Unterkünfte für Flüchtlinge:Bayerischer Lagerkoller

Wohin mit den Flüchtlingen? Die Zahl der Asylbewerber in Bayern steigt. In einigen kleinen Gemeinden entstehen große Gemeinschaftsunterkünfte - und Ängste, die meist nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun haben.

Für die Bürger im oberfränkischen Ebersdorf war die Mitteilung wie ein Schock. Mindestens 120 Asylbewerber sollen demnächst in ein Gebäude mitten in ihrer Gemeinde einziehen, im dem früher Polstermöbel produziert wurden. Ebersdorf im Landkreis Coburg zählt 6100 Einwohner. Es wäre also übertrieben zu sagen, dass da eine Menge von Neubürgern in einen winzigen Ort einzufallen droht. Aber für Bürgermeister Bernd Reisenweber ist das nicht der Punkt. Im Verhältnis sei es vielmehr so, sagt er, als müsste eine Kommune wie Nürnberg auf einmal bis zu 11.000 Flüchtlinge bei sich aufnehmen.

Aktivisten: Asylbewerber-Unterkünfte sind menschenunwürdig

Ein Asylbewerber in der Küche eines Flüchtlingslagers in Coburg: Die Unterkünfte sind nach Ansicht von Menschenrechts-Aktivisten menschenunwürdig.

(Foto: dpa)

Die Ängste der Ebersdorfer sind im niederbayerischen Schöllnstein bereits Realität. Dort leben 71 alteingesessene Einwohner in unmittelbarer Nachbarschaft zu bis zu 90 Flüchtlingen. Beide Seiten bemühen sich um gute Beziehungen. Die Schöllnsteiner schenkten den Flüchtlingen Fahrräder, um etwas mobiler zu sein. Auch die Flüchtlinge versuchten sich einzubringen - etwa durch Mithilfe im örtlichen Bauhof. Doch immer mehr stellt sich heraus: Die kleine Dorfgemeinschaft ist überfordert, ihre gewohnte Lebenswelt aus den Angeln gehoben. Die Flüchtlinge wiederum leiden unter ihrer Isolation.

Schöllnstein ist dabei, zum Synonym zu werden für ein Problem, das derzeit Regierungspräsidenten, Landräte und Bürgermeister gleichermaßen umtreibt: Wohin mit den Asylbewerbern? "Das hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun, sondern damit, dass es ein gesundes Verhältnis braucht, damit zwischen Flüchtlingen und Einwohnern auch gemeinschaftliches Leben stattfinden kann", sagt Martina Berger, die Sozialreferentin im Kreis Coburg.

Tatsache ist, dass in Bayern die Zahl der Asylbewerber steigt. Waren es im Jahre 2007 nach Angaben des Sozialministeriums gerade mal 2966, so wurden dem Freistaat vom Bund im Jahr 2010 bereits 6146 Asylbewerber zugeteilt, Tendenz steigend. Doch ein Blick in die Statistiken zeigt auch: Bayern hat schon weit mehr Flüchtlinge unterbringen müssen und können - im Spitzenjahr 1992 waren es fast 60.000.

Aus diesem Blickwinkel heraus sind die derzeitigen Flüchtlingszahlen eigentlich gering. Nur: Die Unterkünfte, die einst den Ansturm auffingen, gibt es zum größten Teil nicht mehr. Derzeit sind es noch 110. Einst waren es weit mehr als 200. Sie wurden im Freistaat - nicht zuletzt auf Druck des Obersten Bayerischen Rechnungshofes - aufgegeben. "Bis vor einem halben Jahr noch hatten wir die Tendenz 'Baut ab, baut ab!', sagt Christoph Hillenbrand, der Präsident der Regierung von Oberbayern.

Die Bezirksregierungen sind es, die nun wieder ausreichend Plätze schaffen müssen. Ihnen werden die Flüchtlinge vom Sozialministerium nach einem Schlüssel zugeteilt.

Eine neue Variante von Stuttgart 21?

Für den oberbayerischen Regierungspräsident Hillenbrand stellt sich gar keine Frage, dass er viele der geschlossenen ehemaligen Gemeinschaftsunterkünfte gerne reaktivieren würde. Doch das ist gar nicht so leicht - neue Vorschriften, insbesondere im Bereich Brandschutz, müssen erfüllt werden. "Wir sind massiv auf der Suche", sagt er. Sein niederbayerischer Kollege Heinz Grunwald betont sogar: "Wir müssen jedes Angebot nehmen, das wir kriegen können. So groß ist die Not." In den vergangenen zwei Jahren hat sich der "Asylbewerberzugang", wie es heißt, in seinem Bereich nahezu verdoppelt auf 1100 Flüchtlinge. Hillenbrand wiederum muss sich der Aufgabe stellen, dass sein Bezirk allein in diesem Jahr noch bis zu 1800 neue Plätze schaffen soll.

Nicht zuletzt, das betonen beide Regierungspräsidenten, gehe es ja "um eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge".Aber auch darum, dass diese Unterkünfte finanzierbar sind. "Da versucht gerade der eine oder andere, sein altes Hotel zu vergolden", sagt Hillenbrand. Und dann gibt es da ja auch noch die Kommunen, die mit ihren Immobilien ganz anderes im Sinn haben. "Ich würde es begrüßen, wenn das Solidaritätsprinzip in ganz Bayern mehr gelten würde", sagt der Neuburg-Schrobenhauser Landburg. Und er spielt dabei nicht einmal auf den Fall Regensburg an: Der dortige Oberbürgermeister Hans Schaidinger etwa sperrt sich eisern dagegen, dass in der leer stehenden Prinz-Leopold-Kaserne Flüchtlinge untergebracht werden.

Die Stadt stimme einer Gemeinschaftsunterkunft nur zu, wenn sich Sozialministerin Christine Haderthauer beim Bundesverteidigungsministerium für den Bundeswehr-Standort Regensburg einsetze.

Und dann sind da eben die Ängste der Bevölkerung, die nur zu leicht in Wut umschlagen könnte, wenn die Politik keine Lösungen anbietet. "Das könnte neue Variante von Stuttgart 21 werden", warnt die Coburger Sozialreferentin Martina Berger. Als der Bayerische Rundfunk kürzlich aus dem oberfränkischen Ebersdorf berichtete, mischten sich auch zwei NPD-Funktionäre unters protestierende Volk. Der Bürgermeister war schockiert.

Aber es gibt Hoffnung für Ebersdorf. Ein Lösungsansatz, der für ganz Bayern als Modell dienen könnte, kommt aus dem Landratsamt Coburg: Die 17 Gemeinden und Städte des Kreises erklären sich bereit, jeweils so viele Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, wie sie verkraften können - dezentral untergebracht. Letzte Woche stellten die Oberfranken ihr Konzept im Sozialministerium vor. Was sie nun brauchen, ist eine Sondergenehmigung der Sozialministerin für ihren Modellversuch. Der verstößt nämlich gegen geltendes Recht, nach welchem in einer Gemeinschaftsunterkunft mindestens 30 Flüchtlinge untergebracht werden müssen.

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