Urlaub mit Behinderung:Die Tourimusbranche entdeckt Menschen mit Handicap für sich

Urlaub mit Behinderung: Eine Reisegruppe unterwegs auf einem barrierefreien Naturerlebnisweg im Allgäu.

Eine Reisegruppe unterwegs auf einem barrierefreien Naturerlebnisweg im Allgäu.

(Foto: Imago/epd)
  • Beim Bayerischen Tourismustag geht es um eine wenig beachtete Zielgruppe: um Menschen mit Behinderung.
  • Zwar muss Barrierefreiheit erstmal geschaffen werden, aber das wirtschaftliche Potenzial ist enorm.
  • Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums beziffert es auf bis zu 4,8 Milliarden Euro Nettoumsatz.

Von Maximilian Gerl

Es geht um die ganz großen Themen an diesem Tag. Um gesellschaftliche Teilhabe, um Inklusion, um Chancen. Vor allem aber geht es um Geld. Um sehr viel Geld. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) spricht von einem "klaren Arbeitsauftrag", einer gewaltigen Nachfrage, einem möglichen "Qualitätsmerkmal"; und davon, was dem möglichen Qualitätsmerkmal bislang im Wege steht. Vielleicht, mutmaßt sie, fänden viele den Begriff Barrierefreiheit einfach "nicht so sexy".

Die Barrierefreiheit endlich sexy machen, Bedenken bei Gastronomen und Hoteliers ausräumen - das ist der Hintergedanke des diesjährigen Bayerischen Tourismustags. Veranstalter ist die Bayern Tourismus Marketing GmbH, eine Tochter des Freistaats und so etwas wie die oberste Werbeagentur des Landes. An diesem Montag wirbt sie nicht nach außen, sondern nach innen. Geschätzt etwa zehn Millionen Menschen mit Behinderung leben in Deutschland; touristisch eine bislang mäßig erschlossene Zielgruppe.

Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums beziffert das Potenzial auf bis zu 4,8 Milliarden Euro Nettoumsatz. 90 000 Vollzeitarbeitsplätze könnten bundesweit geschaffen werden, "die Ausgaben von Begleitpersonen sowie Tages- und Geschäftsreisen, Konferenz- und Eventreisen sowie Reisen ausländischer Gäste noch nicht eingerechnet". Kurz: Die Branche lässt sich Jahr für Jahr ein hübsches Sümmchen entgehen.

Zwar ist in den vergangenen Jahren etwas Bewegung in die Sache gekommen, zum Beispiel durch staatlich geförderte Projekte. Auch Behindertenbeauftragte und Verbandsvertreter berichten, das Thema habe in den vergangenen Jahren eine Aufwertung erfahren. Doch in der Summe sind die bisherigen Bemühen noch zu wenig.

Dabei ist das Thema angesichts der demografischen Entwicklung wichtig, für den Hotelier genauso wie für die Reisenden selbst. Schon heute ist ein großer Teil aller Hotelgäste älter als 55 Jahre, Tendenz steigend. Vertreter dieser Altersgruppe gelten einerseits als besonders konsumfreudig, andererseits benötigen sie oft mehr Aufmerksamkeit, mehr Service. Etwa, weil sie mobil eingeschränkt sind; oder, ganz einfach, weil sie ihre Lesebrille daheim vergessen haben und daher nicht die viel zu kleinen Buchstaben auf der Speisekarte entziffern können.

Von Veränderungen profitieren viele Menschen

Tatsächlich lässt sich manchmal schon mit kleinen Veränderungen eine große Wirkung erzielen. Verbesserungen - darauf weisen alle Redner am Montag unisono hin -, die nicht nur Menschen mit Handicap zugutekommen, sondern allen. Tourismusberater Kai Pagenkopf warnt davor, Barrierefreiheit als Kostenfaktor zu begreifen. Er höre immer wieder, so eine Rampe koste ja Geld. "Aber eine Rampe ist nicht nur für Rolli-Fahrer gut": Man könne Koffer, Fahrräder oder Kinderwägen bequemer hochschieben, außerdem minimiere sie gerade bei Nässe die Stolpergefahr.

Peter Schöttl, Präsident des Verbands Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte, verweist auf den Ausbau der Nebelhornbahn in Oberstdorf. Früher habe von der Bergstation ein schmaler Weg mit vielen Treppen auf den Gipfel geführt. Die Stufen waren für viele Gäste ein Problem, etwa für Familien mit kleinen Kindern. Inzwischen sei der Aufstieg verbreitert und befestigt worden, die Treppen habe man rückgebaut. Der neue Weg sei deutlich komfortabler und werde "extrem gut angenommen". Kein Wanderweg in der Region ziehe mehr Besucher an.

Bislang sind es vor allem solche Einzelbeispiele, die zeigen, wie alle Gäste vom Gedanken der Barrierefreiheit gleichermaßen profitieren können - und damit die Betriebe in der Region. Allerdings ist es für den einzelnen Betrieb oft schwer, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Barrierefreiheit bedeutet nicht automatisch mehr Umsatz

Wer viel Geld in ein barrierefreies Hotel investiert, mag danach modern aufgestellt sein; aber das bedeutet nicht automatisch mehr Umsatz. "Die Leute kommen ja nicht, weil das Hotel so toll ist, sondern weil sie etwas erleben wollen", sagt Pagenkopf. Heißt: Ein barrierefreies Hotel bringt nichts, wenn es zu wenige barrierefreie Angebote in der Region gibt. "Vernetzen", sagt Pagenkopf, "ist wichtig."

Das Problem: Vernetzen ist nicht so leicht, wie es klingt. Beispiel "Alpenregion Tegernsee Schliersee". Seit 2015 beschäftigt sich der Tourismus-Verband im Rahmen eines Förderprojekts mit der Barrierefreiheit. So gibt es unter anderem eine eigene Broschüre zum Thema und eine Website mit Sprachausgabe.

55 Tourismusbetriebe hat der Verband inzwischen mit einem neuen Siegel als barrierefrei zertifiziert. All das ist vorbildlich, aber auch teuer. Vorstand Harald Gmeiner hofft, dass die Bemühungen bald messbaren Erfolg zeigen - auch um andere zu animieren, mehr in die Barrierefreiheit zu investieren. "Wenn man mit 55 zertifizierten Betrieben deutschlandweit als Nummer Eins dasteht", sagt er, "gibt das schon zu denken."

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