Verfassungsrichter Hahnzog:"Volksentscheid kann Startbahn nicht stoppen"

Ein Volksentscheid zum Flughafenausbau? So einfach, wie das bei CSU-Chef Horst Seehofer klingt, ist es nicht. Der Verfassungsrichter Klaus Hahnzog über die Hürden der Verfassung - und ob es noch Hoffnung für die Startbahngegner gibt.

Christoph Giesen

Klaus Hahnzog, 75, war lange Jahre Verfassungsrichter in Bayern, Kreisverwaltungsreferent in München und von 1990 bis 2003 für die SPD im bayerischen Landtag. Seit rund 30 Jahren setzt sich Hahnzog für mehr Volksentscheide in Bayern und Deutschland ein. Derzeit arbeitet er in einer SPD-Kommission an einem Gesetzentwurf für mehr Mitbestimmung auf Bundesebene mit.

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Wenn man die Wähler über den Flughafenausbau abstimmen lassen will, muss man die Verfassung ändern, sagt der Ex-Verfassungsrichter Klaus Hahnzog.

(Foto: joergensen.com)

Die dritte Startbahn für den Münchner Flughafen soll demnächst gebaut werden. Viele wünschen sich einen Volksentscheid. Halten Sie das für machbar?

Auch Ministerpräsident Horst Seehofer hat vor kurzem, vermutlich aus wahlkampftaktischen Gründen, angekündigt, sich für mehr Volksentscheide in Bayern einsetzen zu wollen. Aber ein Volksentscheid kann derzeit den Flughafenausbau nicht stoppen.

Weshalb?

Flughäfen fallen laut Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts unter die sogenannte ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Luftverkehr.

Kritiker eines Volksbegehrens sprechen davon, dass bei Entscheidungen über sogenannte Einzelprojekte Volksabstimmungen nicht zulässig seien. Man könne nur über Gesetze abstimmen.

Das Bundesverfassungsgericht und der bayerische Verfassungsgerichtshof haben entschieden, dass auch für Einzelprojekte die Gesetzesform gewählt werden kann. Bestes Beispiel ist die umstrittene Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Obwohl sie ein Einzelprojekt war, wurde damals die Gesetzesform gewählt.

Besteht also doch noch Hoffnung für die Startbahngegner?

Die einzige theoretische Möglichkeit einer Volksabstimmung über den Münchner Flughafen wäre ein Votum über den finanziellen Anteil des Freistaates beim Bau der Startbahn. Ähnlich haben sich die Gegner des umstrittenen Bahnhofs Stuttgart 21 beholfen. Doch der Unterschied ist, dass die baden-württembergische Landesverfassung Volksentscheide auch bei Fragen zulässt, die den Haushalt betreffen. Die bayerische Verfassung klammert Volksentscheide über den Haushalt aus. In Bayern würden wir also erst einmal eine Verfassungsänderung benötigen und somit auch eine Volksabstimmung, bevor über die dritte Startbahn abgestimmt werden könnte.

Eine Abstimmung vor der Abstimmung?

Im Unterschied zu den anderen Landesverfassungen schreibt die bayerische Verfassung vor, dass eine Verfassungsänderung nur dann gültig ist, wenn Zweidrittel der Abgeordneten für eine Änderung votieren und danach die Mehrheit der Wähler in einer anschließenden Volksabstimmung zustimmt.

Gibt es dabei auch ein Quorum?

Bei normalen Volksentscheiden reicht in Bayern die einfache Mehrheit. Bei durch Volksbegehren eingeleiteten Verfassungsänderungen müssen mindestens 25 Prozent der Wähler bei der Volksabstimmung zustimmen, sonst treten die Änderungen nicht in Kraft. Dieser doppelte Mechanismus mag etwas sperrig sein, schützt aber die bayerische Verfassung vor Eingriffen. Wie effektiv das ist, zeigen die Verfassungsänderungen der vergangenen 60 Jahre. Während in Bayern bloß elf Mal die Verfassung geändert wurde, modifizierte der Bundestag das Grundgesetz im gleichen Zeitraum mehr als 50 Mal.

Abgesehen von der Startbahn, halten Sie die Seehofer-Initiative für sinnvoll?

Der Gedanke ist ohne Zweifel gut. Aber meiner Meinung nach müsste auch der bürokratische Ablauf für einen Volksentscheid verändert werden. Damit überhaupt ein Volksbegehren beim Innenministerium eingereicht werden kann, benötigt man 25 000 Unterschriften, das ist in Ordnung.

Wo sehen Sie dann das Problem?

Auf der Stufe danach. Wenn das Ministerium keine verfassungsrechtlichen Einwände hat, bleiben den Organisatoren nur 14 Tage, um die Unterschriften von zehn Prozent der bayerischen Wähler durch Eintragungen in amtlichen Stellen zusammenzubekommen. 940 000 Unterschriften in zwei Wochen ist eine Mammutaufgabe und fast nicht zu schaffen.

Die Nichtraucherinitiative um den ÖDP-Mann Sebastian Frankenberger hat es 2008 aber gestemmt.

Das stimmt, das war allerdings auch eine Ausnahme. Von acht Volksbegehren scheiterten in den letzten zwölf Jahren sieben auf dem Weg zum Volksentscheid an dem knappen Zeitfenster. Ich plädiere deshalb für eine Verlängerung der Frist auf mindestens sechs Monate. Außerdem sollte wie in anderen Bundesländer die Möglichkeit bestehen, auch auf der Straße die notwendigen Unterschriften zu sammeln. Denn wie die Schweizer so schön sagen, ist nicht unbedingt das Ergebnis der Volksabstimmung entscheidend, sondern das vorherige Gespräch der Bürger miteinander.

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