Urlaub:Von Massenvernichtung zum Massentourismus

Center Parcs baut bei Leutkirch im Allgäu einen Freizeitpark mit Spaßbad für 300 000 Touristen im Jahr.

Das Zentrum des Ferienparks liegt an einem künstlichen See, wie diese Simulation zeigt. Im Gebäude mit dem großen Tonnendach wird das subtropische Badeparadies untergebracht.

(Foto: Center Parcs)

Im schwäbischen Urlau lagerten die Nazis einst Senfgas und Sarin. Nun entsteht auf dem Areal ein Freizeitpark für jährlich 300 000 Touristen. Das Projekt überzeugt selbst Naturschützer.

Von Christian Rost

Ein geheimnisvoller Ort ist dieses Urlau bei Leutkirch in Schwaben. Es handelt sich um einen bewaldeten Hügel, genau auf der Grenze von Baden-Württemberg und Bayern, auf dem derzeit ein gigantischer Freizeitpark entsteht. Auf der Landkarte ist Urlau nicht zu finden - jahrzehntelang war es militärisches Sperrgebiet. Also muss der Reisende auf seine eigenen Navigationsfähigkeiten vertrauen und biegt an der Einfahrt zu den Unteröschhöfen einfach mal links ab.

Ein Traktor mit Gülleanhänger fährt gerade über eine Wiese und öffnet seine Schleuse. Der Gestank breitet sich binnen Sekunden auch im Auto aus. Willkommen im ländlichen Allgäu! Immerhin, die Schotterstraße erweist sich tatsächlich als der richtige Weg. Am Waldrand tauchen unvermittelt ein mit Stacheldraht bewehrter Zaun und ein Wachhäuschen mit einem Sicherheitsmann davor auf, der die Nummernschilder der ein- und ausfahrenden Autos und Lastwagen penibel notiert.

Urlau war seit den Dreißigerjahren Hochsicherheitsbereich. Die Nationalsozialisten ließen mehr als 80 Bauern enteignen, um auf ihrem Grund ein riesiges Munitionsdepot zu errichten, in dem auch chemische Kampfstoffe wie Sarin und Senfgas lagerten. Es war Hitlers Giftgashügel, sozusagen, allein die Länge des Straßennetzes von 22 Kilometern verdeutlicht die Dimension der Anlage. 200 Gebäude, Bunker und Baracken hatten die Nazis in den Wald gepflanzt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Giftgasgranaten abtransportiert und in der Nordsee versenkt.

Die ehemalige Heeresmunitionsanstalt Urlau nutzten in der Folge die Bundeswehr und die US-Army, die dort während des ersten Golfkrieges mit Raketentransporten für Aufsehen sorgten. Gerüchten zufolge lagerten in Urlau auch atomar bestückte Waffen, offiziell wurde das aber nie bestätigt. 2007 gaben die Soldaten den Standort auf. Vor eineinhalb Jahren brach dann eine neue Ära für den Ortsteil von Leutkirch an - weg von den Massenvernichtungswaffen, hin zum Massentourismus. Das Unternehmen Center Parcs kaufte das Gelände und verwandelt den einst mit Bunkern gespickten Hügel nun in eine große Freizeitlandschaft.

Dim Hemeltjen sitzt in seinem Büro in einem Baucontainer und strahlt ob der Aufgabe, die er zu erfüllen hat, eine fast schon besorgniserregende Ruhe aus. Der 39-jährige Niederländer ist Projektleiter beim Bau des "Center Parc Allgäu" und muss dafür garantieren, dass bis zur Eröffnung im Oktober 1000 Ferienhäuser, ein riesiges tropisch bepflanztes Spaßbad, eine Wasserrutsche, ein Spa mit Restaurants, Supermarkt und Geschäften im Urlauer Wald entstehen. 350 Millionen Euro haben Investoren des einst niederländischen und nun französischen Tourismuskonzerns zur Verfügung gestellt, damit von diesem Herbst an jährlich 300 000 Menschen in dem neuen Park Urlaub machen.

Die Anzahl der Gäste entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Augsburg. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer pro Kopf, so hat es Center Parcs errechnet: dreieinhalb Tage. Damit kommt man auf rund eine Million Übernachtungen im Jahr auf dem Hügel, 700 Meter über Normalnull. Ein gewaltiger Ansturm von Gästen wird das im bayerisch/baden-württembergischen Grenzgebiet. Das Überraschende ist, dass die Einheimischen nichts dagegen haben.

Die Nationalsozialisten errichteten bei Leutkirch ein Munitionsdepot für chemische Kampfstoffe wie Sarin und Senfgas.

Täglich sind 800 Bauarbeiter auf dem Gelände im Einsatz, das einst mit Bunkern übersäht war.

(Foto: Center Parcs, oh)

Leutkirchs Oberbürgermeister hat den Park quasi im Alleingang ins Allgäu geholt. Hans-Jörg Henle, seit 2008 im Amt, stand vor dem Problem, dass Urlau mit all den militärischen Anlagen zivil nicht nutzbar war. Munition und Granaten lagen noch im Erdreich verborgen, die teils eingestürzten Bunker standen einer anderweitigen Bebauung buchstäblich im Weg. Zunächst gab es Pläne zum Bau eines Großsägewerkes im Wald, diese erwiesen sich aber "als wirtschaftlich nicht tragfähig", wie sich Henle erinnert. Urlau drohte zur ewigen Altlast zu werden. Als der OB dann aber von einem aus Umweltschutzgründen gescheiterten Center-Parcs-Projekt in Mittelfranken hörte, kam ihm die Idee. Wenn er die Investoren ins Allgäu locken könnte, wären eine ganze Reihe von Problemen auf einen Streich gelöst.

Henle schickte sofort eine Flut von Faxen und E-Mails an alle Adressen von Center Parcs, die er finden konnte. Immer wieder lud er die Verantwortlichen zu einem Besuch ein. Projektentwickler Hemeltjen ist noch heute beeindruckt von der Hartnäckigkeit des Oberbürgermeisters. "Wir dachten, der kommt jetzt gleich vorbei und legt sich bei uns so lange vor die Tür, bis wir uns sein Gelände ansehen."

Es gibt schon Buchungen für mehr als 100 000 Gäste

Schließlich sei einer seiner Kollegen nach Urlau gefahren - und wider Erwarten begeistert zurückgekommen, so Hemeltjen. Trotz der militärischen Hinterlassenschaften sei der Standort ideal. Bislang hat Center Parcs keinen Standort in Süddeutschland. Mit der neuen Anlage kann nun ein Einzugsgebiet bis Norditalien abgedeckt werden. Die ersten Buchungszahlen zeigen, dass die Rechnung offenbar aufgeht. Mehr als 100 000 Touristen haben schon ihren Urlaub im "Center Parc Allgäu" gebucht.

Für Hemeltjen ist es der fünfte Park, den er baut. Drei in Frankreich und einen in Saarland hat er bereits hinter sich. Mit diesen Erfahrungen im Rücken wirkt er sehr gelassen, wenn er über die Baustelle spricht, die mit anderen nicht vergleichbar ist. Rund 800 Arbeiter sind täglich in dem 180 Hektar großen Waldstück zugange, unzählige Lastwagen und Kräne im Einsatz. Drei bis sechs Ferienhäuser werden jeden Tag fertiggestellt. "Auf der Liste der größten Baustellen in Deutschland sind wir auf Platz 18", berichtet Hemeltjen bei einem Rundgang über das Gelände. Während er spricht, entsteht gerade hinter ihm ein neues Ferienhaus.

Urlauber in Schwaben will Center Parcs mit Freizeitpark und Spaßbad bei Leutkirch im Allgäu anziehen.

Die Aufnahme einer Drohne zeigt die Baustelle aus der Luft. Im Oktober soll der Park eröffnen.

(Foto: Center Parcs, oh)

Ein Lastwagen bringt die vorgefertigten Außenwände aus Holzrahmen, die mit einem Kran auf eine betonierte Bodenplatte gehoben werden. Ein weiterer Lkw liefert die sogenannte Kabine, ein komplettes, durchaus schickes Bad mit Fliesen in Holzoptik, die ebenfalls von einem Kran ins Haus gehoben wird. Dann kommt noch ein Kamin, und schließlich rücken die Zimmerer an, um das Gebäude mit dem Dach zu verschließen.

Die Innenausstatter montieren anschließend noch etliche Extras: eine Sauna, eine Küche mit allem Schnickschnack samt Geschirrspüler und natürlich einen Flachbildfernseher. Aus der Sicht eines Laien geschieht das alles in atemberaubender Geschwindigkeit, und doch kommen Zweifel auf, ob aus dem komplett umgepflügten Areal tatsächlich bis Herbst ein funktionierender Freizeitpark wird. Hemeltjen sagt: "Das klappt." Notfalls werde die Zahl der Bauarbeiter auf 1000 aufgestockt.

Die Einheimischen sehen die Aktivitäten mit Wohlwollen. 95,1 Prozent stimmten in einem Bürgerentscheid für das Projekt. Um auch von den jüngeren Leutkirchern ein Meinungsbild zu bekommen, wurde überdies in den Schulen eine zusätzliche Abstimmung organisiert. Auch die 3000 Kinder und Jugendlichen sprachen sich mit 95 Prozent ganz klar für den Park aus. Als Einheimische erhalten sie schließlich Rabatt beim Besuch der neuen Badelandschaft.

Natürlich gibt es auch skeptische Stimmen. Steigen die Immobilienpreise in der Region, wenn im Freizeitpark bis zu 1000 neue Arbeitsplätze entstehen? Die Vorteile würden klar überwiegen, sagt der OB. Tatsächlich ist der Wald jetzt frei von militärischen Altlasten. Ortungsteams haben das Gelände durchkämmt und dabei sechs Tonnen Munition gefunden. Wirtschaftlich verspricht sich die Stadt durch den Tourismus eine Belebung für Geschäfte und Gastronomie in der Umgebung. Henle spricht von einem "Glücksfall", sowohl für Leutkirch wie auch für die bayerische Nachbargemeinde, den Markt Altusried.

Die Baustelle bei Leutkirch im Allgäu leitet Dim Hemeltjen von Center Parcs.

Dim Hemeltjen leitet die Baustelle in Urlau.

(Foto: Christian Rost)

Nicht so euphorisch waren die großen Naturschutzverbände BUND und Nabu, als sie von den Plänen in Urlau hörten. Wie ist es mit dem Natur- und Artenschutz bestellt, wenn Bagger das Waldgebiet umpflügen? Center Parcs reagierte auf die Vorbehalte mit einer Art großen Umarmung. Man bot den Naturschützern an, sie sollten Experten auf das Gelände schicken, zudem wurde auch von den Projektentwicklern ein Team losgeschickt.

Das Ergebnis verblüffte die Naturschutzverbände: Ihre Leute hatten weniger bedrohte Arten gefunden als die des Bauherrn. "Das schuf Vertrauen", erinnert sich der OB. Nun kümmern sich gleich mehrere Beauftragte laufend um den Artenschutz: Es gibt einen Spezialisten nur für Insekten, einen für Vögel und einen für Fledermäuse. Für sie wurde eigens ein ehemaliger Bunker umgebaut. Er heißt jetzt "Fledermaushotel".

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