Vergewaltigungen im Klinikum Bamberg:Wenn Patientinnen zu Opfern werden

Klinikum Bamberg

Im Klinikum Bamberg wurde der Chefarzt festgenommen.

(Foto: dpa)

Sie wollten an einer Studie über Krampfadern teilnehmen. Doch die Untersuchung gab es gar nicht. Ein Chefarzt aus Bamberg nahm sie offenbar als Vorwand, um Patientinnen zu betäuben, zu missbrauchen - und dies zu fotografieren.

Von Olaf Przybilla, Bamberg

Die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie soll nächstes Jahr in Bamberg stattfinden, und einem leitenden Arzt des örtlichen Klinikums war dabei eine tragende Rolle zugedacht: Er hätte die Präsidentschaft beim Kongress übernehmen sollen. Der Chefarzt gilt als einer der führenden Gefäßchirurgen in Bayern, erst 2013 wurde er mit einem Zertifikat geehrt, mit dem sich nur neun deutsche Gefäßchirurgen schmücken.

Den Kongress dürfte der Topmediziner nun aber verpassen, denn seit Mittwoch sitzt er in Untersuchungshaft. Der Chefarzt steht im dringenden Verdacht, Probandinnen eines vermeintlichen Forschungsprojekts zunächst betäubt, sich dann an ihnen sexuell vergangen und dies selbst fotografiert zu haben. Im Haftbefehl gehen die Ermittler von vier geschädigten Frauen aus. Tatsächlich könnte die Zahl der Betroffenen deutlich höher liegen.

Verdacht der gefährlichen Körperverletzung

Auf die Spur sind die Ermittler dem 48-Jährigen durch die Anzeige einer Ärztin gekommen, einer Studentin, die ein Praktikum im Klinikum absolvierte. Deren Aussage klang zunächst dubios. Sie habe in Bamberg an einem vermeintlich wissenschaftlichen Versuch teilgenommen, angeblich ging es um eine Studie über Krampfadern. Dann habe der Chefarzt sie ohne vorherige Information oder gar Aufklärung in einen Zustand der Betäubung versetzt.

Im Blut der Frau wurde tatsächlich ein hoch dosiertes Beruhigungsmittel festgestellt. Kein Narkotikum, aber eine Substanz, mit der man etwa bei Magenspiegelungen Patienten in einen Zustand versetzt, der sie das Bewusstsein zum Teil verlieren lässt, einem Tiefschlaf nicht unähnlich. Ermittelt wurde also wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung.

Am Montag kam der Familienvater aus einem 14-tägigen Urlaub, am selben Tag wurde er mit dem Vorwurf der Körperverletzung konfrontiert. Auch das Klinikum wurde informiert, aber derlei Vorwürfe gebe es bei Medizinern häufiger, sagt der Ärztliche Direktor Georg Pistorius, da habe man noch gelassen reagiert. Zwei Tage später war das anders: Der Chefarzt wurde noch in der Klinik festgenommen. Auf seinen Computern in seiner Wohnung und in der Klinik wurden Fotos gefunden, die offenbar dokumentieren, wie sich der Mediziner an wehrlos gemachten Frauen vergeht.

"Wir stehen vor einem absoluten Rätsel"

Von einer "sehr großen Zahl" von Datenträgern spricht der Leitende Oberstaatsanwalt Bardo Backert, einige der Datenträger seien geschützt, andere habe man bereits auswerten können. In manchen Fällen sind die Gesichter der Frauen erkennbar, in anderen nur die Geschlechtsorgane. Von vier Geschädigten ging die Staatsanwaltschaft nach vorläufiger Sichtung aus, tatsächlich aber könnte die Zahl "viel höher" liegen, sagt Backert. Dies zu ermitteln, brauche man nun Zeit.

Am Klinikum schildern andere leitende Mitarbeiter den Mediziner als sympathischen, wenn auch ehrgeizigen Mann, als einen, der "seine Abteilung nach vorn gebracht" habe, seit er sie übernommen hat. Das Zertifikat, mit dem er sich schmücke, sei nie unumstritten gewesen, wie das oft so ist mit den Auszeichnungen für die Kollegen.

Außerhalb der Regeldienstzeit

Aber Beschwerden, gar zotige Bemerkungen oder Anzüglichkeiten auf der Station? Unter den anderen Chefärzten sei davon nie etwas bekannt geworden. "Wir stehen vor einem absoluten Rätsel", sagt einer. Bei der Klinik meldeten sich inzwischen weitere Frauen, die befürchten, Opfer des Arztes geworden zu sein.

Von "einem gewissen Schock" spricht Klinikdirektor Pistorius und von einem Vertrauensbruch, der "natürlich die gesamte Klinik" betreffe. Man werde sich Gedanken machen, wie der Fall hätte verhindert werden können. Im Moment sei man aber ratlos: Der Chefarzt scheint seine angeblichen "Untersuchungen" weithin außerhalb der Regeldienstzeit terminiert zu haben, wenn keine Kollegen dabei waren.

Das Schmerzmittel sei für einen Chefarzt ohne weiteres zu haben. Und die "Studie" war bei der Klinik nicht angemeldet. Staatsanwalt Backert geht überhaupt davon aus, "dass diese Studie eine reine Schimäre ist", es habe sie wohl nie gegeben.

Nicht der erste Fall dieser Art in Bayern

"Tief betroffen" äußert sich Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) über die Vorwürfe. Ihr dürfte der Fall tatsächlich besonders nahe gehen, immerhin war die Medizinerin vor ihrer politischen Karriere am Bamberger Klinikum tätig. Huml betont aber, dass ihr Ministerium keine Dienstaufsicht über die Ärzte habe.

Es ist nicht der erste solche Fall in Bayern. 2009 hatte das Landgericht Amberg einen Anästhesisten, der sich an Mädchen vergangen hatte, zu einer Haftstrafe verurteilt. Der damals 49-jährige Oberarzt hatte seine minderjährigen Opfer zum Teil im Amberger Klinikum missbraucht und einige seiner Taten mit einer versteckten Kamera gefilmt. Die meisten seiner Opfer hatte er unter dem Vorwand in sein Büro ins Klinikum gelockt, eine Studie über "Reanimation durch Kinder" zu machen.

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