Videoüberwachung in München:41 weitere S-Bahnhöfe werden mit Kameras ausgestattet

Immer mehr Kameras: Die bayerische Staatsregierung nimmt einen Gutteil der Bahnhöfe im Münchner S-Bahn-Netz ins Visier. Warum der Freistaat an fast jedem dritten S-Bahnhof neue Kameras installiert - trotz aller Kritik daran.

Von Gregor Schiegl

Ein schwarzes Auge prangt am Bahnhofsgebäude, "Black Eye" steht darunter. Es dürfte für einige Zeit das letzte anonyme Graffito hier gewesen sein. Der Dachauer Bahnhof steht jetzt unter verschärfter Beobachtung: Zwölf Videokameras filmen die Bahnsteige rund um die Uhr, die Unterführung, das Bahnhofsgebäude. Wer jetzt noch etwas an die Wand sprayt, kann gleich noch seinen Namen und seine Adresse dahinter schreiben. Hier gibt es keine echte Anonymität mehr.

Mitten auf dem Bahnsteig steht der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) in einem Pulk aus Journalisten, Passanten quetschen sich mit Rollkoffern vorbei, S-Bahnen surren. Zeil ist es wichtig, zu betonen, dass es nicht um "Überwachungstechnik" gehe. Die Kameras dienten lediglich der Aufzeichnung. Falls was passiert. Falls jemand verletzt wird. Oder jemand etwas an die Wand schmiert. Zehn Tage lang hat die Bundespolizei die Möglichkeit, die Bilder anzusehen. Danach würden sie automatisch überschrieben, heißt es.

Im Jahr 1996 wurde damit begonnen, alle größeren Bahnhöfe in Bayern mit Videokameras zu bestücken, München, Nürnberg, Augsburg, Aschaffenburg. Es folgten die Bahnhöfe der Münchner Stammstrecke, nun sind weitere 41 Stationen in den Außenbereichen des S-Bahn-Netzes dran, von 149 Bahnhöfen insgesamt. "Wir haben in die zweite Baustufe diejenigen Bahnhöfe mitaufgenommen, die wichtige Endhaltestellen, Stationen mit hohem Verkehrsaufkommen und Umsteigemöglichkeiten oder Stationen sind, die häufig von Vandalismus betroffen sind", erklärt Zeil. Die Sicherheit hat ihren Preis: 2,2 Millionen Euro kostet der Ausbau, der Freistaat übernimmt das fast komplett allein.

"Wenn es darum geht, Straftaten aufzuklären und Straftäter zu überführen, sind Videoaufzeichnungen wertvolle Beweismittel, gerade bei Gewalt und Sachbeschädigungen", sagt Jürgen Vanselow. Der Leiter der Bundespolizeiinspektion München sticht heraus aus all den Zivilisten mit seiner dunkelblauen Uniform. Vanselow hält sich gar nicht mit Zahlen auf, er schildert die Möglichkeiten der Technik ganz anschaulich anhand eines Falls im Oktober: Nach einer Auseinandersetzung an der Donnersbergerbrücke schubste ein Schwarzfahrer einen Schaffner in die Gleise. Der Täter ließ den Schwerverletzten liegen und floh mit der S-Bahn. Die Züge sind mittlerweile allerdings alle mit Kameras ausgestattet. Es dauerte nicht lange, den Mann zu identifizieren, nach zwei Tagen wurde er festgenommen. "Durch die Videoüberwachung konnten wir nicht nur den Täter überführen, wir hatten auch gerichtsfeste Beweise", sagt Vanselow. Und dieser Fall sei nur einer von 150 im Großraum München - binnen des vergangenen Jahres. Man kann verstehen, dass die Polizei das eine tolle Sache findet.

Susanna Tausendfreund, die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, ist nicht ganz so begeistert - vorsichtig ausgedrückt. Sie zweifelt grundsätzlich am Ansatz, mehr Sicherheit durch immer mehr Videoüberwachung gewährleisten zu wollen. Gerade bei Gewaltdelikten seien die Täter oft alkoholisiert, sagt sie; sie scheuten sich dann auch nicht, vor der Kamera jemanden zusammenzuschlagen. Das ist keine Theorie, dafür gibt es traurige Beispiele. 2009 fielen am U-Bahnhof Münchner Freiheit vier Jugendliche über einen 22-Jährigen her und verletzten ihn schwer. Die Kameras zeichneten alles auf. "Der präventive Charakter solcher Maßnahmen wird überschätzt", sagt Tausendfreund. Gleichzeitig griffen sie aber in jedermanns persönliche Freiheit ein. "Das finde ich höchst problematisch." Fundamentalopposition betreibt sie nicht. "An Verkehrsknotenpunkten kann Videoüberwachung durchaus sinnvoll sein", findet Tausendfreund. "Aber auf dem flachen Land? Das halte ich für übertrieben."

Die Linie A zwischen Dachau und Altomünster ist eine Bummelbahn, die gemütlich durch idyllische Dörfer zuckelt. Heile Welt, könnte man meinen. Für die Bahn war es ein Brennpunkt. Binnen eines halben Jahres entstand dem Konzern durch demolierte Fahrkartenautomaten ein Schaden von 130 000 Euro. "Das war ein richtiger Volkssport", sagt ein Bahn-Sprecher. Die Bundespolizei griff zu ungewöhnlichen Mitteln und baute Mini-Kameras in die Automaten ein. So überführte sie 22 zumeist jugendliche Täter. Allerdings ist diese heimliche Überwachung ein Fall für sich. Die Staatsanwaltschaft habe den Einsatz genehmigen müssen, betont der Bahn-Sprecher. Ein verdeckter Einsatz. Auf die regulären Videokameras der Bahn weisen entsprechende Piktogramme deutlich hin.

Der Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert, dass mit der Videoüberwachung lediglich die gefühlte Sicherheit der Fahrgäste zunehme. Für eine echte Verbesserung brauche es mehr Service-Personal an den Bahnhöfen. Gerd Neubeck, Leiter der Konzernsicherheit bei der Deutschen Bahn, verweist auf den Einsatz von bundesweit "3700 qualifizierten Mitarbeitern" sowie weiteren 5000 Beamten der Bundespolizei. "Das ist schon ein Bollwerk an Manpower." In der Einsatzzentrale in Berlin werde der Einsatz bundesweit koordiniert, damit die Kräfte auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, vor allem bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen.

Ob sie bei Schlägereien überhaupt noch intervenieren können, hängt ganz davon ab, wo die Auseinandersetzung stattfindet. Während die Aufnahmen der Kameras von Verkehrsknotenpunkten in Einsatzzentralen am Bildschirm verfolgt werden und so ein schnelles Eingreifen ermöglichen, werden Aufnahmen aus Nebenschauplätzen wie Dachau immer erst nach einer Straftat ausgewertet. Täter sind so leichter zu überführen, das räumt auch Tausendfreund ein. "Aber wir verhalten uns in der Öffentlichkeit nicht mehr so frei, wie wir es sonst täten."

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Bis Ende 2013 werden Überwachungskameras an folgenden S-Bahnhöfen installiert: Allach, Berg am Laim, Dachau, Ebersberg, Erding, Fasangarten, Feldmoching, Flughafen Besucherpark, Freising, Fürstenfeldbruck, Germering-Unterpfaffenhofen, Grafing Bahnhof, Gröbenzell, Haar, Harras, Heimeranplatz, Holzkirchen, Icking, Karlsfeld, Leuchtenbergring, Markt Schwaben, Neubiberg, Neufahrn, Starnberg Nord, Taufkirchen, Trudering, Tutzing, Unterhaching, Vierkirchen-Esterhofen, Wolfratshausen, Oberschleißheim, Olching, Perlach, Petershausen, Poing, Puchheim, Riem, Solln. Nach Umbauarbeiten folgen dann auch Moosach, Starnberg und Unterschleißheim.

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