Volkssagen:Wo die Teufel Karten spielen

Volkssagen: Am Gipfel des "Hohen Sachsen" im Bayerwald haben Teufel sich gebadet. So heißt es in einer der Weihrazgeschichten, die Karl-Heinz Reimeier sammelt.

Am Gipfel des "Hohen Sachsen" im Bayerwald haben Teufel sich gebadet. So heißt es in einer der Weihrazgeschichten, die Karl-Heinz Reimeier sammelt.

(Foto: Stephan Gauer/mediendenk)

Im Bayerischen Wald erzählen sich die Menschen bis heute Weihrazgeschichten. Heimatpfleger Karl-Heinz Reimeier sammelt sie seit Jahrzehnten.

Von Lisa Schnell, Grafenau

Baumgerippe ragen in den Himmel gleich Hexenkrallen. Die Sonne glimmt aschfahl wie der kalte Mond. Durchs Gebälk pfeift der Wind, ein Wispern zwischen Tannen. Ein Ächzen, der Schnee beugt auch im April noch die dürren Äste. Gespenstisch wandert der Nebel über dunkle Wipfel. Draußen scheint sich der Bayerische Wald schon einzustimmen auf die Nacht zum ersten Mai. Die Walpurgisnacht, in der nackte Hexen durch die Lüfte schwirren. Drinnen, in der warmen Stube, senkt eine alte Frau ihre Stimme, blickt mit ernstem Blick in die Runde und fängt an zu erzählen. Von der Gschicht, seit der sie an Geister glaubt.

Anno 1912 wird's gewesen sein, ihre Mutter noch ein junges Mädel. Als Kindsmagd hat sie ausgeholfen in der Haarmühle. Recht viele Kinder warn's. Doch deren Mutter wurde krank. Sie sagte zu ihrem Mann: "Gej, wenn i amoi stirb, dann doats ma fei mei Brautkleidl anlegn." Das war schwarz wie die Nacht, so war es damals Brauch. Doch als der Tod sie holte, da lagen die Nachbarn dem guten Mann im Ohr: "Kinder waatn frouh um dös scheena Gwand. Leg ihr hoit a schlechtas a!" So tat er es.

Das Kleid wehte hin und her - wie von Geisterhand

Das ganze Dorf kam zur Totenwache. So viele, dass die Kindsmagd mit noch einem gehen sollte, um Stühle zu holen. Sie traten ein, die Verstorbene aufgebahrt auf dem Totenbrett, in schlechten Kleidern. Da konnten sie sich nicht mehr rühren, hörten vom Schrank ein Quietschen, der Schlüssel drehte sich im Schloss. Ein Knarren, die Tür öffnete sich. Drinnen das Brautkleid. Es wehte hin und her, als wenn der Wind es streicheln würde. Hin und her, immerzu - wie von Geisterhand.

So erzählt es die Alte mehr als 100 Jahre später in ihrer Bauernstube mit leuchtenden Augen. In der Ecke der Herrgottswinkel, getrocknete Blumen ums Jesuskreuz gewunden. Hier saß Therese Schwankl als kleines Kind, als die Mutter ihr zuraunte, wie sie selbst das Brautkleid hat wehen sehen. Hier erzählte sie es ihrer Tochter und die der ihren. Seit Generationen werden sie so weitergegeben, die Weihrazgeschichten im Bayerischen Wald.

Weiz, das ist "die Strafe der abgeschiedenen Seelen". Tote, die gefangen sind zwischen Diesseits und Jenseits, rastlos umherwandern, bis sie von ihren Sünden erlöst werden. Die Erzählungen spielen an gruseligen Orten: Der Friedhof, wo zu Mitternacht ein Zauberspiegel auf einem frischen Grab glitzert. Aber nur, wenn er vorher in den Sarg einer ledigen Wöchnerin gelegt wurde. Dann soll er die Gesichter derer zeigen, die einem Schlechtes wollen im Dorf. Oder aber die Brechhäuser. Dort wurde der Flachs getrocknet. Weil der schnell Feuer fängt, standen sie abseits vom Dorf. "Da hot ma gsündigt", erinnert sich Schwankl. Liebespaare, Räuberbanden, wer nicht gesehen werden wollte, traf sich dort. Auch die Teufel sollen hierher Männer zum Kartenspielen gelockt haben.

"So a Krampf", grummelt es vom Holzofen in der Ecke

"Die Gschicht is wirkle woah", so endet jede Weihrazerei. Immer will sie der Großvater, der Nachbar oder die eigene Mutter erlebt haben, wie bei Schwankl. Immer gibt es genaue Zeiten und Orte. Anders als Märchen streben die Volkssagen nach Wahrheit. So unbegreiflich es auch ist, wovon sie berichten. Von runzligen Weibern, den Druden, die mit spitzen, dünnen Fingern in der Nacht die Bettdecke hochkriechen, einen im Schlaf erdrücken. Von Krähen, die die Seele stehlen oder von einem Irrlicht, das immer da aufsteigt, wo ein Bauer seine Magd geschwängert und später sie und das Kind ermordet hat. "Ich sah es", schreibt ein Pfarrer vom "Hauslinger Licht" 1901 in die Pfarrchronik.

"Ein Pfarrer!", sagt Karl-Heinz Reimeier und macht eine Kunstpause. Glaubwürdiger geht es ja nicht. Reimeier ist Heimatpfleger von Grafenau, seit Jahrzehnten klappert er die Dörfer im Bayerwald ab, hält den Weihrazerzählern sein silbernes Aufnahmegerät unter die Nase. Was sie ihm anvertrauen, hat er in zwei Büchern aufgeschrieben. Wenn er bei Lesungen im flackernden Schein einer Petroleumlampe von umherirrenden Kinderseelen spricht, ist es ganz still. Seine Zuhörer halten die Luft an, wagen sich kaum zu rühren.

Dieses Frösteln, es ängstigt die Menschen und zieht sie magisch an. Heute, aber vor allem zu Zeiten, als es noch kein Fernsehen und Radio gab. In langen Winternächten, wenn der Mond schien und der Wind um die Häuser pfiff, kam das Dorf zusammen zum "Sitzweil" oder "Rockaroas" (Rocken ist der Spinnrocken, "Roas" die Reise.) Sie tanzten auf den Tischen, spielten "Sterndlgucka". Ein Dummer streckte die Nase zur Dachluke raus, statt Sternenhimmel bekam er einen Kübel Wasser ins Gesicht. Genug gelacht, zu später Runde gruselten sie sich um die Wette. Zum Zeitvertreib, aber nicht nur.

Wann man nicht zm Fensterln gehen sollte

"Weihrazen war auch eine erzieherische Maßnahme", sagt Reimeier. Er stapft durch den Schnee in den dunklen Bayerwald. Über ihm ziehen Krähen ihre Kreise. Reimeier bückt sich, wedelt den Schnee von einem moosbewachsenen Stein, in dessen Mitte ein geritztes Kreuz: ein Grenzstein. Die lagen für manchen so ungünstig, dass sie die Grenzmarke des nachts mal kurz verrückten, sich Elle um Elle mehr Land erschlichen. Doch gierige Seelen werden bestraft, so die Moral. Des nachts streifen sie, den Grenzstein unter dem Arm, durch den Wald und murmeln: "Wo soll er denn hi?" "Do wosdn hergnumma host, do tuastn wieder hi", ist die Antwort, die sie erlöst.

Dass man am Marien-Samstag vielleicht nicht zum Fensterln gehen soll, legt einem die Geschichte vom Sohn nahe, der, obwohl von der Mutter gewarnt, Samstagnacht zu seiner Liebsten aufbrach. Im Wald verfolgte ihn ein Höllenhund mit Teufelsaugen. Stundenlang harrte er auf dem Sockel eines Marienkreuzes aus, bis die Morgenglocken ihn erlösten. Auch als Ausrede lassen sich die Weihrazgeschichten gut gebrauchen. Wenn der Mann zu spät vom Wirtshaus kommt, dann natürlich, weil er auf eine Irrwurz getreten ist. Die wachsen über Kreuz und lassen einen im Kreis laufen. Nur, wer die Schuhe auszieht, bricht den Bann.

Eine Welt, wo die Ration zum Gott erhoben wurde

So einfach konnten sich Frauen, die als Druden oder Hexen verschrieen waren, nicht befreien. Der Ruf haftete an ihnen wie Pech und machte ihr Leben nicht selten zur Hölle. Zur Denunziation genutzt, zeigen die Weihrazgeschichten ihre wirklich dustere Seite. Oft waren es besonders hübsche Frauen, auf die andere neidig waren oder ein Mann eifersüchtig, weil er sie nicht haben konnte, sagt Reimeier. Nicht selten flohen sie die erdrückende Enge des Dorfes, um woanders ein neues Leben anzufangen. Heute aber, in einer entzauberten Welt, wo die Ratio zum Gott erhoben wurde, da denunziert sich der, der noch an Übersinnliches glaubt.

"Des hot d'Muatta selber erlebt", endet Schwankl ihre Geschichte. "So a Krampf", grummelt es vom Holzofen in der Ecke. Schwankl schickt ihrem Mann einen ernsthaft beleidigten Blick durch den Raum. "Viele haben sehr gelitten", sagt Reimeier. Oft ist er der erste, dem die Leute von ihren unheimlichen Erlebnissen erzählen. Nicht nur alte Geschichten, auch neue. Sie haben Angst, als Spinner dazustehen. Etwa die Frau, die ihn kürzlich anrief. Sie wohnt in einem alten Haus. Manchmal spürt sie noch die Seele des alten Mannes, dem es früher gehörte, sieht sogar die Kuhle in ihrem Bettlaken, wo er sitzt. Oder der Mann, der felsenfest versichert, in der Nacht drückt ihn die Drude.

Reimeier glaubt ihnen, dass sie gesehen haben, was sie erzählen. Ob er selbst an Geister glaubt? Eigentlich eher weniger. Obwohl, da gibt es diese eine Geschichte vom Schreibtisch seines Großvaters. Nach seinem Tod stellte er ihn schief ins Zimmer. Am nächsten Tag aber stand er wieder genau dort, wo sein Großvater ihn hingestellt hatte. Dreimal verrückten sie ihn wieder, dreimal fand er von alleine seinen ursprünglichen Platz. "Wirkle woah", sagt Reimeier.

Volkssagen: Die ausgedehnten Wälder in Ostbayern flößten den Menschen Angst ein. Hier entstanden viele Sagen - die Weihrazgeschichten.

Die ausgedehnten Wälder in Ostbayern flößten den Menschen Angst ein. Hier entstanden viele Sagen - die Weihrazgeschichten.

(Foto: Stephan Gauer/mediendenk)
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