Urteil:Richterinnen mit Kopftuch sind eine notwendige Zumutung
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Auch eine Rechtsreferendarin darf ein Kopftuch tragen, entscheidet ein Gericht. Und eine Richterin? Natürlich. So viel Religionsfreiheit müssen die Mitmenschen schon aushalten können.
Kommentar von Matthias Drobinski
Dieses Urteil des Verwaltungsgerichts in Augsburg ist eine Zumutung, und das ist gut so. Um was es geht? Eine Juristin sollte in ihrem Referendariat beim Münchner Oberlandesgericht nicht im Gerichtssaal arbeiten dürfen - weil sie als Muslimin ein Kopftuch trägt. Dieses Kopftuch verstoße gegen das Neutralitätsgebot.
Die Richter in Augsburg sahen darin jedoch die Religions- und Ausbildungsfreiheit der Referendarin verletzt. Sie folgen damit im Grundsatz dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015 über das Kopftuch für Lehrerinnen: Die Erlaubnis ist die Regel. Und ein Verbot nur erlaubt, wenn der Schulfriede gestört ist.
Ja, diese Regelung ist eine Zumutung: Wer aus welchem Grund auch immer vor Gericht steht oder dort als Zeuge aussagt, hat das Recht auf unvoreingenommene Richter und Staatsanwälte. Und er (oder sie) mag eine Frau, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt, für nicht neutral, gar befangen halten, gerade, wenn es in einer Verhandlung um Religion, Sitte und Moral geht.
Nur gilt das auch für überzeugte Christen, Juden, Buddhisten oder Atheisten: Weder im Gericht noch in der Schule kann Neutralität bedeuten, dass die Menschen, auf die man dort trifft, glaubens- und überzeugungsfrei sind. Neutralität bedeutet, dass eine Richterin sich nicht bei ihren Fragen und Urteilen von ihrer Religion leiten lässt, dass ein Lehrer seine Schüler nicht indoktriniert. Das aber muss im Einzelfall nachgewiesen werden. Ansonsten steht das konkrete Recht auf Glaubensfreiheit über dem abstrakten Recht der anderen, von diesem Glauben nicht bedrängt zu werden.
Religionsfreiheit bedeutet, die andere Sicht auszuhalten
Seit bald 20 Jahren nun währt der Streit ums religiöse Kopftuch im öffentlichen Dienst in all seinen Facetten und Urteilen - und auch in all seiner Erbitterung. Es ist ein Streit über das Verhältnis von positiver und negativer Religionsfreiheit, vom Recht auf Ausübung einer Religion und dem Recht darauf, frei von Religion zu bleiben.
Er wird in einer Gesellschaft ausgetragen, in der sich die kirchlichen Bindungen der Mehrheit lockern und zugleich ein Islam seinen Platz sucht, der fromm ist, an seinen islamistischen Rändern verstörend fromm. Und die Härte, mit der um dieses Verhältnis gerungen wird, zeigt, wie sehr das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ein Recht auf gegenseitige Zumutung ist - und sein muss.
Der Andersgläubige und Andersdenkende ist ja immer eine Zumutung: Wieso teilt der nicht, wovon ich überzeugt bin? Religionsfreiheit bedeutet aber, dies auszuhalten - und anderen den eigenen (Un-)Glauben zumuten zu dürfen. Die Christen, Juden und Konfessionsfreien müssen ertragen, dass muslimische Frauen sich entscheiden, ein Kopftuch zu tragen, auch in der Schule oder im Gericht. Die Muslime wiederum müssen aushalten, dass es Menschen gibt, die dieses Kopftuch für ein Symbol der Unfreiheit halten, und nicht jede Religionskritik als islamfeindlich ansehen.
Das gegenseitige Recht auf Zumutung hat dort Grenzen, wo der Übergriff beginnt. Wo das ist, muss immer wieder neu und mühsam ausgehandelt werden. Was ist, wenn die Referendarin morgen in der Burka käme? Dann gäbe es gute Gründe, ihr zu einem anderen Beruf zu raten. Wer darf wann betäubungsfrei schächten? Wie ist die religiöse Knabenbeschneidung zu regeln? Dürfen Eltern ihre Tochter vom Schwimmunterricht abmelden?
Es ist mühsam, sich durchs Dickicht der Zweifelsfälle zu schlagen. Doch es geht. Es entsteht gerade jenseits der öffentlichen Aufregung ein pragmatischer Weg zwischen dem Missverständnis, dass jede Einschränkung religiöser Praktiken eine Menschenrechtsverletzung ist, und der Fehlannahme, dass Staatsdiener religiöse Neutren sein müssten. Das Augsburger Urteil ist ein Beispiel dafür.
Die Vorstellung ist verlockend, dass die Glaubensfreiheit ohne solche Zumutungen zu haben wäre. Aber das ist eine Illusion. Sie lebt in den Spuren der 80er- und 90er-Jahre, als man gern übers Gemeinsame der Religionen sprach und das Schwierige ausklammerte. Sie lebt in der Vorstellung, die Auseinandersetzung wäre weg, wenn man alle Religionen aus dem öffentlichen Raum verbannte; das Berliner Neutralitätsgesetz, das alle religiösen Symbole an Schulen verbietet, ist ein Beispiel dafür. Und diese Vorstellung lebt im Programm der AfD, das den Islam zu einer Religion minderen Rechts machen will - als könnte man so eine konfliktfreie, homogene Gesellschaft formen.
Dabei hilft nur, miteinander leben zu lernen. Das geht übrigens am besten, wenn man auch die eigene Kultur kennt. Denn wer sich seiner sicher ist, kann gelassen fragen: Eine Referendarin mit guten Noten will ein Kopftuch tragen - gibt es sonst keine Probleme auf der Welt?