Auch wer nur einige Monate oder vielleicht auch nur ein paar Wochen im Jahr am schönen Tegernsee verbringt, der freut sich, dass er dort über so sorgsam asphaltierte Straßen fahren kann und dass das Trinkwasser so zuverlässig aus der Leitung sprudelt, wie das in Bad Wiessee der Fall ist. Die Kindergärten und die Schulen nehmen die vielen Teilzeit-Einheimischen zwar eher nicht in Anspruch, aber grundsätzlich sollten sich die Besitzer von Zweitwohnungen schon an den Kosten der örtlichen Infrastruktur beteiligen.
Das findet jedenfalls der Bad Wiesseer Bürgermeister Peter Höß, der in seiner 4800-Einwohner-Gemeinde 535 Zweitwohnungen zählt. Doch die Zweitwohnungssteuer, die der Gemeinde rund 450 000 Euro im Jahr einbringt, hat das Verwaltungsgericht München gerade für rechtswidrig erklärt - und mit ihr die nahezu identischen Regelungen der Gemeinde Schliersee und indirekt auch von etwa 140 anderen Kommunen in Bayern, meist in der Tourismus-Region entlang der Alpen.
In deren Rathäusern warteten die Bürgermeister und Kämmerer seit einigen Wochen auf die Urteilsbegründung, die das Gericht am Mittwoch veröffentlicht hat. Demnach beziehen sich die Verwaltungsrichter auf eine Entscheidung vom Januar 2014, mit der das Bundesverfassungsgericht die Zweitwohnungssteuer der Stadt Konstanz zu Fall gebracht hat, weil die Steuer dort bei größeren Wohnungen pro Quadratmeter geringer ausfiel als bei kleineren (Az.: 1 BvR 1656/09).
Berechnung nach einer fiktiven Miete
Analog sehen die Verwaltungsrichter auch in Bad Wiessee und in Schliersee den Grundsatz verletzt, dass jeder nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit besteuert werden muss. Denn diese beiden konkret beklagten Kommunen - und mit ihnen alle anderen, die sich auf eine entsprechende Mustersatzung des Bayerischen Gemeindetags stützen - bemessen die Höhe der Steuer in mehreren Stufen und auf Grundlage einer fiktiven Miete, die der Eigentümer für seine selbst als Zweitwohnung genutzt Immobilie bekommen könnte.
Wären pro Jahr zwischen 2500 und 5000 Euro Kaltmiete zu erwarten, verlangen Schliersee und Bad Wiessee 450 Euro Zweitwohnungssteuer, bei möglichen Einnahmen zwischen 5000 und 10 000 Euro wären dann gleich 900 Euro Steuer fällig. Geklagt hatten zwei Eigentümer von Zweitwohnungen, deren hypothetische Jahresmiete knapp über der Grenze zur nächsten Stufe gelegen hatte.
Aus Sicht von Bürgermeister Höß ist eine solche Stufenregelung die einzig praktikable für eine Gemeindeverwaltung, denn ohne Stufenlösung müsste jeder Einzelfall umständlich überprüft werden. Seine Mitarbeiter in der Steuerstelle müssten auch so schon genügend Diskussionen über ihre Bescheide zur Zweitwohnungssteuer führen. Die übergroße Mehrheit der Zweitwohnungsbesitzer zahle allerdings stets bereitwillig und umstandlos.
Politisch und juristisch währt die Debatte seit mehr als zehn Jahren: Nachdem der Landtag 2004 die Voraussetzungen für eine Zweitwohnungssteuer geschaffen hatte, entwickelte ein Arbeitskreis beim Bayerischen Gemeindetag die Mustersatzung, die bald von den ersten Gemeinden angewandt wurde und seither unter anderem in einem Normenkontrollverfahren alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht überstanden hat.
Umso überraschter zeigt sich nun die stellvertretende Geschäftsführerin des Gemeindetags, Juliane Thimet, von der aktuellen Entscheidung. Sollte sich diese Interpretation durchsetzen, sei die Grundidee der Mustersatzung bedroht. Thimet empfiehlt den Gemeinden, das Berufungsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof abzuwarten, das Bürgermeister Höß anstrengen will.
Die Münchner Richter haben eine Berufung ausdrücklich zugelassen, was bei solchen Verfahren nicht selbstverständlich ist und aus Sicht des Gemeindetags darauf hindeutet, dass die Richter selbst Klärungsbedarf sehen. Im äußersten Fall müsse auch diese neue Interpretation des Karlsruher Urteils wieder bis vors Verfassungsgericht getragen werden.
Besitzer können Widerspruch gegen ihre Bescheide einlegen
Die Satzung und damit die Forderungen blieben einstweilen ohnehin gültig, sagt Höß. Allerdings haben die Besitzer von Zweitwohnung nun die Möglichkeit, Widerspruch gegen die Bescheide einzulegen, um das Geld nach einem entsprechenden Urteil später zurückfordern zu können. Die Gemeinden verlören dann "ein Zubrot, das sie gut brauchen können", wie Thimet es formuliert.
Doch Bad Wiessee hat durch die Einführung der Steuer im Jahr 2006 nach Angaben des Bürgermeisters nicht nur ein Zubrot gewonnen, sondern auch 300 neue Einwohner, die angesichts der Zweitwohnungssteuer ihren Erstwohnsitz in der Gemeinde angemeldet haben. Für sie erhält Bad Wiessee nun jedes Jahr den kommunalen Anteil an der Einkommensteuer. Und der fällt bei Leuten, die sich eine Zweitwohnung am Tegernsee leisten konnten, durchaus ins Gewicht.