Heftige Vorwürfe gegen VdK:Großkonzern der Menschlichkeit

Eigentlich soll der VdK Menschen helfen. Doch nun erheben Mitglieder heftige Vorwürfe gegen den Sozialverband: Er soll als Türöffner und Datenlieferant für eine Versicherungsgruppe fungieren. Manche sprechen sogar von ähnlichen Methoden wie bei einer Drücker-Kolonne.

Dietrich Mittler

Es trägt Züge eines Rituals, wie die VdK-Führungsriege Jahr für Jahr in München vor die Mikrophone tritt, wie sich Landesgeschäftsführer Albrecht Engel dann voller Ernst sein Manuskript zurechtrückt und verkündet: "Das Mitgliederwachstum im Sozialverband VdK Bayern ist absolut ungebrochen." Stets folgt dann ein Stakkato an Zahlen, das bei aller nach außen hin zur Schau gestellten Bescheidenheit vor allem eines zum Ausdruck bringt: Wir sind gut - sogar sehr, sehr gut.

Heftige Vorwürfe gegen VdK: Der VdK bietet zahlreiche Versicherungen, aber auch Reisen an.

Der VdK bietet zahlreiche Versicherungen, aber auch Reisen an.

Der Laden floriert, mittlerweile sind es mehr als 600.000 Mitglieder allein in Bayern. Willi Hofmann, Mann der ersten Stunde, brachte es 2007 bei der 60-Jahr-Feier des VdK auf die Formel, der Verband ähnele "schon fast einem Konzern".

Genau das bereitet kritischen Mitgliedern Sorge - vor allem die Verflechtungen mit der Versicherungswirtschaft. Die Jagd nach Mitgliederrekorden und Gewinnen - so warnen sie - verrate letztlich die Ideale, die der Verband wie eine Monstranz vor sich hertrage. Reinhard Lerner, vor kurzem noch VdK-Ortsvorsitzender im oberbayerischen Markt Schwaben, hat dem Verband den Rücken gekehrt.

"Möge es gelingen, dass der VdK den Weg von fragwürdiger Geschäftstätigkeit zurück zu seinen eigentlichen Zielen findet, der Fürsorge für Kriegsopfer, Alte, Gebrechliche, Behinderte und sozial Benachteiligte", schrieb er den VdK-Oberen. Dann trat er vom Amt als Ortsvorsitzender zurück und kündigte gleich auch noch die Mitgliedschaft. Er lehne es ab, zum Helfershelfer für "ungebetene Vertreterbesuche" zu werden - "mit dem Ziel, Alten und Gebrechlichen umstrittene Versicherungen anzudienen".

Der VdK "als Türöffner, Datenlieferant und Werbeträger" für die Ergo Versicherungsgruppe - nicht mit Lerner. Ein böser Verdacht kam in ihm auf: Datenhandel auf Kosten der VdK-Mitglieder - womöglich gegen eine Spende? Ein Werbebrief für ein Angebot der Ergo-Gruppe, unterzeichnet von Engel, hatte Lerners Zweifel geweckt. Darin heißt es: "Erkundigen Sie sich einmal, was heute ein Begräbnis kostet. Sie werden staunen, was da zusammenkommt. Unaufschiebbare Kosten, die man nicht gern seinen Angehörigen hinterlässt. Es lohnt sich deshalb Vorsorge zu treffen. Und unsere Sterbegeldversicherung bietet Ihnen eine günstige Gelegenheit dazu."

Sterbegeld-Deal seit den 1960er-Jahren

Geschäftsführer Engel kontert: "Der VdK-Landesverband Bayern verkauft keine Adressen seiner Mitglieder an Ergo oder andere." Es gebe auch keine Provisionen dafür. Ganz leer geht der VdK allerdings nicht aus: Die Vertreter von Ergo legen den Senioren bei Abschluss einer Sterbegeldversicherung stets auch eine sogenannte Zuwendungserklärung zugunsten des VdK vor. Darin heißt es: "Bis auf meinen jederzeit möglichen Widerruf spende ich der Vereinigung laufend Beträge in Höhe des jeweils anfallenden Grundüberschussanteiles."

Damit werden Projekte finanziert, die wir vielleicht sonst nicht machen könnten, etwa Feriencamps für jährlich rund 230 bedürftige Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung", rechtfertigt Verbandssprecher Michael Pausder diese Praxis. Alles sei rechtlich korrekt und vom bayerischen Datenschutzbeauftragten überprüft. Viele andere Vereine böten ihren Mitgliedern auch Gruppenversicherungsverträge mit günstigeren Konditionen an.

Der Sterbegeld-Deal zwischen dem VdK Bayern und Ergo - vormals Hamburg-Mannheimer - besteht seit Ende der 1960er Jahre, und wie Engel betont, sehr zum Vorteil der Mitglieder. Sprich: Für sie gilt ein höheres Eintrittsalter, auch entfalle die sonst nötige Gesundheitsprüfung. Aber: Als Gegenleistung bekamen die Ergo-Außendienstmitarbeiter grünes Licht für unangemeldete Hausbesuche bei VdK-Mitgliedern.

"Die Versicherungsvertreter sagen, sie kommen im Auftrag des VdK - und damit sind sie drin", sagt der frühere Ortsvorsitzende Lerner. Bis Ende 2010 durften die Vertreter den ersten Monatsbeitrag sofort einkassieren. "Dies wird auch in dem Ausweis, den jeder beauftragte Außendienstmitarbeiter vorweisen kann, vom VdK-Landesverband bestätigt", heißt es in einem Schreiben aus dem Jahr 2009, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

"Die Vorwürfe tun mir weh"

Lerner erinnert das stark an die Methoden von Drücker-Kolonnen. Er stöberte in Internetforen. Unter www.lebens-phase.de findet sich etwa der Eintrag eines Mannes, der von sich behauptet, er habe als Versicherungsvertreter kurzzeitig "überteuerte Sterbegeldversicherungen" verkauft. "Die Adressen haben wir vom VdK bekommen und sind unter VdK-Fahne zu diesen Menschen gegangen. Das konnte ich mit meinem Gewissen auch nicht so recht verkraften", schreibt er.

Babette Gillmeier und ihr Mann Rudolf aus dem mittelfränkischen Rednitzhembach haben eine Begegnung dieser Art hinter sich: "Einmal stand plötzlich ein Vertreter auf unserem Grundstück. Auf unsere Nachfrage, wer ihn denn geschickt habe, erklärte er: der VdK", erinnert sich die 59-Jährige. Sie rief umgehend in München an: "Ich verbitte mir das, dass da meine Anschrift weitergegeben wird", erklärte sie. Das wirkte.

Doch der VdK sieht sich zu Unrecht in der Kritik: Bereits in ihrer Beitrittserklärung könnten zukünftige Mitglieder durch das Ankreuzen eines Kästchens die Weitergabe ihrer Daten unterbinden. Etwa die Hälfte macht mittlerweile davon Gebrauch, sagt Engel. Allerdings wies der VdK bereits in der Vergangenheit vorsorglich darauf hin, "dass mit dem Widerspruch die kontinuierliche Information über einen wichtigen Teil des Dienstleistungsangebots des Sozialverbands VdK dem Mitglied nicht mehr zukommt". Und das wollte Babette Gillmeier nun auch nicht, als sie Mitglied wurde.

Kritik ist die VdK-Zentrale nicht gewohnt. "Seit meiner Jugend bin ich ein Herzblut-VdKler, die Vorwürfe tun mir weh", sagt Verbandssprecher Pausder. Dabei lief doch bisher alles nach Plan - ja sogar noch besser. In nur zwölf Jahren ist die Zahl der Mitglieder von 400.000 auf jetzt mehr als 600.000 gestiegen. 2005 konnte der VdK Horst Seehofer, den jetzigen Ministerpräsidenten, kurzzeitig als Landesvorsitzenden gewinnen. 2008 wurde Ulrike Mascher, die derzeitige Landesvorsitzende, auch Chefin des VdK Deutschland mit 1,6 Millionen Mitgliedern. Sie leitet damit den mächtigsten Sozialverband der Bundesrepublik.

Im Jahre 2011 hat der VdK Bayern für seine Mitglieder 151.000 Sozialrechtsberatungen durchgeführt, 9000 Sozialgerichtsverfahren begleitet und dabei rund 20 Millionen Euro an Nachzahlungen erstritten", so die Erfolgsbilanz des VdK. Mit diesen Zahlen lässt sich Staat machen, die anderen Zahlen behält der Verband lieber für sich: Von den 10.078 Fällen, die der VdK Bayern 2010 vor Gericht vertrat, wurden nur 3794 "gewonnen oder erfolgreich durch Vergleich abgeschlossen", räumt Rainer Strauch, Leiter der Rechtsabteilung ein. Erfolgsquote 37,65 Prozent. "Nimmt man die 1029 Fälle dazu, in denen eine Vertagung erreicht werden konnte, so liegt die Quote bei 47,86 Prozent", rechnet sich Strauch das Ergebnis nach oben. Das bedeutet aber: Mehr als die Hälfte der vom VdK vertretenen Verfahren ging verloren.

"Geholfen haben die nicht viel"

Auf den VdK lädt sich Frust ab, auch wenn der Fall gar nicht zu gewinnen war", ist man sich im Verband sicher. Beschwerden gebe es dennoch selten. Doch das Internet ist voll davon - gleich ob bei "Rheuma-Online" oder anderen Selbsthilfe-Foren. Neben Einträgen wie "Ich kann dir nur empfehlen, in den VdK einzutreten" reihen sich solche wie "Mein Mann und ich waren jahrelang beim VdK, geholfen haben die nicht viel".

Der Münchener Friseur Mohsen Nazifkar - zu 90 Prozent schwerbehindert - sieht das genauso. "Ich hatte gehört, der VdK hilft Menschen in sozialer Not", sagt er, "aber für mich haben sie nichts getan." Erst zwei Minuten vor dem Verfahren gegen seine frühere Krankenkasse habe er seinen VdK-Rechtsvertreter kennengelernt. Während der Verhandlung habe der kaum ein Wort gesagt.

"Ich habe verloren, weil ich dem Verband vertraut habe", sagt Nazifkar. Ein Sozialgerichtsverfahren steht allerdings noch an. Für das hat Nafzifkar einen neuen Anwalt beauftragt. Der gibt der Prozessstrategie des VdK kein gutes Zeugnis: Die sei "leider mangelhaft" gewesen. Er müsse wohl eine ergänzende Klagebegründung nachreichen.

Teure Rechtsberatung

VdK-Pressesprecher Michael Pausder geht solche Kritik zu weit. Es sei zwar menschlich verständlich, wenn im Verfahren Unterlegene die Schuld beim VdK suchten, aber: "Unsere Sozialrechtsberatung ist anerkannt, ein Totalverriss ist nicht gerechtfertigt", sagt er. In den Internet-Foren indes sinkt der Respekt vor den Leistungen des Verbandes. "Vielleicht hat der VdK ja auch zu viel zu tun", schreibt da ein gewisser Robert.

Bislang hat der vor Kraft strotzende Verband Äußerungen wie diese einfach ignoriert. Eine Methode, die auch bei aufmüpfigen VdK-Ortsvorsitzenden lange Zeit wirkte - es waren ja nicht sehr viele. "Ignorieren löst keine Probleme", schrieb Reinhard Lerner an die VdK-Führungsriege. In München brachte das niemanden wirklich aus der Ruhe. Seitdem aber verbandsinterne Kritiker Gehör bei den Medien finden, reagieren Geschäftsführer Engel und die Seinen dünnhäutig - geht es doch um das größte Kapital des VdK Bayern: seinen guten Ruf.

Der hat eine solche Sogwirkung, dass rein rechnerisch täglich an die 140 Frauen und Männer beitreten. Das spült natürlich Geld in die Kasse: Mehr als 600.000 Mitglieder bedeuten bei einem Monatsbeitrag von fünf Euro fixe Jahreseinnahmen in Höhe von 36 Millionen Euro.

"Manche glauben, bei diesen Mitgliederzahlen müsste der VdK Bayern doch langsam im Geld schwimmen", sagt Pausder. Dem sei längst nicht so. Allein die Rechtsberatung sei ausgesprochen teuer für den Verband. Gesucht würden daher idealistisch gesinnte Mitglieder, die im VdK nicht nur eine bezahlbare Rechtsvertretung sehen, sondern zuvörderst den kämpferischen Interessenverband für die Alten, Armen und Kranken. Also Menschen, die sich für den VdK einsetzen - solche wie Reinhard Lerner.

Der bekundet: "Ich schätze die Ziele des VdK und das Engagement der ehrenamtlich tätigen Mitglieder nach wie vor." Doch in diesem Sozialverband sah Lerner für sich selbst keine Zukunft mehr.

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