Süddeutsche Zeitung

Verwaltungsgerichtshof:Nazis klagen gegen Verbot des "Freien Netzes Süd"

  • 41 Mitglieder des "Freien Netzes Süd" haben vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen das Verbot des Neonazi-Netzwerks geklagt.
  • Sie argumentieren: Das FNS sei kein Verein, sondern eine Internetplattform gewesen.
  • Ihre Chancen auf Erfolg stehen eher schlecht.

Von Lisa Schnell

Der Sitzungssaal fünf des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist nur mäßig gefüllt: eine Handvoll Journalisten, dahinter nicht einmal zwei Stuhlreihen mit Besuchern. Die restlichen der etwa 200 Plätze bleiben ungenutzt. Keine Demonstranten gegen Rechts, keine Reihen gefüllt mit kahl geschorenen Neonazis wie erwartet. Ganze 41 vermeintliche Mitglieder der rechtsradikalen Vereinigung "Freies Netz Süd (FNS)" haben gegen den Freistaat und sein Verbot des FNS geklagt.

Am Verhandlungstag diesen Dienstag sind nur zwei von ihnen gekommen: Norman Kempken und Tony Gentsch. Sie gehörten zusammen mit Matthias Fischer zum Führertrio des FNS. Kempken verschränkt die Arme vor der Brust, die schwarze Lederjacke spannt, am Kragen ragt aus ihr eine schwarze Kapuze, darauf ein gelber Stahlhelm umrandet von einem Lorbeerkranz - das Logo der rechten Marke Wall Hall. Neben ihm Gentsch, die kurzen Haare mit Gel an den Schädel geklatscht, seine Fußspitze wippt nervös auf dem Boden hin und her.

Es sieht nicht gut aus für die zwei und ihre Klage. Neben ihnen redet sich ihr üblicher Anwalt Stefan Böhmer um Kopf und Kragen. Ihm gegenüber ein milde lächelnder Richter, der kaum verbergen kann, was er von den Ausführungen Böhmers hält. Es geht darum, dass Einzelpersonen gegen ein Vereinsverbot nur klagen können, wenn sie nachweisen, dass es sich nicht um einen Verein handelt.

Welche Strategie der Kläger-Anwalt hat

Um gegen die eigentlichen Gründe des Verbots vorzugehen - laut Innenminister Joachim Herrmann die "aggressiv-kämpferischen verfassungsfeindlichen Bestrebungen" des FNS -, müsste ein Vereinsorgan klagen. Das Gericht prüfe deshalb nur, ob es sich beim FNS um einen Verein handele oder nicht, stellt der Richter zu Anfang klar. Eigentlich war die Belehrung für die Journalisten gedacht, doch Böhmer hat sie wohl auch nicht geschadet. "Die Rechtsansicht kann nicht richtig sein", protestiert er. Der Richter weist ihn mit der Ruhe eines geduldigen Lehrers darauf hin, dass sie aber "seit 30 Jahren Praxis" ist. Böhmer habe wohl eine ganze eigene Rechtsauffassung, die sich in der Literatur nicht finden lässt.

Selbst wenn man unerwähnt ließe, dass Böhmer selbst den Geburtsort einer seiner Mandanten falsch nennt, wirkt seine Argumentation recht orientierungslos. Sein Ziel ist es, das FNS nicht als Verein dazustellen, sondern als eine Internetplattform. Wenn auf Neonazi-Aufmärschen FNS auf den Transparenten stand, sei das kein "Logo einer Struktur", sondern ein "Kommunikationsmittel" gewesen.

"Das ist ein Witz", sagt Robert Andreasch von der antifaschistischen Archivstelle Aida. Von Anfang an sei das FNS als Kameradschaftsdachverband aufgetreten. In einer Gründungs-E-Mail sei es so in der rechten Szene angekündigt worden. Erst als die SPD zum ersten Mal ein Verbot im Landtag forderte, wandelte es sich plötzlich zur Internetplattform. Auf den Plakaten habe man hinter FNS schnell ein ".net" hingepinselt.

Anwalt referiert eigene Weltanschauung

All das lässt Anwalt Böhmer natürlich unerwähnt, dafür verliert er sich in politischen Äußerungen, die seine eigene Gesinnung nur allzu deutlich machen. Rechtsextreme würden landauf landab an der Ausübung ihrer Grundrechte gehindert. Die CSU lasse sich von der "links-grün dominierten" Presse vor sich hertreiben und habe deshalb dem Verbot zugestimmt. Wenn Rechtsextreme sich deshalb nichts mehr zu sagen trauten, sei es mit der freiheitlichen Grundordnung der Verfassung wohl nicht weit her. "Wenn ihm die freiheitliche Grundhaltung nicht passt, ist das sein persönliches Problem, aber nicht Teil dieses Verfahrens", lautet die nüchterne Antwort der Landesanwälte des Freistaats. Viel mehr sagen sie nicht zu der Elegie, sondern versuchen die "auf Abwege" geratene Diskussion wieder ein wenig zu erden.

Es gehe hier um zwei Fragen: Ob beim FNS eine Mindeststruktur vorliege und ob das FNS als Ersatzorganisation der Ende 2003 verbotenen rechtsextremen Vereinigung "Fränkische Aktionsfront" gelten könne. Diese und das FNS hätten das gleiche Ziel, die gleiche Struktur. Das sei in der 130 Seiten langen Verbotsverfügung ausführlich dargestellt. Vielleicht haben sie sich deshalb nicht die Mühe gemacht, diese an diesem Dienstag noch einmal ausführlich zu referieren. Vielleicht wollten sie sich auch nur möglichst schnell den Weltanschauungen von Neonazi-Anwalt Böhmer entziehen. Als auch dem nichts mehr einfällt, ist die Verhandlung schnell beendet. In einer Woche soll die Entscheidung kommen.

Robert Andreasch von Aida ist sich ziemlich sicher, dass die Richter das Verbot des FNS bestätigen. Viel erreicht ist in seinen Augen damit aber nicht. Schon jetzt haben sich die alten FNS-Aktivisten in der rechten Kleinstpartei "Der Dritte Weg" neu organisiert. "Was bringt ein Verbot, wenn die gleichen Leute am nächsten Tag unter neuer Fahne aufmarschieren?" Wohl nicht mehr, als dass sie ihre Fahnen neu bepinseln müssen.

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SZ vom 14.10.2015/mmo
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