Drama in Berchtesgadener Alpen:Aus tiefer Not

Deutschland von unten

Der Hauptgang der Riesending-Höhle. An anderen Stellen wird es so eng, dass sich die Forscher nur mit angehaltenem Atem hindurchzwängen können.

(Foto: Deutschland von unten, ZDF)

(Foto: Wolfgang Zillig)

Was geschieht gerade in der Riesending-Höhle in den Berchtesgadener Alpen? Wer ist der verletzte Forscher? Was passiert, wenn die Höhle voll Wasser läuft? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Sebastian Beck, Ingrid Fuchs, Sarah Kanning und Martina Scherf

Die Riesending-Schachthöhle ist die größte und tiefste Höhle Deutschlands. Hier ist am Sonntagmorgen der Höhlenforscher Johann W. bei einem Steinschlag schwer verletzt worden. Während ein Kollege bei ihm blieb, stieg der andere zwölf Stunden lang auf, um Hilfe zu holen. Seither arbeitet ein internationales Expertenteam daran, den 52-Jährigen zu retten. Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie geht es dem Verunglückten?

Der Verletzte liegt in etwa 1000 Metern Tiefe und ist nach Angaben der Bergwacht in einem etwas besseren Zustand als befürchtet. Er habe schwere Kopfverletzungen, sei aber ansprechbar, kreislaufstabil und könne mit Hilfe kurzzeitig stehen, sagte Bergwacht-Sprecher Roland Ampenberger am Dienstag in Berchtesgaden. Ein Arzt, der in der Nacht auf Dienstag an der Unglücksstelle eintreffen soll, wird entscheiden, wie und wann W. geborgen werden kann.

Was geschieht gerade in der Höhle?

Momentan sind sechs Höhlenretter bei Johann W., drei von ihnen aus der Schweiz. Ein zweites Team, genannt Schweiz II, bestehend aus vier Schweizern und einem österreichischen Arzt mit Bergerfahrung, hat sich am Dienstagnachmittag auf den Weg zu ihm gemacht. In Bereitschaft stehen auch 16 erfahrene Retter aus Italien. Doch selbst wenn die Rettung auch nur halbwegs reibungslos verläuft, wird sie mindestens fünf bis sechs Tage dauern. Immerhin haben Rettungskräfte es geschafft, eine Langwellenfunkverbindung bis zum Unglücksort einzurichten. Über ein sogenanntes Cavelink-System, eine ähnliche Technik, wie sie auch U-Boote verwenden, können Textnachrichten verschickt werden.

Wer ist der verunglückte Forscher? Johann W. arbeitet als Physiker am renommierten Karlsruher Institut für Technologie (Kit). Das Institut wurde 2009 als Zusammenschluss aus dem Forschungszentrum Karlsruhe und der Uni Karlsruhe gegründet. Dem Gebiet der Höhlenforschung, der Speläologie, widmet sich der 52-Jährige in seiner Freizeit. Er war einer der ersten, der die Riesendinghöhle nach der Entdeckung 1996 betrat. W. gilt als extrem erfahren, er ist selbst als Höhlenretter ausgebildet. Freunde beschreiben ihn als besonnen und überlegt. Gerade W. habe immer auf guter Vorbereitung und einwandfreier Ausrüstung bestanden.

Was wollten die Forscher in der Höhle?

Der Verband der deutschen Höhlenforscher hat gut 3000 Mitglieder. Sie sind getrieben von der Neugier, das Innere der Berge zu erkunden. Wissenschaftler nutzen auch die Daten, die sie dabei sammeln. Mitglieder und Freunde der Arge Bad Cannstatt sind seit mehr als 30 Jahren auf dem Plateau des Untersbergs aktiv und erkunden seit 2002 gezielt die Riesending-Schachthöhle. Mindestens zweimal jährlich organisieren sie sechstägige Forschungsexpeditionen und mehrere kürzere Vorstöße, um Material in die Biwaks zu transportieren und die Seileinbauten zu pflegen.

Wer bezahlt die Rettung?

Drama in Berchtesgadener Alpen: Die Riesending-Schachthöhle ist die tiefste Höhle Deutschlands. Der Verletzte liegt in etwa 1000 Metern Tiefe.

Die Riesending-Schachthöhle ist die tiefste Höhle Deutschlands. Der Verletzte liegt in etwa 1000 Metern Tiefe.

Was gehört in ein Biwak?

Seit der Erforschung der Riesending-Schachthöhle 2002 haben Forscherteams nach und nach acht Biwaks angelegt, um Pausen im Berg einlegen zu können und im Notfall ausgestattet zu sein. Dort sind Lebensmittel und Schlafsäcke deponiert, Ersatzbatterien und Seile, alles in mehrfacher Ausführung. Die Biwaks liegen an mehr oder weniger ebenen Stellen, die Schutz vor dem Höhlenwind bieten und in der Nähe von Wasserstellen sind.

Welchen Sinn haben die Expeditionen?

Sie liefern Daten zur Hydrologie, zur Entstehungsgeschichte der Höhlen, zu klimatischen Veränderungen und der Geschichte der Gletscher. Kaum ein Wissenschaftler ist selbst in der Lage, solche Expeditionen durchzuführen.

Welche Sicherheitsvorkehrungen treffen die Höhlenforscher?

Die Faustregel gilt: Immer mindestens zu dritt gehen, bei langen Expeditionen eher zu fünft. Es wird ein akribischer Ablaufplan erstellt. Zur Ausrüstung gehören Spezialseile, LED-Lampen, Schlafsäcke, Neoprenanzüge, Schutzfolien, Trinkwasser.

Wie geht es jetzt weiter?

Etwa zwölf Stunden dauert der Weg über viele Kilometer in dem verzweigten Höhlensystem bis zu der Stelle, wo der Verletzte liegt, in der Nähe von Biwak fünf. "Im Vordergrund steht die medizinische Versorgung und Stabilisierung des Patienten", sagt Roland Ampenberger von der Bergwacht. Denn ohne die Mithilfe des Verunglückten dürfte es extrem schwierig werden, ihn an die Oberfläche zu bringen.

Wer bezahlt die Rettung?

Der Verband der deutschen Höhlen- und Karstforscher (VdHK) hat vor mehr als zehn Jahren einen Solidaritätsfonds gegründet. Er speist sich aus freiwilligen Einzahlungen, erklärt die VdHK-Vorsitzende Bärbel Vogel. Der Fonds springt ein, wenn ein Höhlenforscher verunglückt und nicht versichert ist oder die Versicherung nicht reicht. Eine Rettungsaktion muss deshalb eigentlich nicht aus Steuergeld finanziert werden. "Bislang haben wir den Solidaritätsfonds noch nie gebraucht", sagt Vogel, "wie es diesmal ist, weiß ich aber noch nicht." Der aufwendige mehrtägige Einsatz in der Riesending-Höhle wird die üblichen Kosten für Rettungsaktionen wohl um ein Vielfaches übersteigen.

Für die nächsten Tage sind Gewitter und Niederschläge angekündet. Was passiert dann in der Höhle?

Teile der Riesending-Schachthöhle werden mit eisig kaltem Wasser volllaufen. In der Horizontalebene der Höhle, wo Johann W. versorgt wird, ist er allerdings vorerst sicher.

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