Urteil in Ingolstadt:Neun Jahre Haft für Mordversuch mit Rattengift

Prozess um Mordversuch mit Rattengift

Der 53-jährige Angeklagte ist des zweifachen versuchten Mordes angeklagt.

(Foto: Pixxite Media/dpa)
  • Ein 53 Jahre alter Mann ist zu neun Jahren Gefängnis wegen zweifachen versuchten Mordes verurteilt worden. Er hatte versucht, seine Eltern mit Rattengift zu töten.
  • Der Landwirt bestritt die Tat vor dem Landgericht Ingolstadt und verdächtigte seine Schwester, für den Anschlag verantwortlich zu sein.
  • Vor Gericht wurde klar, dass die Familienmitglieder sich schon länger nicht mehr viel zu sagen haben.

Von Hans Holzhaider

Ein 53-jähriger Landwirt aus Oberbayern hat versucht, seine Eltern mithilfe von Rattengift zu töten. Dafür ist er am Freitagmorgen vom Landgericht Ingolstadt wegen zweifachen versuchten Mordes zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nach Überzeugung der Richter hatte sich der Bauer das Rattengift in China bestellt und es dann Ende 2016 den Eltern in die Lebensmittel gemischt.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Eheleute Heidrun und Friedrich P. aus Wettstetten (Landkreis Eichstätt) dem Tod nur sehr knapp entgangen sind.

Am 13. Dezember 2016 suchte Friedrich P., damals 79 Jahre alt, seinen Hausarzt auf. Er blutete aus der Nase. "Ich habe tamponiert", berichtet Dr. B., "aber die Blutung war zu stark. Ich konnte sie nicht stoppen." Der Arzt war alarmiert. Er ließ den Patienten sofort mit dem Rettungswagen in die Universitätsklinik Regensburg bringen. Dort stellten die Ärzte fest, dass Friedrich P.'s Blut praktisch keine Gerinnungsfähigkeit mehr hatte. "Ich wurde vom Labor angerufen", sagt der Hausarzt, "und dann habe ich kombiniert: Die Ehefrau war am Tag zuvor bei uns gewesen. Sie hatte Blut im Urin. Auch bei ihr war der Gerinnungswert deutlich verringert. Ich dachte: Uups? Eine Intoxikation?"

Dr. B. schickte auch Heidrun P. ins Klinikum nach Regensburg. "Das ist vom Hausarzt exzellent gehandhabt worden", sagt Oberarzt Stephan S. "Die Patienten waren beide in einer lebensbedrohlichen Situation. Es hätte jederzeit zu einer tödlichen inneren Blutung kommen können." In einem Speziallabor in Bremen wurde in den Blutproben von Heidrun und Friedrich P. der Wirkstoff Brodifacoum nachgewiesen.

Brodifacoum ist ein chemisches Derivat des Pflanzenstoffes Kumarin. Es wurde in den Siebzigerjahren zur Bekämpfung von Ratten und Mäusen entwickelt. Ratten, die das Gift fressen, verenden innerhalb weniger Tage an inneren Blutungen. "Für diese Substanz gibt es keine natürliche Kontaminationsquelle", sagt die Laborärztin Gabriela Z. Und dass jemand das Rattengift versehentlich zu sich nimmt, ist nahezu ausgeschlossen. Alle in Europa vertriebenen Produkte müssen mit einer extrem bitteren Chemikalie versetzt werden, die sie für Menschen ungenießbar macht. Und dass Friedrich und Heidrun P. sich selbst das Leben nehmen wollten, halten alle, die sie kennen, für gänzlich ausgeschlossen.

Wie also war das Rattengift in das Blut von Heidrun und Friedrich P. gelangt? Die Familie P., Landwirte seit Generationen, genießt einiges Ansehen in der 5000-Einwohner-Gemeinde Wettstetten. Heidrun P. war jahrzehntelang in der Kommunalpolitik und im Bauernverband aktiv. Ihren Hof haben sie schon vor Jahren an ihren Sohn Friedrich, 53, übergeben. Der Junior, Vater von vier Kindern und 2015 nach fast zwanzigjähriger Ehe geschieden, wohnte allein oder mit wechselnden Partnerinnen in einem Haus, das ihm von einer Tante überschrieben wurde. Die Eltern wohnen im Haus daneben. Tochter Adele G., drei Jahre älter als Friedrich, lebt mit ihrer Familie ebenfalls in Wettstetten.

Zunächst wird nichts Verdächtiges gefunden

Als die Nachricht kommt, dass die Eltern offensichtlich Rattengift zu sich genommen haben, herrscht zunächst Ratlosigkeit. "Wir haben uns in der Familie unterhalten", sagt Adele G.'s Sohn Andreas. "Ich hab' dann bei der Polizei angerufen. Ich bin Sanitäter. Ich sagte: ,Da müssen wir was unternehmen'."

Die Polizei durchsucht das landwirtschaftliche Anwesen und die beiden Wohnhäuser des alten Ehepaars P. und von Sohn Friedrich. Proben aus der Wasseraufbereitungsanlage werden genommen, mehr als hundert Lebensmittel aus dem Haushalt der Eheleute werden zur Untersuchung ins Landeskriminalamt (LKA) nach München geschickt. Man findet nichts Verdächtiges. Aber dann werten die IT-Spezialisten des LKA den Computer von Friedrich P. junior aus. "Es gab eine gewaltige Anzahl von Treffern zum Thema Rattengift", sagt der Kriminalhauptkommissar Jörg W. Mehr als 15 000 Treffer gab es zum Suchwort "Brodifacoum".

Friedrich P. hatte sich über die tödliche Dosis für Ratten, Kaninchen, Katzen und Hunde informiert. Er hatte Seiten zum Thema "Strychninvergiftung" und "Schwermetallvergiftung" aufgerufen. Und er hatte über eine Online-Plattform zwei Bestellungen bei chinesischen Herstellern aufgegeben: einmal flüssiges Brodifacoum in einer fünfprozentigen Glykollösung und einmal 100 Gramm pures Brodifacoum in Form eines weißen Pulvers. Geruchlos, geschmacklos, und schon in einer Menge von einigen Milligramm potenziell tödlich für den Menschen.

Die Bestellungen wurden am 20. Oktober und am 16. November 2016 anstandslos ausgeliefert, die zweite also knapp vier Wochen, ehe bei den Eltern die ersten Vergiftungserscheinungen auftraten.

Am 24. Februar 2017 läutet die Kriminalpolizei bei Friedrich P. "Er hat den Haftbefehl sorgfältig durchgelesen; es war keine Reaktion festzustellen", sagt der Kriminalbeamte Johannes B. "Die Bestellung von Brodifacoum hat er eingeräumt; er habe es an einen anderen weiterverkauft. An wen, wollte er nicht sagen." Es sei eine merkwürdige Situation gewesen, sagt der Kripobeamte. "Der Vater stand etwas oberhalb, er hat gesehen, wie wir ihn wegbrachten, aber es gab keinerlei Reaktion."

Wollte der Sohn den Hof zu Geld machen?

Aber welchen Grund hatte Friedrich P., seinen Eltern den Tod zu wünschen? "Habgier", sagt die Staatsanwaltschaft. Das Haus, in dem die Eltern lebten, gehört zwar ihm, aber er kann es nicht verwerten. Die Eltern haben den lebenslangen Nießbrauch, und der Übereignungsvertrag enthält eine Rückauflassungsvormerkung: Im Fall eines Verkaufs wäre das Eigentum an die Eltern zurückgefallen. Wettstetten liegt nur ein paar Kilometer vom Ingolstädter Audi-Werk entfernt; für Baugrund bekommt man hier viel Geld.

Am 25. Januar 2018 beginnt vor dem Landgericht Ingolstadt der Prozess gegen Friedrich P. Die Staatsanwaltschaft legt ihm Mordversuch in drei Fällen zur Last. Im Zuge der Ermittlungen wurde bekannt, dass auch eine ehemalige Partnerin von Friedrich P. im Mai 2015 wegen einer stark verminderten Blutgerinnung behandelt worden war. Blutproben der Patientin waren nicht mehr vorhanden, aber in einer Haarprobe wurden minimale Spuren von Brodifacoum gefunden.

Friedrich P. junior ist ein stattlicher Mann mit dichtem, lockigem Haarschopf. Er kleidet sich gern ein bisschen unkonventionell; an den meisten Prozesstagen trägt er ein leuchtend rotes Hemd, die Ärmel immer bis über den Ellbogen aufgekrempelt. Die Schwere der Anklage schien ihn während des Prozesses nicht zu bedrücken; er gab sich gut gelaunt und redete in jeder Verhandlungspause lebhaft auf seine beiden Verteidiger ein.

Fragen beantwortete der Angeklagte nicht, aber er ließ von seiner Anwältin Alexandra Gutmeyr eine Erklärung verlesen: Er liebe seine Eltern über alles, heißt es darin, es habe für ihn "keinerlei Notwendigkeit (gegeben), das Leben meiner Eltern auf dem Gewissen zu haben". Er gab zu, dass die Geschichte mit dem angeblichen Weiterverkauf des Brodifacoum gelogen war. "Das war dumm von mir", sagte er.

Er habe das Zeug aus reiner Neugierde bestellt, weil er gelesen habe, "dass das besagte Mittel im Dopingbereich verwendet wird". Er habe testen wollen, ob man das tatsächlich so einfach geliefert bekomme. Als es dann tatsächlich kam, "habe ich das Paket ausgepackt, den Inhalt überprüft und umgehend in die Tonne geschmissen". "Jede beliebige Person" habe es dort entnehmen können. "Ich komme aber nicht umhin, meine Schwester Adele zu verdächtigen". Die habe auch ein Motiv gehabt, weil sie ja zur Alleinerbin geworden wäre, "wenn der Verdacht auf den dummen Bruder fällt".

Früher war das Verhältnis der Geschwister gut

Adele G. blieb angesichts dieser Verdächtigung erstaunlich gelassen, als sie ihre Zeugenaussage machte. Sie sagte kein böses Wort über den Bruder, aber ein inniges Verhältnis war es sicherlich nicht zwischen den Geschwistern, obwohl er der Taufpate ihres älteren Sohnes ist. Man hat sich gegrüßt, mehr nicht. Sie war nicht ein einziges Mal in seinem Haus. "Er ist mir aus dem Weg gegangen", sagte sie.

Früher, sagte sie, sei das Verhältnis gut gewesen. "Ich weiß nicht, wann sich das geändert hat. Da gab es keinen besonderen Anlass. Irgendwann war's halt vorbei." Es ist, das wird nach und nach klar, überhaupt nicht viel geredet worden in der Familie P., nicht einmal, als Friedrich junior im März 2013 sein eigenes Haus angezündet hatte. Strafrechtlich hatte das keine Folgen - es wurde ja niemand geschädigt. Aber das Motiv für die Brandstiftung blieb im Dunkeln. "Da ist nie drüber gesprochen worden", sagt die Schwester.

"Und die Eltern", fragte der Vorsitzende Richter Jochen Bösl, "wie sehen die das denn jetzt?"

"Mei", sagte die Zeugin, "es ist halt a schwierige Situation. Es ist ja auch schlimm."

Die Eltern sagten gar nichts. Der Angeklagte ist ihr Sohn, sie konnten das Zeugnis verweigern. "Keine Angaben", sagte die Mutter. Der Vater schüttelte stumm den Kopf.

Staatsanwältin Sandra von Dahl hatte eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren gefordert - nur der Angeklagte, argumentierte sie, komme als Täter infrage, auch wenn die Beweisaufnahme nicht ergeben hat, wann und auf welchem Weg Friedrich P. seinen Eltern das Gift verabreicht habe. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert - es sei nicht auszuschließen, dass das Gift, wie auch immer, schon vor der Lieferung aus China in den Körper der Eltern gelangt sei.

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