Süddeutsche Zeitung

Unter Bayern:Schändliche Missetat

Ein Reliquiendiebstahl ist verwerflich, das steht fest. Noch dazu zu diesem Zeitpunkt. In Regensburg haben Diebe wahrlich unheilig gehandelt. Es sei denn, sie hätten einen wirklich guten Grund. Bauchschmerzen, zum Beispiel

Glosse von Katja Auer

Es gibt Dinge, die haben ihre Zeit, der Pilzkopf etwa oder der Ballonseide-Jogginganzug. Und selbst wenn Schallplatten jetzt wieder angesagt ist, so ist das doch ein Revival.

Auch die Kriminalität folgt den Zeichen der Zeit, heutzutage würde kaum jemand ein Salzschiff auf dem Inn überfallen. Was im 13. Jahrhundert ein lukratives Geschäft gewesen ist, lohnt nicht mehr, seit Salz billig zu haben ist. Oder Münzfälscherei. Die Manipulation von Gewichten beim Getreidehandel. Alles irgendwie aus der Mode gekommen.

Internet-Betrug findet sich jetzt in der Kriminalitätsstatistik oder der fiese Enkeltrick. Geradezu aus der Zeit gefallen erscheint daher die Untat, die dieser Tage in Regensburg begangen wurde. Diebe haben aus der Kirche St. Wolfgang Reliquien des Heiligen gestohlen; dazu brachen sie die sterblichen Überreste brachial aus dem Hochgrab heraus. Ganz und gar schändlich ist das, selbst wenn einer das Fegefeuer nicht fürchtet, und angesichts des Zeitpunkts war da entweder jemand total ahnungslos oder sehr bewandert im Heiligenkalender und damit gänzlich skrupellos. Denn am Samstag wird das Hochfest des heiligen Wolfgang begangen. Das wäre ein trauriges Fest an einem geschändeten Grab, sodass nun der Regensburger Bischof höchstpersönlich aushilft und der Kirchengemeinde ein Stückchen vom Schädel des Heiligen vorbeibringt, das sonst in der bischöflichen Privatkapelle verwahrt wird.

Der heilige Wolfgang ist der Patron Regensburgs und einer von vielen Vorgängern Rudolf Voderholzers, im Jahr 972 wurde er Bischof von Regensburg. Er führte ein einigermaßen bewegtes Leben, inklusive ein paar Jahren als Einsiedler am österreichische Wolfgangsee, der genau deswegen so heißt. Er erzog den späteren Kaiser Heinrich II. und soll gar den Teufel überlistet haben, in Überlieferungen ist von seiner Menschenfreundlichkeit und Güte die Rede. Ein beeindruckender Kerl offenbar, dessen Hilfe Gläubige bei allerlei Krankheiten erflehen.

Es könnte natürlich sein, dass die Diebe darüber wussten und besonders starke Bauchschmerzen hatten, Fußleiden oder gar die Ruhr. Den Diebstahl also aus medizinischen Gründen begingen. Das allerdings widerspräche wiederum völlig dem Zeitgeist.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2020
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