Unter Bayern:Frühling im Hinterhof

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Bald ist es so weit: Die brasilianische Eisdiele öffnet wieder, ein untrügliches Zeichen, dass der Winter zu Ende geht

Kolumne von Sebastian Beck

Wer das Glück hat, in einer alten Lederhosennäherei zu wohnen, der darf sich über interessante Nachbarn freuen. Das fängt schon damit an, dass oben auf dem Dachboden, genau über dem Bett, die Marder hausen. Nachts poltern sie übers Blechdach, dann steigen sie illegal ins Haus ein und liefern sich Verfolgungsjagden. Brüllt man ihnen durch die Speicherklappe Verwünschungen zu, wird es augenblicklich still, man glaubt aber, ein leises Kichern im Dunkeln zu hören. Unten residieren ein Tattoostudio, eine Polsterwerkstatt, ein Matratzenstudio und eine Hobby-Motorradwerkstatt. Um die Ecke ist der Caritas-Laden, in dem man sich bei Bedarf für fünf Euro eine gebrauchte Pfanne besorgen kann.

Vor ein paar Wochen stand im alten Schaufenster der Lederhosennäherei plötzlich ein Poster von Muhammad Ali, was gewisse Vorahnungen, um nicht zu sagen Befürchtungen weckte. Sie wurden insofern bestätigt, als dass ein paar Tage später sich ein junger, gut trainierter Herr vorstellte und sinngemäß sagte: "Wenn Du willst, kann ich Dir auch eine reinhauen." Die Antwort des Hinterhofmieters lautete: "Das wäre schlecht, weil ich der Nachbar bin." Er: "War fei nur Spaß, Alter." Seitdem herrscht gutes Einvernehmen. Das neue Boxstudio passt in die Nachbarschaft und vergrault anscheinend auch Marder auf dem Dachboden.

Um langsam aber zum eigentlichen Thema dieser Kolumne zu kommen: Am Eingang zur Hinterhof-Community dämmert seit November eine Eisdiele vor sich hin. In diesem Monat packen die Eisverkäufer jedes Jahr ihre Koffer und fliegen für drei Monate in ihre Heimat nach Santa Catarina in Südbrasilien. Dort liegen sie nach eigenem Bekunden die ganze Zeit über am Strand und laden sich auf wie Elektroautos am Supercharger. Der Hinterhof dagegen fällt in diesen Monaten ohne Brasilianer in eine Art depressive Winterstarre. Noch gut eine Woche, dann werden sie wieder kommen, zum Glück. Es ist das sicherste Zeichen, dass im Hinterhof der Frühling bevorsteht. Anfangs trauen sich die Brasilianer nur in Daunenjacken vor die Tür, als ob sie am Südpol gelandet wären. Aber spätestens Anfang März, das lehrt die jahrelange Erfahrung, sind sie akklimatisiert. Dann ist der Winter vorbei, und alles wird gut.

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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