Vilsbiburg:Wenn Wasseradern angeblich Krebs auslösen

Vilsbiburg: Vilsbiburger Honoratioren begleiteten Pohl 1929.

Vilsbiburger Honoratioren begleiteten Pohl 1929.

(Foto: Stadtarchiv Dachau)

Vor 90 Jahren wollte Gustav Freiherr von Pohl mit einem seltsamen Versuch beweisen, dass unterirdisches Wasser in Vilsbiburg Krankheiten verursacht. Schon damals zweifelten viele an seinem Vorgehen.

Von Hans Kratzer, Vilsbiburg

Die Stadt Vilsbiburg (Kreis Landshut) hat vor 90 Jahren, im Januar 1929, ein Experiment erlebt, das großes Aufsehen erregt hat und selbst heute noch heftige Kontroversen entfacht. Der aus Dachau stammende Wünschelrutengänger Gustav Freiherr von Pohl (1873-1938) hatte damals den Auftrag erhalten, für die Vilsbiburger Brauerei nach Wasser zu suchen. Pohl bemerkte dabei auch eine aufsteigende Feuchtigkeit im Mauerwerk mancher Häuser, die er auf Wasseradern zurückführte. Als erfahrener Rutengänger war Pohl überzeugt davon, dass die Bewohner von Häusern, die von Wasseradern berührt werden, anfällig für Krankheiten seien. Neben der Brunnensuche hatte sich Pohl deshalb auf das Auffinden von angeblich krankmachenden Zonen spezialisiert.

Pohl bot den Vilsbiburgern eine Untersuchung an, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und Wasseradern im Ort aufklären sollte. Umstritten war diese Frage schon damals. Vilsbiburg hatte im Jahr 1929 etwa 3000 Einwohner und 900 Haushalte. Häuser und Wohnungen wurden selten gewechselt, weshalb Pohl hier ideale Voraussetzungen für seine Untersuchung vorfand. Die Markträte verlangten aber vorher, dass er - quasi als Beweis seiner Fähigkeiten - fünf Blitzeinschlagspunkte lokalisieren sollte, von denen es keine Spuren mehr gab. Pohl entdeckte sie alle präzise.

Scharf beäugt von der Presse, startete Pohl mitten im Winter sein Experiment, wobei ihn auf seinen Routen durch das verschneite Vilsbiburg der Bürgermeister, Vertreter der Polizei und einige Gemeinderäte begleiteten. Ein Amtsarzt wurde beauftragt, sämtliche Krebsfälle der vergangenen zehn Jahre zu dokumentieren. Pohl begann nun ohne Kenntnis dieser Sterbefälle mit seinen Drahtruten Wasseradern ausfindig zu machen und diese mit Bleistift in einer Karte einzutragen. Am Ende wurden diese Daten unter Aufsicht mit den Leichenschauscheinen verglichen. Auf diese Weise wollte Pohl beweisen, dass es einen Zusammenhang von Wasseradern und speziell von Krebserkrankungen gibt.

Das im Vilsbiburger Stadtarchiv verwahrte Protokoll enthält durchaus eine Überraschung. Dort ist nämlich nachzulesen, "dass Freiherr von Pohl der Nachweis, dass Todesfälle an Krebs ausnahmslos in Häusern, beziehungsweise Zimmern, beziehungsweise Betten erfolgen, die über besonders starken unterirdischen Wasserläufen stehen, im vollsten Maße gelungen ist".

Die Auswertung von Pohls Karte ergab, dass alle Betten der 54 vom Amtsarzt ermittelten Krebsopfer auf jenen Wasseradern standen, die Pohl eingezeichnet hatte. Weiter heißt es im Protokoll: "Soweit der über die Todesfälle orientierte 1. Bürgermeister J. Brandl an der Begehung teilnahm, hat, wenn Freiherr von Pohl ein Haus als krebsgefährlich bezeichnete und in diesem auch ein (oder bei mehrstöckigen Häusern zwei übereinander liegende) Zimmer und in diesem von außen auch die Stellung und Lage des Sterbebettes angab, eine Besichtigung der betreffenden Häuser stattgefunden. Die von außen erfolgte Angabe des Freiherrn von Pohl hat sich durch Befragung des Herrn 1. Bürgermeisters bzw. des begleitenden Polizeibeamten bei den Nachkontrollen der Verstorbenen in jedem Falle ausnahmslos als richtig erwiesen."

Herausragender Wissenschaftler oder Scharlatan?

So spektakulär Pohls Untersuchung aus heutiger Sicht auch angelegt war, die Zweifel an seiner Arbeit konnte er nicht ausräumen. Seine Forschungsergebnisse veröffentlichte er 1932 in seinem Buch "Erdstrahlen als Krankheits- und Krebserreger", das noch Jahrzehnte später aufgelegt wurde. Dort schreibt er: "Bis 1929 hatte ich im Laufe von 25 Jahren schon bei einer größeren Zahl von Einzelfällen feststellen können, dass die Betten von an Krebs Verstorbenen ohne Ausnahme in einer sehr starken negativ-elektrischen Erdstrahlung standen ... Über meine Untersuchungen und Befunde habe ich mich selbstverständlich schon damals mit befreundeten Ärzten unterhalten, fand aber bei keinem einzigen Verständnis und Interesse für meine Beobachtungen. Immer wieder wurde mit vorgehalten, dass es sich ... um Zufälle handeln müsse. Ich habe mich durch diese Unglaubwürdigkeit der Ärzte niemals beirren lassen!"

Unter anderem wurde Gustav von Pohl vorgehalten, seine Ergebnisse seien schon deshalb wenig stichhaltig, da in einer vom Wasser umgebenen Stadt wie Vilsbiburg Treffer praktisch automatisch zustande kämen. Die Rutengängerei kam außerdem durch dubiose Geschäftemacherei einiger Vertreter in Verruf. Auch in Vilsbiburg kehrte deshalb in Sachen Erdstrahlenforschung wieder Ruhe ein. Höchstens, dass nach dem Krieg gelegentlich der Wassersucher Alois Irlmaier aus Freilassing geholt wurde. Irlmaier, dem hellseherische Fähigkeiten nachgesagt wurden, spürte mit großem Erfolg mögliche Brunnenstandorte auf. Ganz zum Erliegen kam dieses Geschäft nie. Die Dienste von Wünschelrutengängern und Brunnensuchern werden auch heute noch in Anspruch genommen.

Im Oktober 1972 maß schließlich der erfolgreiche Rutengänger Jakob Stängle aus Ulm mit einem Szintillationszähler die Grundstrahlung über möglichen Vilsbiburger Wasseradern. Analog zu Pohls Messungen von 1929 stellte auch er erhöhte Werte fest. Die Messergebnisse zeigten genau über den Reizzonen eine doppelt so hohe Strahlungsintensität wie auf den umliegenden Böden, was er auf mögliche Wasserläufe zurückführte.

Für den Vilsbiburger Heimatforscher Peter Käser, einen gelernten Elektrotechniker, sind diese Untersuchungen Grund genug, mit nüchternem Blick genau hinzuschauen. Er ist auch selber hin und wieder mit der Wünschelrute unterwegs, außerdem berät er Bürger, wie sie die Hochfrequenz-Strahlung und den Elektrosmog im Haus reduzieren können. Wenn er Häuser begeht, stellt er "nach bestem Wissen und Gewissen" eine Diagnose, die idealerweise dazu führt, dass schlaflose Menschen durch das Umstellen der Betten wieder besser durchschlafen können. Dass mit teuren Abschirmmaßnahmen gegen Strahlungen auch gute Geschäfte gemacht werden, ist Käser sehr bewusst. "Davon halte ich nichts", sagt er.

Pohls amtlich beglaubigte Messungen von 1929 und die begleitenden Presseberichte hat Käser penibel dokumentiert. Das umfangreiche Material ist auf zwei Internetseiten nachzulesen (www.museum-vilsbiburg.de; www.arlan.de). Ob Gustav Freiherr von Pohl nun ein herausragender Wissenschaftler oder doch ein Scharlatan war, darüber gehen die Meinungen wohl auch künftig auseinander. Ein Held ist er für die Anhänger der Radioästhesie (Strahlenfühligkeit). Physiker argumentieren dagegen, Erdstrahlen seien lediglich imaginär und könnten nicht nachgewiesen werden. Dass Wünschelruten ausschlagen, führen sie auf unwillkürliche Muskelbewegungen zurück, die durch mentale Vorstellungen hervorgerufen werden.

Kein Wunder, dass Pohls Lehre von der Schädlichkeit der Erdstrahlen von vielen Naturwissenschaftlern und Ärzten abgelehnt wird. Für den Landschaftsplaner Stefan Brönnle, Leiter einer Geomantieschule, hat Pohl in Vilsbiburg dagegen "einen Meilenstein in der Geschichte der Radiästhesie" gesetzt, "wenn auch einige seiner Theorien zur Entstehung von Krankheitssymptomen über Wasseradern heute unter Berücksichtigung neuerer Forschungen in der Physik und Geologie als überholt gelten müssen".

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