Süddeutsche Zeitung

Herbstfest Rosenheim:Fluch der Attraktivität

Das Rosenheimer Herbstfest feiert dieses Jahr sein 150. Jubiläum. Vieles hat sich seit damals verändert, doch der Rummel ist nicht nur für die Einheimischen so attraktiv wie nie zuvor.

Heiner Effern

Für den alteingesessenen Rosenheimer ist eines selbstverständlich: Zum Ende der Sommerferien fährt er nicht in den Urlaub. Da können die Strände noch so leer sein und die Zimmerpreise noch so günstig - nichts lockt ihn dann über die nahen Alpen. Die Rosenheimer können um diese Zeit nicht wegfahren, weil sie aufs Herbstfest gehen. Das war schon so, als sie als Buben oder Mädchen eine Runde drehten.

Und das ist jetzt noch so, wenn sie sich mit Freunden auf der Wiesn verabreden. Oktoberfestkenner können ihren Puls gleich wieder entschleunigen, von einem Plagiat kann nicht die Rede sein: Auch in Rosenheim gibt es eine traditionelle Festwiese: Vor 150 Jahren, vom 15. bis 17. September 1861, fand auf der Loretowiese das erste Volksfest statt. Am Freitag hat, einen Tag früher wegen des Jubiläums, die Ausgabe 2011 mit einem Festzug begonnen.

Trotz Bonustages und Jubiläumsprogramms wird es auch diesmal sein wie immer: Die Gebirgler kommen in ihrer authentischen Tracht herunter, auch die jungen Dirndl und Burschen aus der Stadt und der Region holen seit einigen Jahren zum Wiesngang das traditionelle Festgewand aus dem Schrank. Die Stimmung ist gemütlich, weniger aufgeregt wie auf der großen Wiesn in München, Kinder können sich noch ohne Angst um ihr Leben alleine herumtreiben.

Und die Blasmusik dröhnt noch nicht so brachial, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Das spezielle Rosenheimer Gefühl manifestiert sich auch in den Biergärten. Dort soll einmal ein Preuße unter einer Linde geklagt haben, ein Vogel habe ihm ins Bier gemacht. Daraufhin antwortete ihm ein Eingeborener: "Sans froh, dass koa Kuah auf am Baum droben ghockt is."

Aber die Rosenheimer spüren von Jahr zu Jahr mehr, dass diese spezielle Atmosphäre sich selbst frisst: Immer mehr Besucher kommen von Südtirol bis Baden-Württemberg hierher, mehr als eine Million Besucher zählte der Veranstalter, der wirtschaftliche Verband der Stadt und des Landkreises Rosenheim, zuletzt. Und der Einheimische registriert, dass es immer schwieriger wird, überhaupt einen Sitzplatz zu bekommen, geschweige denn den Stammplatz.

"Das schmeckt den Rosenheimern nicht unbedingt, wenn sie ohne Reservierung keinen Platz mehr bekommen", sagt Max Fahrenschon, 49, Chef des Schaustellerverbandes in Rosenheim. Fahrenschon ist einer, der wissen muss, wie es in der Seele des Rosenheimer Wiesngängers ausschaut: Seit 1925 ist seine Familie auf dem Volksfest vertreten, der Urgroßvater wohl schon mit einer russischen Schaukel, diesmal er selbst mit einem Kinderkarussell und sein Vater mit einem Schießstand. "Das Herbstfest ist in der Stadt und Region so tief verankert, dass es die Einheimischen als ihr Privatvolksfest sehen", sagt Fahrenschon.

Gleichzeitig sind sie aber auch stolz, dass ihr Herbstfest auch im erdrückenden Schatten der nur 50 Kilometer entfernten Landeshauptstadt leuchtet. "Eishockey, Rosenheim Cops und das Herbstfest, das verbinden viele mit Rosenheim", sagt Walter Leicht, Leiter des städtischen Museums. Zum Jubiläum hat er mit seinem Team die Geschichte des Herbstfests erforscht, anfangen konnte er, als alter Rosenheimer, gleich bei sich: Jedes Jahr geht er auf die Wiesn - allerdings nur in Rosenheim.

"Auf dem Oktoberfest war ich nicht mehr seit dem Studium", sagt er. Zu voll, zu stressig. Einzigartig sei die Lage in der Innenstadt, viele Einheimische kämen zu Fuß oder mit dem Radl. "Man kennt sich auf der Wiesn, das taugt uns." Aber auch ein Kenner wie Leicht hätte vor seinen Recherchen manche Wette verloren. Wie vielen Traditionalisten stieß ihm das stark aufkommende Weingeschäft übel auf. Aber: "Eine Weinbude gab es bereits beim ersten Volksfest 1861", musste er lernen.

Und mit noch einem Missverständnis räumt der Historiker Leicht auf. "150 Jahre Herbstfest heißt nicht, dass es zum 150. Mal stattfindet." Anfangs war es wie andere Volksfeste stark wirtschaftlich als Gewerbeschau ausgerichtet. König Max II. förderte solche Veranstaltungen in ganz Bayern, um die Ökonomie anzukurbeln. Alle fünf Jahre sollte eine solche Leistungsschau in Rosenheim stattfinden, Kriege, Wirtschaftskrisen und Seuchen ließen die Termine jedoch immer wieder platzen.

Von Anfang an bis heute eine Konstante ist die Loretowiese. Schon in den Jahrhunderten davor erlebte sie manches schaurige Spektakel, lange wurden hier sündige Rosenheimer geköpft. Auf der Premiere 1861 wetteiferten Viecher und Dienstboten um Preise. Der Sieger bei den Schweinen (Kategorie männlich, englisch) erhielt fünf Mark, die Dienstboten nur eine Medaille. Das Pferderennen musste ausfallen, weil nur ein Reiter antrat.

1888 kamen schon 12 000 Besucher, aßen 50 000 Würstl und tranken 40 000 Maß Bier. Um 1900 trat die Belustigung des Volks in den Vordergrund. 1909 bearbeiteten sich zum Beispiel die Kämpfer des Männerstemmvereins Bavaria, in Rosenheim fanden später zeitgleich zur Wiesn Pferde-, Windhund- und Radrennen statt. Erst von 1950 an wurde das Herbstfest jährlich abgehalten. Damals schon mit dabei war Franz Steegmüller, heutiger Seniorchef der Brauerei Flötzinger. Eine seiner ersten Erinnerungen sind die gebratenen Schweinswürstl, die er nach dem Krieg auf dem Herbstfest essen durfte.

Heute empfängt er in der Brauereibox von früh bis spät Ehrengäste, die neben den 8000 Besuchern ins Zelt kommen. Seit Generationen haben der Flötzinger- und der Auerbräu (7000 Plätze) die Daumen auf der Bewirtung, über Fremdanbieter wird nicht diskutiert. Der Bierpreis bleibt konstant bei 7,40 Euro pro Maß, sagt der Bräu Steegmüller, für den wie für alle Rosenheimer gilt: "Das Herbstfest ist ein Muss."

Die Ausstellung "Lockruf & Tradition" im Stadtmuseum Rosenheim (Ludwigsplatz 26) läuft bis 11. September, Di-Sa 10-17 Uhr, So 13-17 Uhr (das Buch "Lockruf & Tradition" ist dort zu erhalten).

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Quelle:
SZ vom 27.08.2011/wib
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