Missbrauch in der Kirche:Wo man die Hölle hinter sich lässt

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Der neue, von Andreas Kuhnlein gestaltete Andachtsraum in Unterwössen. (Foto: Matthias Köpf)

Das kleine Unterwössen im Chiemgau war Schauplatz von schweren Missbrauchstaten eines Kirchenmannes. Gegen etliche Widerstände ist in der Pfarrkirche ein Andachtsraum entstanden. Über einen Ort, von dem Papst Benedikt nichts mehr wissen will.

Von Matthias Köpf, Unterwössen

Das weltliche Urteil über den hochwürdigen Herrn lautete ein Jahr und vier Monate Haft, wegen "mehrfacher schwerer Unzucht mit Männern", wie es in den Sechzigerjahren hieß. Die acht auf diese Weise dokumentierten Opfer des Pfarrers waren damals 15 und 16 Jahre alt, und sie sind, wie immer in solchen Missbrauchsfällen, zeitlebens seine Opfer geblieben. Im kleinen Unterwössen im Landkreis Traunstein aber wollten nicht nur damals viele lieber in ihnen die Schuldigen sehen, verantwortlich dafür, dass der beliebte Pfarrer, Mitglied bei den Schützen, den Segelfliegern und im Skiclub, den Ort verlassen musste. Aufgekommen war alles ohnehin nur, weil sich einer der Jungen einem Freund anvertraut hatte und der den Pfarrer erpressen wollte.

Seit diesem Herbst gibt es in Unterwössen einen Ort, an dem diese und andere Missbrauchsgeschichten reflektiert werden können von Menschen, die sich trotz allem noch zu dieser Kirche zählen oder die zumindest noch ein solches Gebäude betreten. Der bekannte Holzbildhauer Andreas Kuhnlein hat in St. Martin, der Pfarrkirche seines Heimatortes, einen Andachtsraum dafür gestaltet. Der unabhängige Betroffenenbeirat im Erzbistum München und Freising lädt für kommenden Mittwochabend zu einem Gottesdienst dorthin ein.

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Die Unterwössener Missbrauchsgeschichte ist nach Kuhnleins Worten viel umfangreicher als das, was sich in alten Akten und so seit Januar auch als "Fall 22" im Missbrauchsgutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl für die Erzdiözese findet. In dem Prozess in den Sechzigern hätten bei Weitem nicht alle Opfer eine Rolle gespielt. Gerade die jüngeren nicht, sagt Kuhnlein und bekräftigt, "dass diese Leute durch die Hölle gegangen sind". Eine lebenslange Hölle, von der der 69-Jährige genaue Vorstellungen hat, denn drei Opfer, inzwischen sind sie alle tot, waren seit der gemeinsamen Jugend enge Freunde von ihm.

Und ein Teil der Hölle, das waren auch in Unterwössen die anderen. So habe die Familie eines der Opfer zeitweise "in Wössen nix mehr zum Einkaufen gekriegt", sagt Kuhnlein. Noch immer halte sich bei manchen im Ort die Meinung, die Buben seien damals die eigentlichen Schuldigen gewesen und seien für all das ja schließlich auch bezahlt worden.

Dass manche von all dem nichts mehr oder nicht schon wieder was wissen wollen, das mag ein Grund für die Widerstände gewesen sein, gegen die Kuhnlein nach seiner Schilderung sieben Jahre lang ankämpfen musste mit seinem Vorhaben, einen Andachtsraum zum Thema Missbrauch zu gestalten. Ursprünglich hatte man zur Renovierung von St. Martin eher einen allgemeinen Andachtsraum im Sinn. Doch dann, sagt Kuhnlein, sei vieles zusammengekommen, was ihm einen Ort für das Thema Missbrauch unbedingt notwendig erscheinen ließ. Die Missbrauchsstelle des Bistums und später der neue Betroffenenbeirat waren der gleichen Meinung, und auch das Ordinariat in München stellte sich hinter seine Ideen.

Entstanden ist ein kleiner, nur wenige Quadratmeter umfassender Raum im Fuß des alten Kirchturms. Statt Verputz tritt dort nun das Mauerwerk zu Tage. Drei Werke Kuhnleins, die Verurteilung Jesu, die Kreuzigung Jesu und die Auferstehung verdecken nur wenig davon. An den Seiten fällt das Licht aus zwei Fenstern durch blau gefärbte Flächen mit Text. Vor allem die zentrale "Auferstehung" ist eine jener zerklüfteten, oft mit der Motorsäge und anderem, vermeintlich grobem Gerät aus dem Holz geholten Skulpturen, für die Kuhnlein international bekannt ist. In einer Broschüre zu dem Andachtsraum heißt es über die Missbrauchsbetroffenen: "Vielleicht, vielleicht geschähe dann Auferstehung auch in ihrem Leben" - wenn sich ihre Mitmenschen auf ihre Seite stellen.

Benedikt will von Unterwössen wenig wissen

Die Kirchenoberen haben das lange nicht getan. Der ehemalige Papst Benedikt XVI. zum Beispiel, der im nahen Traunstein zur Schule gegangen ist, will vom Fall jenes längst verstorbenen pädophilen Priesters so wenig wissen wie von Unterwössen insgesamt. So geht es aus seiner Stellungnahme zu dem Fall für die Missbrauchsgutachter hervor. Dabei war Benedikt, damals noch als der Regensburger Theologe Joseph Ratzinger, ein enger Freund jenes Pfarrers, der als Nachfolger des verurteilten Missbrauchstäters nach Unterwössen geschickt wurde.

Es gibt Belege für zahlreiche Ferienaufenthalte Ratzingers im Ort. Zur großen Irritation vieler Einheimischer schreibt Benedikt aber in seiner Stellungnahme für das Missbrauchsgutachten, er habe seinen Urlaub "nur einmal im Raum der Erzdiözese München und Freising verbracht", und zwar ganz woanders, wo er keinerlei Kontakt mit so einem Fall gehabt habe. Die Benedikt-Büste, die erst vor einigen Jahren in Unterwössen aufgestellt wurde, ist nie geweiht worden.

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