Unter Bayern:Vom alten Brauch des Nasenbohrens

In einem Land, in dem Lüngerl und Blutwürste Delikatessen sind, liegt es nahe, dass auch die Innereien der Nase Interesse hervorrufen. Manchmal müssen sie sogar für Attacken im Klassenzimmer herhalten

Kolumne von Hans Kratzer

Ein Restaurant-Tester hat neulich in der SZ erwähnt, auf der Klotür eines Münchner Wirtshauses sei statt "Herren" das Wort "Zipfeglatscher" zu lesen. Abgesehen davon, dass "Zipfeklatscher" die elegantere Schreibweise wäre, ist das Wort in diesem Fall natürlich bildlich zu verstehen. In der Regel aber dient es als Schimpfwort, das wegen seines leicht ordinären Klangs zweifellos auf einer Stufe mit dem Nasenbohrer rangiert. "Jetzt setzen sich schon Nasenbohrer durch", höhnte einst Österreichs Skiheld Franz Klammer, als der unbedarfte US-Boy Bill Johnson anno 1984 die sagenhafte Lauberhorn-Abfahrt gewann.

Auch in der Geschichte Bayerns wimmelt es von Nasenbohrern. Summarisch brachte dies ein Pfarrer im Bayerischen Wald zum Ausdruck, nachdem er dem Krieger- und Soldatenverein verboten hatte, mit einer Kanone zu schießen. Auf den Einwand, es sei ein alter Brauch, zu Ehren eines verstorbenen Kriegers zu böllern, entgegnete er: "'s Nasenbohren ist auch ein alter Brauch!" In einem Land, in dem Lüngerl und Blutwürste Delikatessen sind, liegt es nahe, dass auch die Innereien der Nase Interesse hervorrufen. So mancher Nasenbohrer pflegt die sogenannten Nasenrammel, auch Popel genannt, zu verzehren. Die Mehrheit will dabei nicht beobachtet werden. Nur der Bundestrainer Jogi Löw vergisst manchmal, dass alle Kameras auf ihn gerichtet sind. Nicht zu Unrecht trägt er den Ehrentitel Bundes-Popler. Auch Politiker entschwinden bei länglichen Debatten mit dem Finger in der Nase gerne in die innere Versenkung. Zur Schonung hiesiger Abgeordneter sei ersatzweise auf den letzten Zaren Nikolaus II. verwiesen, dessen Berater Pobedonoszew erzählte, der hohe Herr habe beim Bohren in der Nase völlig die Umgebung vergessen.

Die Materie, ein klimaneutraler Schleim, wird mit Vorliebe unter Sofas und Sitze geklebt, als "eine Art verstecktes Design", wie es ein Nasenbohrer elegant formuliert hat. Aggressionshemmend sind die Nasenrammel jedoch nicht. In hiesigen Schulen war es, als die Jugend noch nicht unter dem Joch des Smartphones stand, im Unterricht guter Brauch, die weichen Nasenrammel dem Vordermann ins Genick zu schmieren. Aus Gendersicht sei angemerkt: Die Mädchen waren schlimmer als die Buben.

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