Süddeutsche Zeitung

Vergewaltiger als Opfer:Techtelmechtel in der Knastküche

Der Vergewaltiger wird mit Fußketten ins Gericht geführt - doch in diesem Fall ist er Opfer und Zeuge. Als seine Peinigerin ist eine schmächtige Frau angeklagt: Die Beamtin der JVA Kaisheim muss sich wegen sexuellen Missbrauchs des Gefangenen verantworten.

Von Stefan Mayr

Nein, dieser Zeuge sieht nicht ganz so aus, wie man sich gemeinhin ein Opfer einer Sexualstraftat vorstellt. Karlheinz G. ist ein muskelbepackter Montagearbeiter, seinen Schädel hat er kahl rasiert und er wird mit Fußketten in den Sitzungssaal des Amtsgerichts Nördlingen geführt. G. ist wegen Körperverletzung und Vergewaltigung mehrmals vorbestraft.

Sein Auftritt als Opfer und Zeuge ist nicht die einzige Kuriosität in diesem Fall, der auch einen wenig vorteilhaften Einblick in die Zustände in Bayerns Gefängnissen erlaubt. Auf der Anklagebank sitzt Birgit D. (beide Namen geändert), eine eher klein gewachsene Frau mit dicken Brillengläsern. Sie ist einen Kopf kleiner als ihr angebliches Opfer. Diese Frau soll die Peinigerin des 43-jährigen Kraftprotzes sein?

Die 41-Jährige ist Beamtin in der Justizvollzugsanstalt im schwäbischen Kaisheim. Das ungleiche Paar war sich an Ostern 2012 in der Küche des Gefängnisses sexuell nähergekommen. Deshalb muss sich die Beamtin nun vor Gericht verantworten, die Anklage lautet auf "sexuellen Missbrauch eines Gefangenen".

Das 43-jährige "Opfer" tritt zwar als Nebenkläger auf, betont aber, dass der Sex einvernehmlich war. Er habe sich nicht missbraucht gefühlt. Im Gegenteil: "Es waren dann doch Gefühle im Spiel von meiner Seite", sagt er. Doch der Staatsanwalt hält an seiner Anklage fest: "Seine sexuelle Selbstbestimmung war durch die Inhaftierung zumindest eingeschränkt", sagt er. Birgit D. hatte die Aufsicht über den Strafgefangenen, er war quasi ihr Schutzbefohlener.

"Schmusen" und "Fummeln"

Karlheinz G. sitzt seit März 2011 in Kaisheim ein, er wurde wegen Vergewaltigung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Zeugenstand erzählt er ausführlich, wie es zu dem Austausch von Zärtlichkeiten kam. Im Frühling 2012 sei er mit Birgit D. "ins Gespräch gekommen", man habe sich "gut verstanden". Irgendwann habe er ihr einen Brief zugesteckt, in dem er seine sexuellen Phantasien niedergeschrieben hatte. "Ich wollte Rat haben von ihr."

Bald darauf habe es ein erstes "Bussi" und andere Berührungen gegeben. Am Karfreitag 2012 nach dem Hofgang traf sich das Pärchen in der Küche. Dort waren sie für sich alleine, diese Gelegenheit nutzten sie zum "Schmusen" und "Fummeln", wie G. es ausdrückt. Das Tête-a-tête wurde am Ostermontag wiederholt. Diesmal schlich sich das Duo von der Küche in eine Toilette. Dort sei es "halt intimer" geworden, berichtet G. Zum Äußersten sei es aber nicht gekommen.

Die Angeklagte äußert sich vor Gericht nicht zu den Vorfällen. In den Vernehmungen vor dem Prozess stritt sie die sexuellen Kontakte ab. Sie zeigte den Häftling wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung an, doch dieses Verfahren wurde vorläufig eingestellt. Die Richterin verliest einen Brief, in dem Birgit D. den Gefangenen mit "Hey du" anspricht und ihm allerlei vertrauliche Dinge aus ihrem Privatleben erzählt. Und von ihren Arbeitsbedingungen: Seit sie in Kaisheim sei, gehe sie "durch die Hölle", hier herrschten "nur Lügen und Intrigen". Sie räumt ein, in der Beziehung zu ihm "zu spät Stopp" gesagt zu haben und schreibt: "Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr."

Die Ermittler fanden auch Briefe des Mannes an Birgit D. Darin gesteht er ihr einerseits seine Liebe ("ich brauch' dich doch"), andererseits droht er ihr, er werde die Sache öffentlich machen, falls sie sich weiterhin von ihm abwende. Verhält sich so ein Opfer?

Im Laufe des Prozesses kommt zutage, dass Karlheinz G. bereits zuvor zweimal wegen Gewalt- und Sexualdelikten im Gefängnis saß. Zuletzt in Landsberg - und auch dort hatte er ein Verhältnis mit einer JVA-Mitarbeiterin. Dieses ging "über einen längeren Zeitraum", dabei kam es sogar zum Geschlechtsverkehr. "Die ist mir auch sehr hinterhergelaufen", sagt der Zeuge.

Die Beamtin zeigte ihn damals ebenfalls wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung an. Allerdings ging der Schuss nach hinten los: Auch dieses Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Am Ende musste die JVA-Angestellte einen Strafbefehl wegen falscher Verdächtigung akzeptieren.

Für "sexuellen Missbrauch eines Gefangenen" sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren vor. Dass die 41-Jährige für das Techtelmechtel ins Gefängnis muss, kann sich von den Prozessbeobachtern im gut gefüllten Sitzungssaal D keiner vorstellen. Dennoch steht für die Angeklagte viel auf dem Spiel: Sie muss um ihren Beamtenstatus fürchten. Derzeit ist sie vom Dienst suspendiert, sobald das Strafverfahren abgeschlossen ist, wird ein Disziplinarverfahren folgen. Der Prozess wird am 16. Dezember mit der Vernehmung eines JVA-Mitarbeiters fortgesetzt, der mit der Angeklagten gemeinsam Schicht hatte.

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Quelle:
SZ vom 05.12.2013
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