Verfassungsgerichtshof:Frust und Jubel

CSU und SPD sehen sich in ihrer Ablehnung des Volksbegehrens durch den Verfassungsgerichtshof bestätigt. Umweltverbände und Grüne dagegen geben sich trotzig und erwägen einen neuen Vorstoß

Von Christian Sebald

nterstüzer des Volksbegehren gegen Flächenfraß demonstrieren

Die Unterstützer des Volksbegehrens demonstrieren am Dienstag vor dem Münchner Justizpalast gegen die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Selten hat ein Bündnis so viel Zustimmung erfahren. Die nötigen Unterschriften waren schnell gesammelt. Genützt hat es zunächst nichts.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Es ist kurz vor elf Uhr an diesem Dienstag, der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat soeben das Volksbegehren "Betonflut stoppen - damit Bayern Heimat bleibt" abgeschmettert. Da bricht es aus Ludwig Hartmann heraus. Zweieinhalb Jahre hat der Chef der Landtags-Grünen und Sprecher des Volksbegehrens gegen den Flächenfraß gekämpft, die Initiative war sein Baby. Jetzt lässt er seinem Frust freien Lauf. "Mit diesem Urteil haben die Verfassungsrichter die Latte so hoch gehängt, dass eine Volksgesetzgebung kaum noch möglich sein wird", sagt Hartmann frustriert. "Das Urteil ist ein schwarzer Tag für die direkte Demokratie." Dennoch wollen die Grünen, der Bund Naturschutz (BN), der Landesbund für Vogelschutz (BN) und die anderen Partner des Bündnisses gegen den Flächenfraß nicht aufgeben. Ein ums andere mal haben sie zuvor betont, dass sie den Flächenfraß zu einem zentralen Thema im Landtagswahlkampf machen werden.

In der nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernten Staatskanzlei setzt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) etwas später zum Lob auf den Verfassungsgerichtshof an. "Wir hatten gehofft, dass die Entscheidung so kommt", sagt er. "Das Grundanliegen, Flächen zu schonen, ist ein gemeinschaftliches Anliegen. Aber der Ansatz, den die Grünen haben, ist der falsche Weg." Bauministerin Ilse Aigner (CSU) sekundiert. "Natürlich müssen wir verantwortungsvoll mit unseren Flächen umgehen", sagt sie. "Wir wollen das aber nicht mit Verboten, sondern mit Anreizen für die Kommunen schaffen." Ex-Parteichef Erwin Huber, als Vorsitzender der Wirtschaftsausschusses im Landtag für das Thema zuständig, kann seine Triumphgefühle kaum verbergen. "Lediglich eine Wunschmarke zu setzen und die Umsetzung völlig offen zu lassen, wie das die Grünen und die Betreiber des Volksbegehrens vorsehen, bringt außer Stimmungsmache gar nichts", sagt Huber. "Mit ihrem juristisch und inhaltlich schlecht formulierten Volksbegehren" habe die Initiative gezeigt, "dass es ihr gar nicht um Lösungen ging, sondern nur um grünen Populismus im Wahlkampf". Natürlich begrüßen auch die Kommunen das Urteil.

In der Tat können die Staatsregierung und die CSU dem Verfassungsgerichtshof sehr dankbar sein. Mit seinem Urteil ist das höchste Gericht Bayerns weitgehend der Argumentation des Innenministeriums in der Verhandlung vor vier Wochen gefolgt. In der kurzen mündlichen Urteilsbegründung erklärt Gerichtspräsident Peter Küspert, dass in dem Gesetzesentwurf des Bündnisses die "erforderlichen Vorgaben fehlen, nach denen die Staatsregierung als Verordnungsgeber des Landesentwicklungsprogramms die Aufteilung des zulässigen Flächenverbrauchs auf die einzelnen Planungsträger vorzunehmen hätte". Damit will er sagen, dass die Grünen, der BN, der LBV und die anderen Umweltorganisationen versäumt haben, konkrete Bestimmungen für die Umsetzung der von ihnen geforderten Obergrenze beim Flächenfraß von fünf Hektar am Tag zu liefern. Deshalb schränkt ihr Gesetzesentwurf die kommunale Planungshoheit in unzulässiger Weise ein. Zumal die verschiedensten Kriterien vorstellbar seien, die womöglich die unterschiedlichsten Auswirkungen für die Kommunen hätten. Als Beispiele nennt Küspert die Bevölkerungszahlen der Kommunen und deren demografische Entwicklung, aber auch die noch vorhandenen Freiflächen.

Das Bündnis gegen den Flächenverbrauch gibt sich dennoch entschlossen. "Die Bevölkerung hat uns durch ihren immensen Zustrom an unseren Infoständen gezeigt, dass sie dem ungebremsten Flächenfraß nicht länger zusehen will", sagt Hartmann. "Diesen Auftrag nehmen wir an." Zugleich bringt er ein neuerliches Volksbegehren ins Spiel, das den hohen Kriterien des Verfassungsgerichtshofs entsprechen soll. BN-Chef Richard Mergner spricht sehr viel zurückhaltender. "Während der letzten Monate ist klar geworden, dass der ausufernde Flächenfraß auf großen Widerstand stößt", sagt er. "Überall in Bayern gehen die Menschen gegen Straßenneubauprojekte, Gewerbehallen und Einkaufszentren auf der grünen Wiese auf die Straße."

LBV-Chef Norbert Schäffer erinnert daran, dass der Flächenfraß ein zentraler Grund für den massiven Artenschwund ist. "Auch heute verschwindet wieder ein Stück der einzigartigen bayerischen Natur unter Beton und Asphalt, Tiere und Pflanzen verlieren ihren Lebensraum, die Vielfalt unserer Landschaft und damit des Lebens nimmt immer weiter ab", sagt er. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Bayern mit solcher Geschwindigkeit seine Landschaft, seine Vielfalt und damit seinen lebenswerten Charakter verliert."

Die Freien Wähler, die SPD und die FDP begrüßen das Urteil. Den Freien Wählern ist besonders wichtig, dass das Verfassungsgericht "die Planungshoheit und das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen voll gewahrt hat", wie ihr Landtagsabgeordneter Michael Piazolo sagt. FW-Chef Hubert Aiwanger gibt sich derweil besonnen. Er fordert, den Flächenfraß konkreter anzugehen als bisher, "stets in dem Bewusstsein: Jeder Quadratmeter, der zugebaut wird, fehlt uns für die Nahrungsmittelproduktion und fehlt der Tier- und Pflanzenwelt." Anders die Landtags-SPD. Ihr Fraktionschef Markus Rinderspacher sagt an die Adresse der Grünen gerichtet, dass sie sich "mit ihrem untauglichen Gesetzesentwurf keinen Gefallen getan haben". Die FDP nennt das Volksbegehren einen "Anschlag auf den ländlichen Raum". Eine Obergrenze, wie sie das Bündnis gefordert hat, würde aus Sicht der Liberalen nur "bezahlbaren Wohnraum, wirtschaftliches Wachstum und die Entwicklungsmöglichkeiten von Städten und Gemeinden" gefährden.

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