Süddeutsche Zeitung

Verkehr:Schöner pendeln nach Černý Kříž

Eine Zweitwohnung in München lohnt sich erst ab einer täglichen Strecke von 247 Kilometer. Wer nun denkt, dass er seine Wochenenden künftig in einer Edel-Datsche in Tschechien verbringen kann, irrt.

Kolumne von Sebastian Beck

Unter den vielen sinnlosen Formen der Existenz gehört das Dasein als Pendler zu den allersinnlosesten. Südlich von München macht die Bahn seit Jahren schreckliche Experimente mit ihrer Kundschaft unter der Überschrift "Koppeln und Flügeln".

Dies führt dazu, dass man als Pendler immer wieder in Tutzing strandet, wo man sich am Bahnsteig in aller Ruhe grundsätzliche Fragen stellen kann: Pendler, woher kommst du? Wohin gehst du? Und warum nimmst du nicht einfach wieder das Auto und pfeifst dir beim McDonalds wie früher einen Cappu to go im Pappbecher ein und hörst danach Mr. Brightside von den Killers auf der Autobahn?

Antwort: Das Auto nimmt er deshalb nicht, weil er Angst davor hat, dass am Gärtnerplatz demnächst eine Menschenkette um seinen Euro-4-Diesel herum gebildet wird. Wenn er da auch noch mit einem Pappbecher am Steuer erwischt wird, könnte es eng für ihn werden. Und das ist überhaupt nicht lustig.

Neulich hat ein Immobilienportal ausgerechnet, ab welcher Entfernung sich eine Zweitwohnung in München für 1050 Euro Monatsmiete rentieren würde, wenn man sonst jeden Tag mit dem VW Golf pendeln müsste. Gute Idee: Man könnte sich wochentags für 1050 Euro eine Hundehütte oder ein schönes Abteil im Kohlenkeller mieten und das Wochenende weit draußen in seiner Edel-Datsche verbringen.

Für München ergab die Berechnung, dass die Zweitwohnung ab einer täglichen Pendel-Entfernung von 247 Kilometer (einfach) billiger als der Golf ist. In der Konsequenz hieße das also, dass man den Wochenendwohnsitz ins tschechische Černý Kříž (249 Kilometer Entfernung) verlegt. Dort könnte man sich die Wohnung mit pendelnden Untermietern aus London oder Shanghai teilen. Laut Wikipedia gibt es in Černý Kříž vier super Sehenswürdigkeiten, unter anderem ein Denkmal für den letzten Bären, der hier 1856 geschossen wurde.

Blöd nur, dass der Zug von München nach Černý Kříž acht Stunden und 35 Minuten braucht, und damit fast so lange wie die Regionalbahn von Penzberg nach München. Das Wochenende wäre dann weg. (Okay, liebe Bahn, das mit der Fahrzeit von Penzberg war nur Gaudi!) Die Sache ist noch nicht ganz entscheidungsreif. Aber Schluss jetzt, der Zug kommt.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2018/amm
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