Süddeutsche Zeitung

NSU-Morde:"Es wird keinen Schlussstrich geben"

Mehr als zehn Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle befasst sich im Bayerischen Landtag erneut ein U-Ausschuss mit dem Komplex. Was sich die Abgeordneten von der Arbeit erhoffen.

Von Johann Osel

Jetzt ging alles geballt und ganz schnell am Donnerstag: Der Untersuchungsausschuss im Landtag zu den Morden der rechtsextremistischen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) ist eingesetzt. Am Morgen hat sich noch der Verfassungsausschuss mit der Vorlage beschäftigt, am Nachmittag hat das Plenum darüber diskutiert und den Antrag mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen - und einige Stunden später war bereits die konstituierende Sitzung angesetzt.

Die Zeit drängt tatsächlich: Bis zur Landtagswahl im Herbst 2023 muss die Arbeit abgeschlossen sein. Es sind 15 Monate für die Aufklärungsarbeit in einem Komplex, dessen sich schon mehr als ein Dutzend U-Ausschüsse in deutschen Parlamenten angenommen haben. Und in dem trotzdem, gerade mit Blick auf Bayern, nach wie vor Fragen offen sind.

Es ist auch schon das zweite Mal, dass Abgeordnete im Freistaat dazu ein solches Gremium initiieren: Der Landtag hatte sich 2012 und 2013 in einem U-Ausschuss unter anderem mit möglichen Defiziten in der Sicherheitsarchitektur beschäftigt. Als der Ausschuss seinen Schlussbericht vorlegte - die Rede war von einem "Zwischenbericht" -, liefen die Strafprozesse gegen die NSU-Hauptangeklagte Beate Zschäpe und Unterstützer noch, auch kamen seitdem neue Spuren und Erwägungen auf.

Zum Beispiel wurde ein Bombenattentat auf eine Nürnberger Kneipe 1999, bei dem der türkischstämmige Wirt verletzt wurde, erst spät dem NSU zugeordnet. Auch wurden Aufenthalte des Trios in den Neunzigern im Freistaat publik; weiter herrscht Unklarheit zur Rolle von V-Leuten. Eine Leitfrage ist, wieso ausgerechnet Bayern "Haupttatort" wurde, welche Helferstrukturen es gab und ob diese fortbestehen. "Die Gefahr ist nicht gebannt", sagt Ausschussvorsitzender Toni Schuberl (Grüne).

Eine Petition forderte, keinen "Schlussstrich" unter die Aufklärung zu ziehen

Motiviert wurden die Initiatoren von Grünen und SPD, die bereits seit Jahren Vorbereitungen dafür trafen, durch eine Petition. Darin forderten vor allem Opfervertreter den zweiten U-Ausschuss, Titel: "Kein Schlussstrich". Anlass war der zehnte Jahrestag des Auffliegens des NSU; damals 2011 nicht durch Ermittlungserfolge, sondern mit dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und versendeten Bekennervideos. Der NSU ermordete zehn Menschen, fast alle türkischer und griechischer Herkunft; allein fünf Opfer aus Bayern, in München und Nürnberg.

Mit dem "Taschenlampen-Attentat", also dem Anschlag auf die Kneipe 1999, hätten die Ermittlungsfehler begonnen, sagte Cemal Bozoğlu (Grüne) in der Plenardebatte, es wurde "begonnen, das Hemd falsch zuzuknöpfen". Man wisse, dass Opfer gezielt ausgesucht wurden, "mit Sicherheit war das nicht das Werk einer isolierten Zelle, sondern einer vernetzten". Arif Taşdelen (SPD) hielt eine emotionale Rede, am Vortag der Ermordung eines Nürnberger Imbissbetreibers durch den NSU im Jahr 2005 hatte er noch mit dem späteren Opfer in der Südstadt geplaudert.

Bei den Ermittlungen ging es einst um "Dönermorde"

Er erinnerte an die einseitigen Ermittlungen, als "Dönermorde und Milieumorde". Dass die Gesellschaft, die Nürnberger Bürger, auch er selbst dies nicht hinterfragt hätten, bereite ihm bis heute ein schlechtes Gewissen. Er sei sich bewusst, dass man nicht alle Erwartungen der Opferangehörigen erfüllen, aber doch "möglichst viel Licht ins Dunkle" bringen könne. Als über die Jahre das Ansinnen für den U-Ausschuss langsam Gestalt annahm, kamen immer auch Zweifel auf, was das Gremium wirklich an Neuigkeiten zu Tage fördern könne.

Josef Schmid (CSU), stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses, sagte, die NSU-Verbrechen seien auch ein Anschlag auf die friedliche demokratische Gesellschaft. Daher gehe es um "Schlüsse für das Heute und die Zukunft", um die "Abwehrfähigkeit" des Rechtsstaats. Richard Graupner (AfD) tat kund, es drohe eine "Showveranstaltung" aller "Anti-Rechts-Kämpfer" im Wahlkampfjahr. Dennoch stimmte die AfD dem Antrag zu. Allerdings klage Grauper, dass der Verfassungsschutz von den "Altparteien" gegen seine AfD missbraucht werde. Dazu sagte Wolfgang Hauber (FW): Klar, "dass der Hase seinen Jäger nicht liebt". Hauber erwartet sich Erkenntnisse zu organisierten Neonazi-Strukturen. Auch Alexander Muthmann (FDP) sieht im Täterumfeld einen Fokus, "das Narrativ vom Trio, das auf sich allein gestellt war, ist nicht plausibel".

Gerichtlich aufgearbeitet wurde die Mordserie mehr als fünf Jahre lang am Münchner Oberlandesgericht. Das Urteil gegen Zschäpe (lebenslange Haft) und vier Mitangeklagte ist inzwischen rechtskräftig. Das neue bayerische Gremium ist jetzt Nummer 15 der U-Ausschüsse in Parlamenten. Vorsitzender Schuberl sagte, die Arbeit werde "ein weiteres, hoffentlich großes Puzzlestück" sein. "Es darf keinen Schlussstrich und es wird keinen Schlussstrich geben."

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