Naturschutz:Mehr Kiebitze braucht das Land

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Ein Kiebitz mit einem Jungen. (Foto: M. Woike via www.imago-images.de/imago images/blickwinkel)

Einst waren die schwarz-weiß-gefiederten Bodenbrüter mit dem markanten Schopf weit verbreitet in Bayern. Seit einiger Zeit aber ist die Art stark gefährdet. Nun startet ein Hilfsprogramm für die Vögel.

Von Christian Sebald

Im Naturschutz liegen Erfolg und Scheitern eng beieinander. Ein plastisches Beispiel dafür ist das Kiebitz-Projekt des Bundes Naturschutz (BN) im oberbayerischen Seefeld. Wie anderswo in Bayern war auch dort die Wiesenbrüter-Art mit dem markanten, schwarzen Federschopf am Hinterkopf vor gar nicht so langer Zeit noch weit verbreitet. Vor sieben Jahren allerdings war der lokale Bestand fast komplett zusammengebrochen. Gerade mal drei Altvögel zählten der lokale BN-Chef Günter Schorn und seine Ehrenamtlichen rund um Seefeld. Die Befürchtung war groß, dass auch sie alsbald aus der Region verschwinden. Das sollte nicht passieren. Schorn und seine Ehrenamtlichen starteten ein kleines Artenhilfsprogramm und begannen die winzige Restpopulation aufzupäppeln.

"Wir überzeugten den Bauern in dem Brutgebiet, auf seinen Äckern später auszusäen und außerdem nasse Stellen auf ihnen frei zu lassen, wie sie die jungen Kiebitze brauchen", berichtet Schorn. "Und wir umgaben die Nester weiträumig mit 1,20 Meter hohen Elektrozäunen. So haben wir Füchse, Marder und andere kleine Raubtiere von den Gelegen fern gehalten." Vor allem aber waren die BN-Leute täglich in dem Brutgebiet präsent und sorgten dafür, dass die Vögel möglichst ungestört geblieben sind - von freilaufenden Hunden ebenso wie von Spaziergängern oder Radlern. "Der Erfolg war sensationell", sagt Schorn. "Binnen vier Jahren hatten wir 13 Altvögel in Seefeld, 2019 zählten wir dort samt Nachwuchs 20 Kiebitze."

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Die Freude war schnell vorbei. Der Bauer wollte plötzlich seine Felder wieder wie früher bewirtschaften, der BN musste sich Anfang 2020 aus dem Artenhilfsprojekt zurückziehen. Die Folgen für die Seefelder Kiebitze: Seither waren all ihre Bruten vergeblich. Kein einziger Jungvogel, der seither geschlüpft ist, ist flügge geworden. Alle fielen Raubtieren zum Opfer. Das hatte natürlich auch Konsequenzen für die Altvögel. "Ihre Zahl ist inzwischen um die Hälfte geschrumpft", sagt Schorn, dem man am Telefon deutlich anhört, wie enttäuscht er über die verlorene Liebesmüh ist.

Anderswo in Bayern steht es nicht minder dramatisch um die Kiebitze. "Wir haben aktuell im Freistaat vielleicht noch 6000 bis allerhöchstens 9500 Brutpaare", sagt Jan Skorupa, 38 und Biologe bei der Naturschutzorganisation LBV. "Bundesweit rechnet man damit, dass die Bestände in den letzten 25 Jahren um fast 90 Prozent zurückgegangen sind." In den Roten Listen Bayerns wie des Bundes wird Vanellus vanellus, wie der wissenschaftliche Name des Kiebitz lautet, längst als stark gefährdet geführt.

"Der Kiebitz soll aber unbedingt ein Bayer bleiben", sagt Skorupa. Deshalb hat der LBV jetzt ein überregionales Artenhilfsprojekt gestartet. Es erstreckt sich vor allem auf den niederbayerischen Gäuboden und das Isartal bei Dingolfing. "Denn dort haben wir noch vergleichsweise große Populationen mit mehreren hundert Brutpaaren", sagt Skorupa. Außerdem soll das Projekt, das vom Agrarministerium unterstützt wird, bayernweit lokale Initiativen wie die in Seefeld miteinander vernetzen.

Spektakuläre Balzflüge

Der Kiebitz ist eigentlich ein Vogel der feuchten Wiesen und Moore. Einst war er entlang der Donau, der Isar und des Inns, aber auch der Altmühl, im fränkischen Aischgrund und an den anderen Flüssen in Bayern anzutreffen. Überall dort waren von März an seine charakteristischen Kiwit-Rufe zu hören, von denen sich sein Name ableitet. Und mit ein wenig Glück konnte man auch seine spektakulären Balzflüge beobachten, wobei seine breiten Flügel im Flug eher wenig elegant wirken. Aber es ist beeindruckend, wenn die Vögel zuerst steil aufwärts fliegen, sich dann aus großer Höhe fallen lassen und dann kurz vor dem Boden wieder hinauffliegen. Kiebitze brüten in Kolonien, die Brutzeit geht von März bis Ende Juni. Sie bauen ihre Nester im offenen Land, am Boden, die Vegetation drum herum darf nur nicht zu hoch sein. Da feuchte, naturnahe Wiesen inzwischen sehr selten sind, weichen sie inzwischen zumeist auf Äcker aus.

Die moderne Landwirtschaft mit ihren immer größeren Schlägen und den ausgeräumten Landschaften ist denn auch der Hauptgrund für die dramatischen Verluste gerade in den vergangenen 50 Jahren. "Wenn die Weibchen ab Ende März ihre Eier ablegen, beginnt gleichzeitig die Arbeit auf den Feldern", sagt der Biologe Skorupa. "Da gehen dann viele Gelege verloren, sie werden umgeackert oder überfahren." In aller Regel unabsichtlich. "Die Bauern können die mit Gras ausgepolsterten Nester von ihren hohen Traktoren aus nicht erkennen", sagt Skorupa. "Dazu sind sie in den Bodenmulden einfach zu gut getarnt." Aber das ist es nicht alleine. Den Kiebitzen geht in den inzwischen vielerorts monotonen Agrarlandschaften schlicht die Nahrung aus. Als Insektenfresser sind sie von dem immensen Insektenschwund dort massiv betroffen.

Auf die Bauern kommt es an

Im Rahmen seines Artenhilfsprojekts will der LBV denn auch vor allem bei den Bauern für eine Kiebitz-freundliche Landwirtschaft werben. "Ganz wichtig sind sogenannte Kiebitzinseln oder Kiebitzfenster", sagt der LBV-Mann Skorupa. "Also Flächen in den Äckern, die frei von Feldfrüchten und dem Kiebitz überlassen bleiben." BN-Mann Schorn sagt vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen, dass diese Kiebitzinseln wenigstens einen Hektar groß sein sollten. Dazu fordern die beiden eine spätere und vor allem lockere Aussaat, damit sich die Jungen zwischen den aufkeimenden Mais- oder Getreidepflänzchen leicht hin- und herbewegen und zwischen den Saatreihen durchschlüpfen können. Außerdem brauche es nah an den Nestern Nassstellen für die jungen Kiebitze, die ja nicht - wie die Elterntiere - zu einer Pfütze oder anderen Tränke fliegen können, zumindest nicht in den ersten Wochen.

Im Gäuboden und im Isartal bei Dingolfing ist das Kiebitz-Projekt inzwischen angelaufen. Dort suchen LBV-Leute gemeinsam mit Landwirten die Äcker nach Kiebitzpaaren und Nestern ab und zäunen sie ein, damit die Elterntiere und ihre Gelege möglichst gut geschützt sind. Und es haben sich auch schon einige Landwirte gefunden, die auf ihren Äckern Inseln für die Kiebitze anlegen, statt sie bis auf den letzten Quadratmeter zu bestellen.

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