Urteil zu Pfusch am Bau:Das Albtraumhaus

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Der Pfusch am Bau ist unübersehbar. Doch ein Lehrer kämpft seit Jahren erfolglos um Entschädigung. Jetzt urteilt der Bundesgerichtshof, und das Bundesjustizministerium plant ein neues Gesetz.

Christian Deussing

Es sollte ein Traumhaus sein, doch es wurde ein Albtraum, eine endlose Pein seit dem Einzug im Jahr 1991. Ein normales Leben in diesem Haus ist kaum möglich: Die Böden sind abgesackt, die Deckenbalken durchgebogen, die Wände zu schwer und Leitungen kaputt.

Risse in den Mauern, abgesenkte Böden. Doch Gerd-Dieter Schramm hat bei seinem Kampf um Entschädigung bislang keinen Erfolg. (Foto: Georgine Treybal)

Der Putz ist aufgeplatzt, tiefe Risse durchziehen das Mauerwerk. Und im Obergeschoss schließt keine Tür richtig. Das Haus in Bernried im Kreis Weilheim-Schongau ist nicht nur baulich aufsehenerregend, es ist mittlerweile in die Justizgeschichte eingegangen. Um den Pfuschbau tobt seit 16 Jahren einer der längsten Rechtsstreite der Bundesrepublik, und das Bundesjustizministerium plant wegen dieses Hauses sogar ein neues Gesetz: Es soll die jahrelange Verzögerung von Prozessen verhindern und Entschädigungen für Betroffene erleichtern.

Gerd-Dieter Schramm wartet am Gartentor. 71 Jahre alt ist der Besitzer des Schrotthauses, und der jahrelange Streit mit dem Architekten um die Haftung für den Schaden hat ihn und seine Frau zermürbt. Seit Mitte der neunziger Jahre streitet sich der pensionierte Lehrer Schramm mit dem Architekten.

Es gab Entscheidungen des Landgerichts, des Oberlandesgerichts, nun muss sich sogar der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe damit befassen. Es werde relativ schnell entschieden, sagte eine Gerichtssprecherin, oder auch "erst nach einem Jahr".

Das ist nichts Neues für Hausbesitzer Schramm. Er kennt die Fallstricke der Justiz mittlerweile gut. Zwei Entscheidungen des Landgerichts München II waren 2001 und 2004 wegen Formfehlern aufgehoben worden. Aber erst in diesem Juni schaffte es nach vier Jahren das Oberlandesgericht München, ein "Endurteil" zu fällen. Demnach muss der Tutzinger Architekt für die gravierenden Schäden am Haus und die mangelnde Bauaufsicht etwa 152.000 Euro plus Zinsen an Schramm zahlen.

Der ist trotzdem nicht glücklich, denn diese Summe reiche kaum für die notwendige Sanierung des Hauses aus, sagt er. Fünf amtliche Baugutachter haben sich mit dem Objekt beschäftigt. Der Rechtsstreit füllt inzwischen 25 Aktenordner - in denen ohne Anlagen mehr als 2000 Blatt abgeheftet sind, wie ein Sprecher des Oberlandesgerichts München bestätigt. Ein vergleichbar langes Verfahren ist ihm nicht bekannt. Das bayerische Justizministerium bestätigt: Bausachen sind normalerweise im Schnitt nach knapp elf Monaten erledigt.

Schramm sieht sich als "Justizopfer". Er versteht nicht, warum den Richtern am Landgericht München "Formfehler" passiert sind. Der frühere Diplom-Sportlehrer fragt sich auch, warum erst so spät erkannt worden ist, was Gutachter bereits vor 15 Jahren festgestellt haben - dass nämlich nur eine "Generalsanierung" und keine handwerklichen Nachbesserungen ausreichten, das Gebäude in seiner Substanz zu retten.

Dieses Verfahren sei ein "trauriges Unikat" und schreibe bereits Rechtsgeschichte, sagt Schramms Anwalt Michael Duvernoy. Der Jurist bedauert, dass der Architekt den Vergleich von zuletzt 125000 Euro nicht angenommen habe. Von "erneuter Zeitschinderei der Gegenseite", spricht er.

Der Tutzinger Architekt, der 1994 von Bauherr Schramm knapp 7000 Euro an noch ausstehendem Honorar eingeklagt hatte und somit den Prozess ins Rollen brachte, hält das OLG-Urteil für ungerecht und falsch. Der Planer kritisiert die "Unfähigkeit der Gerichte, einen derartigen Prozess ökonomisch zu führen". Es sei für ihn neu, dass Architekten offenbar "für alles verantwortlich einstehen müssen".

Seine Karlsruher Anwältin verweist auf "Rechtsfehler und Defizite" im Urteil des Oberlandesgerichts, die erhebliche Auswirkungen auf das Architektenrecht hätten. Überdies sei die "Verantwortung des Statikers nicht berücksichtigt" worden, heißt es in ihrer Beschwerde an den BGH in Karlsruhe.

Das letzte, mehrere zehntausend Euro teure Gutachten hatten die Münchner OLG-Richter im September 2007 in Auftrag gegeben, es wurde aber erst am 3. Februar 2009 beim Oberlandesgericht eingereicht. Auf 247 Seiten und 111 Fotos wird darin bilanziert und ergänzt, was bereits die Sachverständigen in den neunziger Jahren an Mängeln aufgezeigt hatten. Das Gericht brauchte dann immer noch 16 Monate bis zum Urteil.

Der Justizmarathon - dem noch ein "selbständiges Beweissicherungsverfahren" der Familie vorausgegangen war - hat das Bernrieder Ehepaar krank gemacht, psychisch und körperlich, wie Atteste belegen. Und es nahezu in die Pleite getrieben. Denn allein für die Gerichts- und Gutachterkosten mussten die Hausbesitzer bereits mehr als 30.000 Euro zahlen.

"Spielwiese für Anwälte"

Solchen Fällen soll künftig mit einer "Verzögerungsrüge" und möglichen Entschädigungen der Riegel vorgeschoben werden. Bürger sollen vor Prozessverschleppungen, zu langsamen Richtern und den daraus entstehenden Belastungen geschützt werden. Das plant das Bundesjustizministerium. Es reagiert damit auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Der Gesetzentwurf aus Berlin sei zu begrüßen, wenn er Verfahren beschleunige, sagt Ernst Burger von der Neuen Richtervereinigung in Bayern. Die geplante Regelung biete aber auch "Spielwiesen für Anwälte", die Entschädigungen erreichen wollen.

Für die Bernrieder Familie würde das Gesetz ohnehin zu spät kommen. Das Rentnerehepaar wartet jetzt angstvoll die Entscheidung in Karlsruhe ab, während es seine Hausbank im Nacken spürt, die 306.000 Euro an Kredit und Zinsen fordert. "Wenigstens haben wir dreimal die Zwangsversteigerung knapp verhindern können", sagt der Hausherr. "Aber wer kauft schon eine Ruine?"

© SZ vom 20.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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