Urteil:Pfaffenhofener Geiselnehmer muss in Psychiatrie

Geiselnahme im Jugendamt

Zwei Polizisten, die sich als Notärzte ausgaben, konnten den Geiselnehmer überwältigen.

(Foto: dpa)
  • Im November 2017 hat ein Mann eine Sachbearbeiterin des Jugendamts in Pfaffenhofen an der Ilm als Geisel genommen.
  • Der an Schizophrenie erkrankte 29-Jährige wollte damit erreichen, dass seine Tochter wieder bei ihm und der Mutter leben darf.
  • Nun wurde er zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt.

Fünfeinhalb Stunden lang hat er seine Geisel bedroht. Immer wieder hielt er der Sachbearbeiterin im Jugendamt das Messer an den Hals, verletzte sie auch durch Schnitte. Die Frau stand Todesängste aus, wie sie später der Kripo berichtete. Bis heute ist sie traumatisiert. Am Freitag wurde der Geiselnehmer in Ingolstadt zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe und der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik verurteilt. Wann er die geschlossene Abteilung wieder verlassen kann, wird davon abhängen, ob er seine von der Gerichtsgutachterin diagnostizierte Schizophrenie behandeln lässt.

Für das Landgericht war bei dem Urteil die Frage der Unterbringung des 29-Jährigen wichtiger als die Dauer der Haftstrafe. Zumal der Mann wegen seiner Krankheit vermindert schuldfähig ist. Nach Überzeugung des Vorsitzenden Richters Thomas Denz bleibt der Angeklagte eine Gefahr für die Allgemeinheit, so lange er nicht erfolgreich therapiert ist.

Der Mann hatte in dem Prozess alle Vorwürfe aus der Anklageschrift uneingeschränkt eingeräumt. Er wollte mit seiner laut Richter "völlig sinnlosen" und "dilettantisch" begangenen Tat im oberbayerischen Pfaffenhofen an der Ilm erzwingen, dass seine bei einer Pflegefamilie untergebrachte Tochter zu seiner Freundin, der Mutter des Mädchens, zurückgebracht wird. Polizisten befreiten schließlich die Geisel, indem sie sich als Notärzte ausgaben und den Täter mit einem Elektroschocker außer Gefecht setzten. Das Spezialeinsatzkommando der Polizei hatte schon seit Stunden vor der Tür auf den Einsatz gewartet.

Der Angeklagte machte im Laufe des viertägigen Verfahrens einen eher stoischen, keineswegs gewalttätigen Eindruck. Ein so schweres Verbrechen war ihm kaum zuzutrauen. Auch Denz zerbrach sich den Kopf darüber, wieso der Angeklagte im vergangenen November diese "ziellose Aktion" im Jugendamt begangen hat: "So, wie wir Sie kennengelernt haben, passt das eigentlich gar nicht zu Ihnen." Immer wieder fragte der Richter nach Hintergründen und machte klar: "Ich möchte Sie verstehen!" Letztendlich blieb der Angeklagte rätselhaft. Die Hauptschule hatte er mit mäßigen Noten abgebrochen. Er habe "keine große Lust zum Lernen" und auch keine Träume als Jugendlicher gehabt, sagte er. "Ich wollte nur mit meinen Freunden abhängen." Die Folge war Arbeitslosigkeit. "Ich habe eigentlich nichts Besonderes getan", fasste der 29 Jahre alte Deutsche die Zeit seit dem Ende seiner Schulzeit zusammen.

Bisher konnte der Mann nicht erfolgreich behandelt werden

Auffällig sind hingegen seine etwa 20 Suizidversuche, immer wieder kam der Mann dann in Fachkliniken. Seit seiner Jugend zeigt er ebenso ein Hang zum Alkohol. Im Suff wurde er auch mehrfach aggressiv. Mal warf er seine Katze aus einem mehrstöckigen Wohngebäude, mal pöbelte er Polizisten an. Seine Erklärung: "Ich wollte Ärger machen!" Schließlich kündigte er sogar die Tötung von Menschen an. Die Behandlung seiner Krankheit scheiterte daran, dass der Mann Medikamente nicht zuverlässig nahm.

War seine seit Jahren vorhandene Todessehnsucht der eigentliche Grund der Geiselnahme? Experten sprechen von "Suicide by cop" (Suizid durch Polizisten), wenn lebensmüde Menschen eine Tat begehen, um dann von Beamten getötet zu werden. Dies war auch Thema im Prozess. Auf die Frage, mit welchem Ende er bei der Aktion in der Kreisbehörde gerechnet habe, antworte der Mann: "Ich hätte erwartet, dass ich erschossen werde."

Die Gutachterin machte klar, dass selbstmordgefährdete Menschen oft ein Risiko für andere seien: "Es gibt eine Verbindung zwischen Gewalt gegen sich selbst und Gewalt gegen andere." Das Gericht schloss sich dem an. Doch Richter Denz gab dem Angeklagten zum Schluss noch die Perspektive auf ein normales Leben in Freiheit mit auf den Weg - wenn er sich endlich einer Therapie öffne: "Wir gehen davon aus, dass Sie dringend behandelt werden müssen."

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