Unter Bayern:f'(x) = ∑100% [(10≤12)⁵ + (2019-π)]

Was Mathe eigentlich fürs Leben bringt? Das ist die falsche Frage

Kolumne von Nadeschda Scharfenberg

Zwei Goldfische wandern durch die Wüste. Der eine ist grün, der andere dünn. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Sand bei Regen nach Lebkuchenherz riecht?

So war das doch, das bayerische Mathe-Abitur. Absolut unlösbar! Und überhaupt: Diesen Quatsch braucht man nie wieder. Die Wahrscheinlichkeit, in dieser Woche in eine Diskussion über den Sinn der höheren Stochastik und Analysis im Schulunterricht verwickelt zu werden, lag jedenfalls bei hundert Prozent, wobei zehn Teilnehmer mindestens zwölf Meinungen hervorbrachten, in Zahlen ausgedrückt: f'(x) = ∑100% [µ (10≤12)⁵ + (2019 - π)] oder so ähnlich.

Häufigster Satz der Mathe-Gegner: Das bringt doch nichts fürs Leben. Gegenfrage: Bringt es was fürs Leben, zu wissen, dass Liudolfinger und Ottonen ein und dasselbe sind? Dass dis-moll die Paralleltonart von Fis-Dur ist oder dass Hochofen auf Englisch blast furnace heißt? Und muss man wirklich den Schwänzeltanz der Bienen aufmalen können? Anders gefragt: Wo hört Allgemeinbildung auf, wo fängt Fachwissen an? Und, Grundsatzfrage aller Grundsatzfragen: Bedeutet Schulbildung nur die Anhäufung (und das Vergessen) von faktischem Wissen oder geht es auch um das Lernen von Denkweisen, um die Bildung von Synapsen im Hirn?

Rein vom Alltagsnutzwert her - Überschlagen an der Supermarktkasse, Pizza an drei Leute verteilen - könnte man Mathe spätestens nach der Unterstufe auch weglassen (oder nur noch jene damit belästigen, die das mal beruflich nutzen wollen). Sollte man aber nicht. Die Antwort auf die Wozu-brauche-ich-das-Frage ist: Um das Hirn zu trainieren! Um abstraktes Denken zu lernen! Um zu begreifen, dass oft mehrere Wege zum Ziel führen! Um sich in Geduld mit sich selbst zu üben, wenn man erst mal gar nichts versteht! Um zu erkennen, dass große Lösungen manchmal kleine Schritte brauchen!

Insofern ist es ein Schmarrn, den Schülerinnen und Schülern durch pseudo-lebensnahe Textaufgaben vorzugaukeln, dass die höhere Mathematik für den Alltag "was bringt". Das lenkt nur vom Wesentlichen ab, nämlich dass Mathe vor allem Denksport ist. Goldfische, Sand und Lebkuchenherzen gehören ins Goldfischglas, in die Wüste, aufs Volksfest und nicht ins Mathebuch.

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