Verkehr:So bleiben Senioren auf dem Land mobil

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Hingucker: Die "I-muss-nach-Bänkle" von Heimenkirch sind von Studenten der TU München entworfen. (Foto: Maren Kohaus)
  • An vielen Orten in Bayern gibt es keine öffentlichen Bahn- oder Busverbindungen mehr.
  • Vor allem Senioren kommen so kaum noch aus ihren Dörfern weg, zum Einkaufen, zum Arzt, zu Besuchen.
  • Einige Kommunen setzen daher nun auf kreative Lösungen.

Von Christian Sebald, Thierhaupten

Heimenkirch im Landkreis Lindau ist eine kleine Marktgemeinde. Sie verteilt sich auf vier Hauptorte und mehr als ein Dutzend winzige Weiler. Wer von einem Hauptort zum andern will, hatte es lange schwer. Es gab kaum Busverbindungen. Nun haben sie vier "I-muss-nach-Bänkle" aufgestellt. Wer jetzt von einem Hauptort zum anderen will, geht zum jeweiligen "I-muss-nach-Bänkle" und hofft darauf, dass ihn der nächste Autofahrer, der vorbeikommt, mitnimmt.

Es sind nicht irgendwelche Bänke, die in Heimenkirch stehen. Studenten der TU München haben originelle Holzbauten entworfen. Kein Autofahrer kann die "I-muss-nach-Bänkle" übersehen. Zugleich setzen die Bauten markante Akzente im Ortsbild. Das Konzept kommt an, sagt Bürgermeister Markus Reichart. Damit es noch besser ankommt, setzt er auf die Digitalisierung. Er hat eine Mitfahr-App entwickeln lassen, ein digitales Bänkle also, auf dem die Heimenkirchner verabreden können, wer mit seinem Auto wen wohin mitnimmt.

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Wann immer es um ländliche Regionen und deren Probleme geht, steht das Thema Mobilität ganz weit oben. Denn wer auf dem Land ohne eigenes Auto ist, ist im eigentlichen Sinn des Wortes abgehängt. Seit den 1990er-Jahren sind zahlreiche Bahn- und Busstrecken geschlossen worden. Und wo sie beibehalten wurden, hat man den Fahrplan ausgedünnt. Vielerorts ist eine Verbindung morgens, eine mittags und eine abends das dürftige Angebot, mit dem die Menschen auskommen müssen. Am Wochenende sieht es oft noch trüber aus.

Da hilft es nichts, dass die Staatsregierung den Slogan von den gleichwertigen Lebensverhältnissen überall in Bayern wie ein Mantra beschwört. Experten wie Manfred Miosga, der an der Universität Bayreuth Stadt- und Landentwicklung lehrt, zeigen mit ihren Forschungen, wie sehr sich der Staat "aus der Fläche zurückgezogen hat" - gerade auch im öffentlichen Nahverkehr.

Es sind die Kommunen und ehrenamtliche Helfer, die notgedrungen in die Lücken stoßen und versuchen, sie zu füllen. In Nordhessen etwa kombinieren fünf Gemeinden in dem Projekt "Mobilfalt" ihren öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) und den Individualverkehr. Auf einer Internetplattform können sich Pendler Mitfahrer für ihre privaten Fahrten suchen - auf den Strecken des Busnetzes, aber zu außergewöhnlichen Fahrzeiten, und natürlich zu Anschlusszielen, die bislang nicht bedient werden. So verdichten die Kommunen ihren ÖPNV-Takt und weiten das Streckennetz aus, wie die Regionalplanerien Anka Förster jetzt auf einer Tagung an der Schule der Dorf- und Landentwicklung in Thierhaupten erklärte.

Der Flexibus bedient den Landkreis Günzburg

Im schwäbischen Landkreis Günzburg wiederum setzen sie auf den "Flexibus". Bei diesem System melden die Kunden spätestens 30 Minuten vor der gewünschten Abfahrt ihre Fahrt in einem Callcenter an. Abgeholt werden sie dann an einer Haltestelle, die maximal 200 Meter von ihrer Haustür entfernt ist. Ein Kleinbus bringt sie an das jeweilige Ziel. Der Fahrpreis ist etwas höher als der im ÖPNV, da auch der Aufwand höher ist als im konventionellen Nahverkehr. Der Flexibus kommt bei Senioren sehr gut an.

Im Landkreis Passau denken sie noch einen Schritt weiter. In dem Projekt "Immer mobil" kombinieren sie ÖPNV, Abend- und Nachtbusse sowie einen Rufbus, der auf Anforderung eingesetzt wird - und zwar nicht nur mittels eines Callcenters, sondern auch per Internetplattform und App. 2018 wird das Angebot um eine Mitfahrzentrale für private Fahrer erweitert. "Wichtig für alle Initiativen ist, dass die Bevölkerung von Anfang an eng eingebunden ist", sagt Regionalplanerin Förster. "Nur wenn die Kommunen wissen, welche Angebote gefragt sind, und kräftig die Werbetrommel rühren, werden sie zum Erfolg." Große Fortschritte erwartet sich die Expertin von der Digitalisierung. "Smartphone, Tablet und Co. erleichtern Mobilität sehr."

Viele Senioren kommen nicht zum Facharzt

In Heimertingen nördlich von Memmingen haben sie dagegen auf ganz konventionelle Art Erfolg. Dort war Wolfgang Wohlleb die Klagen seiner älteren Patienten leid. Der Hausarzt praktiziert seit 27 Jahren der 1700-Einwohner-Gemeinde im Unterallgäu. Wann immer Wohlleb einen Senior in das nahe Memmingen zur Krankengymnastik schicken wollte oder zu einem Facharzt, kam die Antwort: "Herr Doktor, ich tät ja schon. Aber ich kann net, ich hab' ja keinen, der mich fährt." So konnte es nicht weitergehen, sagt der Mediziner.

Also gründete Wohlleb 2015 den Seniorenverein Heimertingen. Eine der wichtigsten Funktionen des Vereins ist ein ehrenamtlicher Fahrdienst, der ganz analog via Telefon funktioniert. "Nun gibt es keine Klagen mehr von meinen älteren Patienten, dass einer nicht zum Facharzt kommt", sagt Wohlleb. "Und natürlich bringen wir unsere Senioren auch zu Veranstaltungen, zum Einkaufen und anderem mehr."

© SZ vom 16.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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