Unterricht über NS-Zeit:Knobloch gegen Schulplan

Zu wenig über Nazis: SPD, Grüne und der Zentralrat der Juden kritisieren den gestrafften Geschichtsunterricht in Bayern.

Birgit Kruse und Oliver Das Gupta

Im Ungestüm, die Lehrpläne an den Schulen zu ändern, handelt sich die bayerische Staatsregierung Ärger und Protest ein. Mit betroffen ist nämlich der Unterrricht über die Zeit des Nationalsozialismus.

Unterricht über NS-Zeit: Hat kein Verständnis für die Pläne des bayerischen Kultusministeriums: Charlotte Knobloch

Hat kein Verständnis für die Pläne des bayerischen Kultusministeriums: Charlotte Knobloch

(Foto: Foto: ddp)

Wie die SZ berichtete, sieht der Plan des Kultusministeriums von Ressortchef Siegfried Schneider (CSU) künftig 24 Schulstunden vor, die den Themenkomplex Nationalsozialismus behandeln. Der Stoff soll im gestrafften, achtjährigen Gymnasium (G8) den Schülern hauptsächlich in der Mittelstufe vermittelt werden.

In der Oberstufe, also in den zwei Jahren bis zum Abitur, sind nur noch sieben Schulstunden à 45 Minuten für die Weimarer Republik und ebenfalls sieben Stunden für den Nationalsozialismus vorgesehen - was bei Charlotte Knobloch auf völliges Unverständnis stößt: "Ich bin entsetzt über die Pläne der bayerischen Staatsregierung, dass der inhaltliche Schwerpunkt über diese Zeit auf die Mittelstufe der weiterführenden Gymnasien verlegt wird", sagte die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland zu sueddeutsche.de.

Die Münchnerin erlebte als Mädchen das Pogrom in der sogenannten "Reichskristallnacht" am 9. November 1938 in der Landshauptstadt und spricht als Zeitzeugin, so oft sie kann, selbst an Schulen. Ihre Gesprächspartner an Gymnasien kämen, so Charlotte Knobloch, stets aus der Oberstufe und nicht aus der Mittelstufe. "Es liegt auf der Hand, dass in der Oberstufe das Interesse und das Verständnis für geschichtliche Zusammenhänge größer ist als in der Mittelstufe."

Auch bei der Opposition im bayerischen Landtag lösen die Vorschläge aus Schneiders Haus verständnisloses Kopfschütteln aus. "Diese Kürzungen im Lehrplan sind Flickwerk", kritisiert Hans-Ulrich Pfaffmann, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, im Gespräch mit sueddeutsche.de. Bedauerlich sei, dass gerade der Geschichtsunterreicht betroffen sein soll, "weil Deutschland mit seiner problematischen Geschichte ein ganz wichtiges Feld ist".

SPD nennt Straffung "inakzeptabel"

Da es zudem immer weniger Zeitzeugen der schrecklichen Jahre unter der NS-Herrschaft gebe, sei der Geschichtsunterricht in der Schule "von noch größerer Bedeutung", so Pfaffmann. Deshalb sei es schlicht "inakzeptabel", wenn gerade am Fach Geschichte gekürzt werde.

"Auch hier zeigt sich, dass die Ganztagsschule einfach die bessere Alternative ist, weil dort auch mehr Zeit dafür bleibt, die wichtigsten Geschichtsdaten und -themen zu vermitteln", sagt der Sozialdemokrat und fordert: "Dazu brauchen wir aber die Bildungsmilliarde."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie das Kultusministerium den neuen Unterrichtsplan verteidigt.

Knobloch gegen Schulplan

Die Landtags-Grünen gehen noch einen Schritt weiter und machen sich für ein fächerübergreifendes Konzept stark, das Schüler für die Thematik sensibilisiert. "Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und damit auch dem Rechtsextremismus an unseren Schulen darf nicht auf die Zahl der Geschichtsstunden reduziert werden", sagt die Fraktionsvorsitzende Margarete Bause zu sueddeutsche.de.

Man dürfe nicht bei der Diskussion um die Stundenzahl stehenbleiben, sondern brauche eine Pädagogik, die Jugendliche auch wirklich erreicht. Dazu könnten Zeitzeugengespräche ebenso zählen wie Besuche an Gedenkstätten, aber auch die Debatte um heutige Formen des Extremismus, die man genauso in Sozialkunde- oder Ethikstunden führen könne. "Hier vermissen wir bislang innovative Ideen aus dem Kultusministerium", kritisiert Bause.

Opfergruppen nicht einbezogen

Im Kultusministerium will man die harte Kritik nicht so stehenlassen. Dort sieht man eine Verbesserung des Unterrichts, keine Verschlechterung. Die Staatsregierung habe "die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich im neuen Lehrplan gegenüber dem des neunjährigen Gymnasiums noch intensiviert", sagt der Pressesprecher von Kultusminister Schneider zu sueddeutsche.de.

Er verweist auf die künftige obligatorische Exkursion zu einem Gedenkort der NS-Opfer, der Verknüpfung mit dem Sozialkunde-Unterricht und dem besonderen Augenmerk auf die Rolle Bayerns im "Dritten Reich".

Man habe den Schwerpunkt auf die Mittelstufe vor allem wegen pädagogischer Erwägungen gesetzt, sagt Unger: "Lehrkräfte und Jugendforschung stimmen darin überein, dass Schüler der Alterstufe 14/15 neonazistischen Parolen, suggestiven Geschichtsfälschungen der Medien und vorurteilsbelasteten Äußerungen in den Elternhäusern weitaus eher Gehör schenken als junge Erwachsene." Es erscheine umso nötiger, so der Sprecher, Jugendliche dieser Altersgruppe besonders intensiv über die NS-Zeit zu informieren.

Der Lehrplan wurde, wie üblich, von führenden Fachwissenschaftlern erstellt, auch Fachverbände wurden konsultiert. Allerdings hat es die Staatsregierung nicht für notwendig gehalten, die Vertreter der Opfergruppen des Nazi-Terrors von den Änderungen zu informieren oder einzubeziehen. Dem Ministeriumssprecher zufolge, sei bei der Erstellung von Lehrplänen "eine breite Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen nicht üblich".

Für Charlotte Knobloch ist dies ein weiterer Kritikpunkt: "Wenn man sich Gedanken darüber macht, wie man den Unterricht über diese Zeit anders gestaltet, dann hätte man eine Vertretung derjenigen einbeziehen müssen, die in dieser Zeit am meisten gelitten haben", so die Zentralratspräsidentin. Man habe über ihre Köpfe hinweg entschieden. "Die bayerische Staatsregierung hätte uns Überlebende anhören sollen - was ja nicht bedeutet, dass sie sich danach hätte richten müssen."

Knobloch hatte in der Vergangenheit den Stellenwert des Unterrichts über die NS-Zeit betont und sich zeitweise für ein eigenes Unterrichtsfach "Nationalsozialismus" ausgesprochen. Im Gespräch mit sueddeutsche.de sagte Knobloch, dass die angemessene Behandlung des Themas an Schulen wichtig für das Ansehen und die Zukunft Deutschlands sei. Dafür bedürfe es nicht weniger, sondern eher mehr Unterrichtszeit. "Eine angemessene Vermittlung dieser Zeit erreiche man nicht, indem man die Unterrichtszeit reduziert."

Ausreichend Zeit bräuchten die Lehrer auch, damit die Behandlung des Stoffs bei den Schülern keine Schuldgefühle aufkommen, sagte Knobloch und fügte hinzu: "Die junge Generation trägt selbstverständlich keine Schuld für etwas, das vielleicht ihre Großeltern getan haben."

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