Süddeutsche Zeitung

Videoüberwachung in Bayern:Gefühlte Sicherheit

Lesezeit: 3 min

27 Kameras in einer Gemeinde mit 7000 Einwohnern? In Bayern gibt es das. Ein Direktor wollte sogar auf der Schultoilette eine Kamera installieren. Immer mehr Gemeinden setzten auf Videoüberwachung - oft, um Vandalismus zu bekämpfen. Bayerns Datenschutzbeauftragter macht sich Sorgen.

Von Sebastian Gierke

"Man kann sich einfach nicht auf die Ehrlichkeit der Leute verlassen", dachte der Bauer - und stellte Videokameras auf. Immer wieder hatte jemand an seinem Selbstbedienungs-Stand Kartoffeln mitgenommen, ohne zu bezahlen. Selbst Kartoffeln werden also videoüberwacht. Verblüfft? Dann klicken Sie sich doch einmal durch die interaktive SZ-Karte zur Videoüberwachung.

Vor allem an Schulen, Gerichtsgebäuden, Polizeistationen und Gefängnissen sind in Bayern Kameras angebracht, ist dort zu sehen. Aber auch wer das Heilbad in Neualbenreuth, die öffentliche Toilette am Dorfplatz in Schleching, die WC-Anlagen an der Uferpromenade in Bad Wiessee oder den Wertstoffhof in Au in der Hallertau nutzt, muss damit rechnen, gefilmt zu werden. Die Spielbank in Garmisch-Partenkirchen wird sogar von 109 Videokameras überwacht.

Die Liste der bayerischen Staatsregierung ist lang, 17.000 Kameras lang. Und das sind nur die, die öffentlich betrieben werden, also zum Beispiel von Kartoffelbauern. Tendenz trotzdem: stark steigend. Im Jahr 2008 waren es noch 5000 weniger. Der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri ist wegen der Zunahme besorgt. Er überprüft derzeit die kommunale Videoüberwachung. Petri und seine Mitarbeiter können zwar nur Stichproben machen. Doch immer häufiger entdecken sie dabei Kameras, die gegen die Bestimmungen des bayerischen Datenschutzgesetzes verstoßen.

Ein Schuldirektor wollte sogar die Toiletten mit Kameras überwachen. "Da haben wir gefragt: Ist das wirklich das pädagogische Mittel der Wahl?", berichtet Petri. Der Datenschutzbeauftragte weiß auch von einem Frauenhaus, das videoüberwacht werden sollte. "Das hätte zur Folge gehabt, dass im Grunde alle Frauen, die da Hilfe suchen, mit einer Kamera beobachtet werden und damit rechnen hätten müssen, registriert zu werden. Da haben wir gesagt: Nein, das geht nicht."

In einigen Gemeinden würden Plätze überwacht, auf denen es "keine einschneidende Gefahr abzuwenden" gebe, erklärt Petri. Wo also weder die "Schutzgüter Leben, Freiheit" noch die "Schutzgüter Gesundheit und Eigentum" bedroht seien. "Und zum Eigentumsschutz gehört keineswegs jede Bagatellbeschädigung", gibt der Datenschutzbeauftragte zu bedenken. Graffiti-Schmierereien gehörten beispielsweise nicht in jedem Fall dazu.

Viele bayerische Gemeinden sehen das anders. Fragt man bei denen nach, die auf Videoüberwachung setzen, ähnelt sich die Argumentation. Jugendliche, Vandalismus, Kameras - das ist der fast immer gleichlautende Dreisatz.

Michael Schanderl (Freie Wähler), Bürgermeister von Emmering westlich von München, ist zufrieden mit den durch die Videoüberwachung erzielten Effekten. Vor ungefähr fünf Jahren hat er Kameras am Bürgerhaus der Gemeinde und den angrenzenden Sportflächen anbringen lassen. Um 90 Prozent seien Fälle von Vandalismus aufgrund der Kameras zurückgegangen, sagt Schanderl. Der Bürgermeister von Rottenburg an der Laaber (Niederbayern), Alfred Holzner (Freie Wähler), berichtet Ähnliches. 90 Prozent weniger Fälle von "massiven Sachbeschädigungen" gebe es, schätzt er, seit das Gelände um den Jugendtreff des Ortes von Kameras überwacht werde.

In Teisnach im Bayerischen Wald wurden 2009 zwei Kameras am Busbahnhof installiert. Damals ein Treff von Jugendlichen aus der Umgebung. Die hätten Saufgelage veranstaltet, jede Menge Müll hinterlassen und auch oft randaliert, erzählt Thomas Wagner, der für die Videoüberwachung zuständige Beamte vom Ordnungsamt. Allerdings sei es meist - finanziell gesehen - nur um Kleinigkeiten gegangen. Ein zerstörter Zigarettenautomat, Kratzer an Autos. Was die Kameras bewirkt haben? "Seit die Kameras installiert sind, ist nichts mehr passiert", sagt Wagner. Und die Jugendlichen feiern jetzt ein paar Meter weiter, am Eingang zum Kurpark. Allerdings ohne zu randalieren, betont Wagner.

Von ausschließlich positiven Erfahrungen mit seinen Kameras weiß auch Jürgen Spahl zu berichten. 27 Videokameras hat der parteilose Bürgermeister von Rednitzhembach (Landkreis Roth) in seiner Gemeinde installieren lassen: Am S-Bahnhof, dem Sportlereingang zur Mehrzweckhalle, vor dem Gemeindezentrum, an der Grund- und Mittelschule oder in der Tiefgarage laufen die Kameras sieben Tage die Woche. 27 Kameras kommen in dem Ort auf knapp 7000 Einwohnern.

Die Wände geschrubbt

Ungewöhnlich viel, findet Bayerns Datenschutzbeauftragter Petri. Spahl ist dagegen von seinem Überwachungssystem überzeugt. Jahrelang habe die Gemeinde dem Vandalismus Jugendlicher tatenlos zusehen müssen, klagt der Bürgermeister. Jetzt sei das Problem weitgehend gelöst. Schon kurz nachdem die Kameras in Betrieb genommen wurden, seien fünf Jugendliche beim Graffiti-Sprühen erwischt worden. "Zwei haben wir auf dem Video identifizieren können. Die haben wir aufs Rathaus zitiert und gesagt: 'Entweder ihr säubert die Tiefgaragenwände zu zweit oder ihr nennt uns auch noch die anderen drei.'" Am Ende hätten alle fünf geschrubbt.

Beschwerden aus der Bevölkerung wegen der Überwachung sind in keiner der Gemeinden bekannt. Die Menschen akzeptierten die Kameras klaglos, die meisten seien sogar froh darüber, sagt Alfred Holzner aus Rottenburg. Die Kritik von Datenschützern halten die befragten Bürgermeister für übertrieben. "Wenn es um massive Sachbeschädigung geht, ist es doch im Sinn der Allgemeinheit, wenn die Täter überführt werden", sagt Holzner. Michael Schanderl aus Emmering assistiert: "Wenn es erst eine schlimme Straftat braucht, um Kameras installieren zu dürfen, ist es zu spät." Und auf den Datenschutz achte man. Die von den Kameras aufgenommenen Bilder dürfe nur die Polizei sehen, außerdem würden sie nach wenigen Tagen gelöscht.

Dem Datenschutzbeauftragten Thomas Petri ist das nicht genug. Er bemängelt, dass es in einigen Gemeinden an einem stimmigen Einsatzkonzept fehle. Es reiche nicht, eine Videokamera zu installieren und erst nach einem Vorfall die Videoaufnahmen abzuspielen, um Täter ausfindig zu machen. "Das bedeutet, dass es einen Mitarbeiter geben muss, der die Aufnahmen der Kameras aktuell ständig im Blick hat, um im Notfall Sicherheitskräfte oder Ordnungspersonal an den Ort des Geschehens zu schicken." Andernfalls würden die Kommunen ihre Bürger mit dem Einsatz von Videokameras in trügerischer Sicherheit wiegen.

Den Kartoffeldieb haben die Kamerabilder übrigens überführt.

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