Untersuchungsausschuss zu Neonazi-Mordserie:Becksteins Version

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Kein anderer Innenminister war so intensiv mit der Mordserie der Neonazis befasst wie Günther Beckstein. In seiner Nachbarschaft wurde ein türkischer Blumenhändler erschossen. Jetzt muss der CSU-Politiker im Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen. Die Opposition wirft ihm vor, Ermittlungen im rechten Milieu verzögert zu haben.

Tanjev Schultz, John Goetz und Mike Szymanski

Für Günther Beckstein war es ein besonders schrecklicher Mord, als am 9. September 2000 der türkische Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg durch acht Schüsse getötet wurde. "In meiner Nachbarschaft!", notierte der damalige Innenminister entsetzt an den Rand eines Zeitungsartikels. Der Tatort liegt in der Nähe von Becksteins Wohnung, der CSU-Politiker kannte den Blumenstand. In Beckstein keimte ein fürchterlicher Verdacht: "Bitte mir genau berichten: Ist ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar?" So kritzelte er es auf die Zeitung.

Déjà vu: Bereits 2010 musste Beckstein vor einem U-Ausschuss aussagen - in München zum Thema BayernLB. (Foto: dpa)

Becksteins Gefühl stimmte. Wie man mittlerweile weiß, war Simsek das erste Opfer in der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) - jener rechten Terrorzelle, die sich in Zwickau versteckt hatte und deren Taten erst vor einem halben Jahr bekannt wurden, nachdem sich die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt selbst getötetet hatten. Fünf der zehn Morde, die dem NSU angelastet werden, verübten sie in Bayern, drei davon in Nürnberg. Dort war auch der Hauptsitz einer Sonderkommission, die jahrelang falschen Spuren folgte und die Täter im Drogenmilieu und einer kriminellen Bande vermutete.

Kein anderer Innenminister war so intensiv mit der Mordserie befasst wie Beckstein. An diesem Donnerstag muss er sich den Fragen im Untersuchungsausschuss des Bundestags stellen. Beckstein hat offenbar nicht vor, im Büßergewand aufzutreten. Bis heute habe er "keine Hinweise auf substantielle Fehler", sagte Beckstein der Süddeutschen Zeitung. Die Ermittler und er seien keineswegs auf dem rechten Auge blind gewesen. 2006 - nun waren es bereits neun Morde an Kleingewerbetreibenden mit türkischen oder griechischen Wurzeln - notierte Beckstein wieder an einen Zeitungsrand: "Könnte bei den Türken-Morden Fremdenfeindlichkeit das Motiv sein?"

Es sei in alle Richtungen ermittelt worden, sagt Beckstein. Bei keinem anderen Fall habe man einen derart großen Aufwand betrieben. Tatsächlich hatte Beckstein sogar die türkische Regierung kontaktiert, um Hilfe zu mobilisieren. Der CSU-Minister habe eine "tragische Rolle" gespielt, sagt die SPD-Abgeordnete Eva Högl. Er habe die Ermittlungen "durchaus engagiert" verfolgt. Doch bei den Recherchen in Richtung Rechtsextremismus sei zu wenig geschehen und der Verfassungsschutz nicht richtig eingebunden worden.

Die Linken-Politikerin Petra Pau spricht sogar von einem "Totalausfall" des bayerischen Verfassungsschutzes. Monatelang hatte er die Polizei hingehalten, als diese Daten über Rechtsextreme bekommen wollte. Als Dienstherr auch des Verfassungsschutzes hätte Beckstein seinen Kommissaren zur Seite springen können - so wie er bei anderen Spuren zur Eile drängte: "Das muss beschleunigt werden!", forderte er bei einer Gelegenheit von den Ermittlern.

Die Linken glauben, dass Beckstein im Jahr 2006, als Profiler endlich die Hypothese eines fremdenfeindlichen Täters entwickelten, kein Interesse hatte, diesen Verdacht publik zu machen. "Im Zweifel hat sich Bayern fürs Feiern entschieden", sagt Petra Pau - und spielt damit auf die Fußball-WM an, die 2006 in Deutschland stattfand und deren Stimmung man nicht durch Nachrichten von rechtsradikalen Migrantenmördern habe trüben wollen.

Beckstein sagt dagegen, man habe Angst vor Nachahmern gehabt und die Türken in Deutschland nicht beunruhigen wollen. Auch die Profiler hätten davor gewarnt, die These fremdenfeindlicher Mörder offensiv in der Öffentlichkeit zu diskutieren.

Beckstein verteidigt außerdem, dass er sich 2006 gegen eine Übernahme der Ermittlungen durch das BKA sträubte. In einem Vermerk ist davon die Rede, Beckstein würde es als "Kriegserklärung" ansehen, sollte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Übernahme anordnen.

Beckstein sagt heute, es hätte zu einem "Stillstand der Ermittlungen" geführt, wenn sich das BKA neu hätte einarbeiten müssen. Mit Schäuble habe es keinen Streit gegeben. Die SPD sieht in Schäubles und Becksteins Verhalten einen schweren Fehler. Das BKA, so das Argument, hätte das Kompetenzgerangel bei den Ermittlungen, die über mehrere Bundesländer verteilt waren, beenden können.

Die Sozialdemokraten erwarten von Beckstein, dass er vor dem Ausschuss doch noch Versäumnisse einräumt. Das, sagen sie, gebiete auch der Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen.

© SZ vom 24.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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