Ein geheimnisvoller Ort ist dieses Urlau bei Leutkirch in Schwaben. Es handelt sich um einen bewaldeten Hügel, genau auf der Grenze von Baden-Württemberg und Bayern, auf dem derzeit ein gigantischer Freizeitpark entsteht. Auf der Landkarte ist Urlau nicht zu finden - jahrzehntelang war es militärisches Sperrgebiet. Also muss der Reisende auf seine eigenen Navigationsfähigkeiten vertrauen und biegt an der Einfahrt zu den Unteröschhöfen einfach mal links ab.
Ein Traktor mit Gülleanhänger fährt gerade über eine Wiese und öffnet seine Schleuse. Der Gestank breitet sich binnen Sekunden auch im Auto aus. Willkommen im ländlichen Allgäu! Immerhin, die Schotterstraße erweist sich tatsächlich als der richtige Weg. Am Waldrand tauchen unvermittelt ein mit Stacheldraht bewehrter Zaun und ein Wachhäuschen mit einem Sicherheitsmann davor auf, der die Nummernschilder der ein- und ausfahrenden Autos und Lastwagen penibel notiert.
Urlau war seit den Dreißigerjahren Hochsicherheitsbereich. Die Nationalsozialisten ließen mehr als 80 Bauern enteignen, um auf ihrem Grund ein riesiges Munitionsdepot zu errichten, in dem auch chemische Kampfstoffe wie Sarin und Senfgas lagerten. Es war Hitlers Giftgashügel, sozusagen, allein die Länge des Straßennetzes von 22 Kilometern verdeutlicht die Dimension der Anlage. 200 Gebäude, Bunker und Baracken hatten die Nazis in den Wald gepflanzt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Giftgasgranaten abtransportiert und in der Nordsee versenkt.
Die ehemalige Heeresmunitionsanstalt Urlau nutzten in der Folge die Bundeswehr und die US-Army, die dort während des ersten Golfkrieges mit Raketentransporten für Aufsehen sorgten. Gerüchten zufolge lagerten in Urlau auch atomar bestückte Waffen, offiziell wurde das aber nie bestätigt. 2007 gaben die Soldaten den Standort auf. Vor eineinhalb Jahren brach dann eine neue Ära für den Ortsteil von Leutkirch an - weg von den Massenvernichtungswaffen, hin zum Massentourismus. Das Unternehmen Center Parcs kaufte das Gelände und verwandelt den einst mit Bunkern gespickten Hügel nun in eine große Freizeitlandschaft.
Dim Hemeltjen sitzt in seinem Büro in einem Baucontainer und strahlt ob der Aufgabe, die er zu erfüllen hat, eine fast schon besorgniserregende Ruhe aus. Der 39-jährige Niederländer ist Projektleiter beim Bau des "Center Parc Allgäu" und muss dafür garantieren, dass bis zur Eröffnung im Oktober 1000 Ferienhäuser, ein riesiges tropisch bepflanztes Spaßbad, eine Wasserrutsche, ein Spa mit Restaurants, Supermarkt und Geschäften im Urlauer Wald entstehen. 350 Millionen Euro haben Investoren des einst niederländischen und nun französischen Tourismuskonzerns zur Verfügung gestellt, damit von diesem Herbst an jährlich 300 000 Menschen in dem neuen Park Urlaub machen.
Die Anzahl der Gäste entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Augsburg. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer pro Kopf, so hat es Center Parcs errechnet: dreieinhalb Tage. Damit kommt man auf rund eine Million Übernachtungen im Jahr auf dem Hügel, 700 Meter über Normalnull. Ein gewaltiger Ansturm von Gästen wird das im bayerisch/baden-württembergischen Grenzgebiet. Das Überraschende ist, dass die Einheimischen nichts dagegen haben.
Täglich sind 800 Bauarbeiter auf dem Gelände im Einsatz, das einst mit Bunkern übersäht war.
(Foto: Center Parcs, oh)Leutkirchs Oberbürgermeister hat den Park quasi im Alleingang ins Allgäu geholt. Hans-Jörg Henle, seit 2008 im Amt, stand vor dem Problem, dass Urlau mit all den militärischen Anlagen zivil nicht nutzbar war. Munition und Granaten lagen noch im Erdreich verborgen, die teils eingestürzten Bunker standen einer anderweitigen Bebauung buchstäblich im Weg. Zunächst gab es Pläne zum Bau eines Großsägewerkes im Wald, diese erwiesen sich aber "als wirtschaftlich nicht tragfähig", wie sich Henle erinnert. Urlau drohte zur ewigen Altlast zu werden. Als der OB dann aber von einem aus Umweltschutzgründen gescheiterten Center-Parcs-Projekt in Mittelfranken hörte, kam ihm die Idee. Wenn er die Investoren ins Allgäu locken könnte, wären eine ganze Reihe von Problemen auf einen Streich gelöst.
Henle schickte sofort eine Flut von Faxen und E-Mails an alle Adressen von Center Parcs, die er finden konnte. Immer wieder lud er die Verantwortlichen zu einem Besuch ein. Projektentwickler Hemeltjen ist noch heute beeindruckt von der Hartnäckigkeit des Oberbürgermeisters. "Wir dachten, der kommt jetzt gleich vorbei und legt sich bei uns so lange vor die Tür, bis wir uns sein Gelände ansehen."