zum Glück ging es bald nach Coburg, in ein Mehrfamilienhaus. Da ging die Warterei los. Die ist das Schlimmste.

Was macht man da den ganzen Tag?

Die Gedanken kreisten ständig um die Zukunft, wir durften ja nicht arbeiten. Der Weg zurück nach Albanien kam aber nicht infrage, bis 1993 wäre man da als Verräter sofort in Haft genommen worden. Wir bekamen hier kein politisches Asyl, waren aber geduldet. Was konnten wir machen? Lernen, lernen, lernen, nichts anderes! Wir konnten ja null Deutsch. Aber mithilfe von Wörterbüchern kann man auch das lernen. Sprachkurse gab's da noch nicht.

Gab es den Gedanken: Haben wir wirklich alles richtig gemacht?

Oh ja. In Albanien konnt' ich arbeiten, hatte meine sozialen Netze. Es war verdammt hart und schwierig am Anfang.

Waren Sie enttäuscht?

Sowieso. Sehen Sie: Man hat kaum Kontakte, man kennt das Land nicht und die Leute nicht. Man sieht alles nur von außen, man ist irgendwie neidisch. Wir sind viel spazieren gegangen am Anfang, auch in Zirndorf. Man sieht die Häuser, man ist beeindruckt, man ist so happy, so was zu sehen. Aber irgendwann, klar, muss man die Wut bekämpfen: Ja, was mach' ich denn jetzt hier?

Wie haben Sie die Deutschen empfunden?

Ich sag' mal so: Wenn man die Kontakte nicht hat, gehen einem viele Dummheiten durch den Kopf. Das ist so. Aber wenn man plötzlich Gedanken austauschen kann, bekommt man ein anderes Bild: nett, hilfsbereit, freundlich. Anfang der Neunzigerjahre, als im Osten Asylbewerberheime brannten, hat die Familie Lutze-Fabisch zu uns Kontakt aufgenommen, aus Solidarität. Die wollten zeigen, dass die Deutschen nicht so sind, wie es damals aussah. Tolle Erfahrung. Wir sind bis heute befreundet. Das sind quasi die Großeltern meiner Kinder geworden. Wir sind wie eine Familie.

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Wie durften Sie erstmals arbeiten?

Wie jeder Migrant habe ich zunächst als Pizzabäcker gearbeitet, zuerst halblegal. Das Gute: Meine Pizza ist bis heute begehrt bei uns zu Hause. Hat schon was gebracht.

So lustig war es aber vermutlich nicht.

Es war überhaupt nicht lustig, ich war ja ein studierter Ingenieur. Aber egal: Ich werde meine ersten 900 Mark nie vergessen. Die hab' ich meiner Frau zu Hause auf den Tisch gelegt und gesagt: Schau, das habe ich verdient. Ein sehr, sehr gutes Gefühl.

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Wie ging es weiter?

Es war unmöglich, eine Stelle als Ingenieur zu finden. Ich hab' immer die Wahrheit geschrieben: Ich habe Diplom. Nur Absagen. Ich hatte das Gefühl, keiner nimmt das ernst. Später hab' ich die Taktik geändert und mich als Bauhelfer beworben. Als es damit geklappt hat, bekam ich eine Arbeitserlaubnis. Interessante Zeit: Der Vorarbeiter hat viel getrunken, ich musste die ganze Arbeit machen. Irgendwann kam es zum Streit. Das Schöne war, dass der Firmenchef mir geglaubt hat. Im Lauf des Gesprächs habe ich eine Beichte abgelegt: Ich bin kein Bauhelfer, ich bin Diplomingenieur. Er fiel fast vom Stuhl, wie im Kino.

Sie waren da immer noch Asylbewerber?

Nach 1993 gab es ja keinen Grund mehr, als Albaner um politisches Asyl zu bitten. Es gab eine Ausnahmegenehmigung für mich, weil die Firma keinen deutschen Bewerber mit meiner Qualifikation bekommen konnte. Im Jahr 2000 ging die Firma Konkurs, also gründete ich meine eigene. Ich bin übrigens immer noch albanischer Staatsbürger. Das ist wohl so eine Art innere Revolte. Jetzt könnt' ich Deutscher werden, jetzt will ich aber nicht mehr.

Was sagen Sie Leuten aus Albanien und Kosovo, die hierher kommen wollen?

Nahezu niemand aus diesen Ländern hat einen politischen Grund, sein Land zu verlassen. Nur sind diese Länder eben bitterarm. Aber ich warne alle davor, hierher zu kommen. Ich sage immer: Ihr seid freie Menschen, klar dürft ihr kommen. Aber ihr werdet nach maximal vier Monaten zurück müssen. Lohnt sich das wirklich?

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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