Fall Peggy:Löst der Knochenfund das Rätsel um Peggys Mörder?

Skelettteile entdeckt - Suche

Nach dem Fund einer Leiche in einem Waldstück in Thüringen prüfen die Ermittler Verbindungen zum Fall der vor mehr als 15 Jahren verschwundenen Peggy aus Oberfranken.

(Foto: dpa)

Nach 15 Jahre ist die Leiche des Mädchens wohl gefunden. Die Mutter kann ihr Kind beerdigen. Die Soko hofft jetzt auf neue Spuren.

Von Katja Auer und Olaf Przybilla, Nordhalben/Rodacherbrunn

Es ist eine beliebte Gegend zum Pilzesammeln, das Waldstück an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Steinpilze soll es geben und Pfifferlinge. Die Vögel zwitschern, die Sonne sucht sich ihren Weg durch die dunklen Fichten, als am Montagmorgen ein Polizeibus nach dem anderen vorfährt. Am Samstag hat ein Pilzsammler Skelettreste gefunden, die eines Kindes wohl, wahrscheinlich die Überreste von Peggy.

Das Mädchen aus dem oberfränkischen Lichtenberg ist seit 15 Jahren verschwunden, die damals Neunjährige kam nach der Schule nicht nach Hause. Es ist einer der spektakulärsten Vermisstenfälle der deutschen Justizgeschichte, mit all ihren Auswüchsen, Verdächtigungen, Verschwörungstheorien. Einen Täter gibt es nicht, nicht mehr, und lange gab es auch keine Leiche.

Nun könnte die Ungewissheit ihr Ende in diesem letzten Ausläufer des Frankenwaldes gefunden haben, im ehemaligen Grenzstreifen, zwischen Nordhalben in Oberfranken und Rodacherbrunn in Thüringen. Gar nicht weit weg von Peggys Heimatort Lichtenberg. Das endgültige Ergebnis der Rechtsmedizin steht zwar noch aus. Die Ermittler gehen trotzdem davon aus, dass sie Peggy gefunden haben.

Eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei rückt an, in festen Stiefeln und mit Stöcken in der Hand. Leichensuchhunde sind im Einsatz, sie bellen in der Ferne. Rot-weißes Flatterband, von Baum zu Baum gespannt, sperrt das Waldstück von der Straße ab. Holzlaster fahren vorbei, auf dem Weg zum Sägewerk. Seit Samstag ist die Polizei auf der Suche, die Skelettreste wurden geborgen und werden rechtsmedizinisch untersucht.

Am Sonntag musste die Aktion unterbrochen werden, das Wetter war zu schlecht. Eine Dame auf der thüringischen Seite sieht schon den ganzen Vormittag die Polizeiautos vorbeifahren, sie hat gehört, was los ist. Sie gehe da selber gerne Pilze sammeln, sagt sie, aber an so was habe ja niemand gedacht. Die Geschichte von Peggy kennt sie natürlich, Lichtenberg ist ja nur etwa 15 Kilometer entfernt.

Gegenstände gefunden, die auf Peggy deuten

Noch näher ist das leere Grab des Mädchens, das seine Mutter in einem Ortsteil von Nordhalben hat anlegen lassen. Ausgerechnet. Dahin war sie nach dem Verschwinden des Kindes umgezogen. Das Grab ist inzwischen verwildert, der Löwenzahn sprießt und der Buxbaum wurde lange nicht mehr geschnitten. Vom Grabstein lächelt das Mädchen, als Todestag ist der 7. Mai 2001 angegeben, der Tag seines Verschwindens. "Wer nicht an Engel glaubt, ist dir nie begegnet", steht auf dem Stein geschrieben, aber die Schrift verschwindet langsam hinter dem wuchernden Grün.

Es ist ein turbulenter Tag, und die Ermittler tragen einen Teil dazu bei: Der Oberstaatsanwalt in Gera, Thomas Villwock, dementiert noch am Mittag Spekulationen, wonach es sich bei dem Skelett wahrscheinlich um Überreste von Peggy handeln könnte. Auch von Informationen, es seien Gegenstände in der Nähe des Fundorts entdeckt worden, die auf Peggy deuten, will er nichts wissen. "Davon ist mir nichts bekannt", sagt der Staatsanwalt.

Erst am Dienstag wolle er über Details sprechen, wenn alles klar ist. Fragt man kurz darauf bei Ermittlern in Bayreuth nach, klingt das ganz anders. "Wir gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es sich um Peggy handelt", sagt einer. Immerhin seien Gegenstände, die auf Peggy deuten, in der Nähe entdeckt worden.

Keine Tatzeugen, keine Spuren, kein Tatort und keine Leiche

Stunden später will der Leitende Oberstaatsanwalt in Bayreuth, Herbert Potzel, zwar nicht konkret sagen, welche Gegenstände im Wald gefunden wurden, ob es sich um Kleidungsstücke handelt oder womöglich um Peggys Schulranzen. Dass es sich bei den Überresten aber "höchstwahrscheinlich" um das Mädchen handele, lasse sich sowohl aus ersten Ergebnissen der rechtsmedizinischen Untersuchung wie auch aus den gefundenen Gegenständen schließen.

Die Leiche war wohl vergraben, auch wenn der Pilzsammler einige Knochen auf dem Waldboden gefunden hat. Potzel sagt, er gehe nicht davon aus, dass der Fundort auch der Tatort war.

Für Gudrun Rödel, die ehrenamtliche Betreuerin von Ulvi K., ist es ein schwieriger Tag. Sie hat gekämpft dafür, dass der heute 38-Jährige die Psychiatrie verlassen konnte. Ulvi war 2004 nach einem Geständnis wegen Mordes an Peggy verurteilt worden. Aber Rödel sammelte so viele Indizien, sie kämpfte so lange, bis endlich ein Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wurde. An dessen Ende stand: Es gibt keinen Tatzeugen, es gibt keine Spuren, auch keinen Tatort und keine Leiche. Letzteres könnte sich jetzt geändert haben. Ulvi K. wurde vor zwei Jahren freigesprochen.

15 Jahre lang Ungewissheit und ständig neue Verdächtigungen

Fall Peggy - Gedenkstein

Ein Gedenkstein mit dem Porträt des Mädchens Peggy auf dem Friedhof in Nordhalben.

(Foto: dpa)

Und jetzt? Rödel hielt es immer für wahrscheinlich, dass Peggy noch lebt, dass sie verschleppt wurde. Und sie kann aus dem Stegreif Argumente aufzählen, welche Augenzeugen Peggy wann und wo gesehen haben wollen. Unter anderem in der Türkei. Rödel hat sehr viele Akten gelesen, aber jetzt sieht es doch ganz anders aus. "Ich kann das nicht glauben", sagt sie.

In Lichtenberg wissen sie stundenlang gar nicht mehr, was sie glauben sollen am Montag. "Das elektrisiert hier jeden", sagt der Sprecher der fränkischen Kleinstadt, der Schriftsteller Rudolf von Waldenfels. Schon deshalb, weil ja die Überreste nicht "Hunderte Kilometer entfernt" gefunden wurden, sondern gleich in der Umgebung, "ich selbst bin da schon oft gewandert".

15 Jahre lang diese Ungewissheit, ständig neue Verdächtigungen. Einmal wurde ein Grab am Friedhof geöffnet, sogar der Hof eines Lichtenbergers wurde umgegraben. Immer ohne Ergebnis. Fanden sich irgendwo verdächtige Knochenreste, dann waren sie nie von Peggy. Die Hoffnung des Ortes? "Dass alle irgendwann zur inneren Ruhe kommen und Frieden mit dem Fall schließen können." Endlich.

Neben Ulvi K. gab es in dem Fall immer wieder Verdächtige

Michael Euler ist der Anwalt, der das Wiederaufnahmeverfahren für Ulvi K. beantragt hat. Auch er hofft, dass durch den Fund "endlich mal klar wird, was mit dem Kind tatsächlich passiert ist". Dass ein Pilzsammler auf ein Skelett gestoßen ist, hält er für einen Hinweis darauf, dass die Überreste wohl nicht weit unter dem Boden gelegen haben können. Wenn sich nun wirklich herausstelle, dass es sich um Peggy handelt, könnte das mit der Beobachtung eines Zeugen in Einklang zu bringen sein, sagt er.

Der Zeuge wollte nach dem Verschwinden Peggys im Jahr 2001 einen leblosen Mädchenkörper im Norden Oberfrankens gesehen haben. Als die Polizei aber zu der Stelle kam, war dort nichts dergleichen zu finden. "Womöglich ist da jemand gestört worden und ist weiter gefahren", vermutet Euler. Eines immerhin könne man jetzt schon ausschließen: Konsequenzen für Ulvi K. Egal, was herauskomme jetzt, das Verfahren gegen seinen ehemaligen Mandanten sei abgeschlossen: "Erneut angeklagt werden kann er so oder so nicht."

Karte Fundort Peggy

Quelle: SZ-Karte

Neben Ulvi K. gab es in dem Fall immer wieder Verdächtige. Ein Mann aus der Nähe von Halle stand lange besonders im Fokus. Er war schon kurz nach Peggys Verschwinden ins Visier der Ermittler geraten. Ermittler entdecken ein Amulett mit dem Buchstaben "P" und ein Foto des Mädchens bei ihm. Er hatte offenbar auch Peggys Namen an die Wand seiner Wohnung geschrieben. In Vernehmungen gab er an, er tue dies, um sich an Peggy zu erinnern.

Ermittler erhoffen sich neue Erkenntnisse

2012 wurde der Mann vom Landgericht Halle wegen sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter zu sechs Jahren Haft verurteilt. Nur: Für einen dringenden Tatverdacht reichte keines der Indizien aus, wie auch bei weiteren Verdächtigen. Momentan gebe es "kein Verfahren mehr gegen eine konkrete Person", sagt Oberstaatsanwalt Potzel.

Nur ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt ist noch anhängig. Und natürlich erhoffen sich die Ermittler nun neue Erkenntnisse, nachdem es so aussieht, als müssten sie nicht mehr in einem Mordfall ohne Leiche ermitteln. Am Montag wurde die bisherige Ermittlergruppe "Peggy" zur Sonderkommission erweitert und auf 30 Mitglieder aufgestockt.

Egal wie: Gudrun Rödel kämpft weiterhin darum, Ulvi K. vollständig zu rehabilitieren. Er war zwar im Mai 2014 vom Mordvorwurf freigesprochen worden, nicht aber vom Vorwurf sexuellen Missbrauchs. Der inzwischen 38 Jahre alte Mann lebt seit seiner Entlassung aus der Psychiatrie in einer Einrichtung für behinderte Menschen in der Nähe von Bayreuth und arbeitet in einer Werkstatt. "Es zeigt dort tadelloses Verhalten", berichtet Rödel. Alle seien angetan von ihm, es habe seit seiner Entlassung "keinerlei Vorkommnisse" gegeben.

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