Visionen: Weltuntergang:''Wer den Staub einatmet, stirbt"

Seit Jahrhunderten gibt es Weltuntergangsvisionen - von Künstlern wie Albrecht Dürer oder Sehern wie dem Mühlhiasl. Durch die Atomkatastrophe in Japan wirken sie beklemmend aktuell.

Hans Kratzer

Wir schreiben das Jahr 1525, es sind die friedlichen Tage nach Pfingsten. Ausgerechnet da wird der Nürnberger Künstler Albrecht Dürer "zwischen dem mittwoch und pfinzdag in der nacht im schlaff" von einem wundersamen Traum heimgesucht. Er blickt in eine flache, öde anmutende Landschaft, über der eine pilzförmige schwarze Wolke hängt. Sie war blitzartig aufgeschossen und bedeckte in kurzer Zeit den Horizont. Unter dem tiefen Eindruck dieses Traumgesichts greift der aus dem Schlaf aufgeschreckte Dürer zu Papier, Feder und Tusche und lässt damit, ein halbes Jahrtausend später, auch uns teilhaben an diesem Mysterium, das den Maler kurz vor seinem Tod ereilt hat.

Explosion der Atombombe in Nagasaki

Künstler wie Albrecht Dürer oder Seher wie der Mühlhiasl haben vor hunderten von Jahren den Weltuntergang vorhergesagt und beschrieben. Immer wieder tauchen in diesen Szenarien atomare Wolken auf.

(Foto: dpa)

Die kunsthistorische Literatur hat den merkwürdigen Dürer-Traum nie überbewertet, aber es ist doch immer wieder darüber geschrieben und spekuliert worden, vor allem unter dem Eindruck der ersten Atombomben. Dürers Zeichnung wird seither auch dahingehend interpretiert, dass der Künstler visionär die Wirkung einer Atomexplosion vorausgesehen habe. Winfried Ellerhorst hat auf diesen Zusammenhang schon 1951 in seinem Buch "Prophezeiungen über das Schicksal Europas" hingewiesen.

Bemerkenswert ist auch der Text, den Dürer unter seine Darstellung gesetzt hat. Dort beschreibt er analog zur Zeichnung jenes Schreckensereignis, dass mit größter Geschwindigkeit, Wind und Brausen auf die Erde niederfiel und ihn selber am ganzen Leib erzittern ließ. In Dürers Weltbild konnte, eine Ewigkeit vor dem Atomzeitalter, jene ungezügelte Urgewalt freilich nur Wasser sein:

Im schlaff hab ich dis gesicht gesehen wy fill großer wassern vom himell fillen. Und das erst traf das erdreich ungefer 4 meill fon mir mit einer solchen grausamkeit mit einem übergrossen rauschn und zersprützn und ertrenckett das ganz lant.

Unwillkürlich kommen einem bei diesen Zeilen die Bilder des verheerenden Tsunamis und der Atomkatastrophe in Japan in den Sinn. Die Münchner Neue Zeitung erkannte vor mehr als 60 Jahren ebenfalls Parallelen zu Japan. Das Blatt veröffentlichte in seiner Ausgabe vom 19. August 1946 - vermutlich unter dem Eindruck des ersten Atombombenabwurfs in Hiroshima - eben diese Dürer-Skizze und stellte ihr Bildberichte aus dem verwüsteten Hiroshima gegenüber. Den Redakteuren war schon damals aufgefallen, wie sich hier Vision und Wirklichkeit in verblüffender Weise decken.

Hellseherei, Visionen und Prophezeiungen in Bayern Tradition

Hellseherei, Visionen und Prophezeiungen - diese Phänomene haben in Bayern eine lange Tradition. Vor allem in den Waldgebieten Ostbayerns und Böhmens existieren seit Jahrhunderten Berichte von Sehern und Visionären, die auf oft drastische Art und Weise den Weltuntergang beschreiben. Waldpropheten wie der Mühlhiasl sind, so umstritten sie und ihre Aussagen auch sein mögen, ein Teil der Geschichte dieses Landes.

In vielen Weissagungen waren natürlich Scharlatanerie und dunkler Aberglaube im Spiel. Die Menschen, die in abgelegenen Orten lebten, ohne Strom, Fernsehen und Internet, waren mit Schauergeschichten und Vorhersagen leicht zu beeindrucken. Und doch gibt es genügend Texte, die es wert sind, wegen ihres erstaunlichen Inhalts kritisch geprüft zu werden. Nicht selten lesen sie sich, als habe der Verfasser einen atomaren Unfall vorhergesehen.

Autoren wie Reinhard Haller, Wolfgang Johannes Bekh und Manfred Böckl haben diese Berichte schon vor Jahrzehnten gesammelt und publiziert. Vor dem Hintergrund der atomaren Bedrohung in Japan wirken sie beklemmend aktuell. Zumal erst vor wenigen Tagen der katholsiche Philosoph Robert Spaemann vor blindem Geschichtsoptimismus gewarnt hat und die bayerischen Bischöfe einen Ausstieg aus der Atomindustrie gefordert haben. "Bisher sind noch alle Zivilisationen zugrunde gegangen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass es mit unserer ebenso gehen wird", sagte Spaemann, der damit durchaus im Einklang steht mit der düsteren Skepsis der bayerisch-böhmischen Visionäre aus längst vergangener Zeit.

"Denn die Leut' werden so wenig werden, dass man sie leicht zählen kann.''

Dem populärsten bayerischen Propheten, der Mühlhiasl genannt wird, aber biographisch nicht richtig greifbar ist, wird im späten 18. Jahrhundert ein Zitat zugeschrieben, das auf einen atomaren Unfall hindeuten könnte: "Denn die Leut' werden so wenig werden, dass man sie leicht zählen kann. Man wird nicht wissen, wie sie umgekommen sind", soll der Mühlhiasl gesagt haben, in dessen Visionen der "Bankabräumer" eine große Rolle spielt:

Wenn er kommt, dann werden die Leut krank und kein Mensch kann ihnen helfen. Es wird erst vorbei sein, wenn kein Totenvogel mehr fliegt. Wenn einer in der Dämmerung eine Kranawittstaudn (Wacholder) sieht, geht er darauf zu, um zu sehen, ob's nicht ein Mensch ist, so wenig sind noch da.

''Wer den Staub einatmet, stirbt.''

Der Seher Alois Irlmaier aus Freilassing (1894-1959), der schwer unter seiner visionären Veranlagung gelitten hat und dessen heilerisches Wirken bis heute nicht erklärt werden kann, hat für Bayern schon vor Beginn des Atomzeitalters eine atomare Verstrahlung prophezeit. Irlmaier sprach von radioaktiv verseuchtem Staub in der Luft und von kontaminiertem Wasser und Lebensmitteln. Er gab auch Ratschläge, wie sich die Menschen nach einer Nuklearkatastrophe verhalten sollten:

Geht nicht hinaus aus dem Haus! Wer den Staub einatmet, stirbt. Alle offenen Wasser werden giftig. Und alle offenen Speisen. Draußen geht der Staubtod um.

Es fällt auf, dass Hellseher aus dem ostbayerisch-tschechischen Grenzgebiet schon vor hundert Jahren Ahnungen aussprachen, die sich auf eine Atomkatastrophe in diesem Gebiet beziehen. Der Bauernknecht Sepp Wudy (1870-1915) verkündete vor dem Ersten Weltkrieg bildreiche Szenarien, die an einen nuklearen Unfall denken lassen:

Dann sitzt du vorm Wassergrandl und dich dürscht und du darfst das Wasser nicht trinken, weil es dein Tod wär. Und du sitzt vorm Brotlaib und dich hungert und du darfst nicht essen, es wär dein Tod.

''Wenn die Haare ausfallen, hat es dich erwischt.''

Verblüffend hört sich auch folgende Prophezeiung Wudys an: Die Luft frisst sich in die Haut wie ein Gift. Wenn dir die Haare ausfallen, hat es dich erwischt.

Der Böhmerwald werde einmal versengt werden wie ein Strohschübel, kündigte Wudy an, der aus jener Gegend stammte, in der heute der Kernreaktor von Temelin steht. Von dort stammte auch der Bayerwaldprophet und Hirte Prokop, der eigentlich Josef Schmid hieß (1887-1965). Seine Visionen klingen ähnlich beklemmend wie jene des Sepp Wudy:

Einmal seh ich, wie der Wind das Feuer daherbringt und alle Bäume brennen wie die Zündhölzl. Ein andermal seh ich, dass drunten alles verkommen ist. Kein Mensch ist mehr da und kein Haus. Bloß noch Mauertrümmer. Und alleweil wieder kommen Wolken, feuerrot. Und es blitzt, aber es donnert nicht. Und nachher ist wieder der Himmel gelb wie eine Zitrone und so tief herunten. Kein Vogel singt mehr.

Der kürzlich verstorbene Schriftsteller Wolfgang Johannes Bekh hat sich sein Leben lang mit den Aussagen der bayerisch-böhmischen Propheten beschäftigt und an deren Visionen nicht gezweifelt: "Dass es die Gabe der Präkognition, der Schau in die Zukunft gibt, unterliegt keinem Zweifel. Ich vermute", sagte Bekh vor mehr als 30 Jahren in einem Interview, "dass gegen die Katastrophe, die kommt, alle bisherigen Katastrophen, Dammbrüche und Schiffsuntergänge ein Kinderspiel waren. Ich vermute, dass Sonnenenergie und Windrad zu Ehren kommen" (womit er richtig lag), "und dass Nostalgie auf eine sehr harte Weise Wirklichkeit wird." Aber, so setzte der Schriftsteller dagegen: "Dum spiro spero - solange ich atme, hoffe ich."

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