Unter Bayern:Die Übel eines Miggajahres

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Die Altvorderen hätten vielleicht eine Erklärung, warum dieses Jahr nicht so recht gelingen will. Aber wenigstens ist bald Palmsonntag, da kann ein Mauzerl schlucken, wen es kratzt im Hals

Kolumne von Hans Kratzer

Hätte unser Großvater die Corona-Krise noch erlebt, dann wäre er jederzeit in der Lage gewesen, die Wurzel dieses Unglücks zu benennen. Die Not sei vorherbestimmt, würde er allen erklären, die es hören wollen oder nicht, "ein Miggajahr taugt nix!" Wirft man einen Blick auf den Kalender, muss man ihm tatsächlich zustimmen. Ein Miggajahr beginnt nämlich an einem Mittwoch, und das war heuer unbestreitbar der Fall. Aber nicht nur der erste Tag des Seuchenjahrs 2020 war ein Mittwoch. Auch der April hat soeben an einem Mittwoch begonnen. Ein "Miggamonat" nimmt nach alter Überzeugung des Großvaters ebenfalls ein böses Ende. Ganz zu schweigen davon, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Corona-Epidemie am 11. März, einem Mittwoch, zu einer Pandemie ausgerufen hat.

Die Altvorderen fürchteten den Mittwoch als Unglückstag viel mehr als den Freitag. Deshalb feierten sie ihre Hochzeiten immer nur an Dienstagen und Donnerstagen. Der Mittwoch blieb den "gefallenen Mädchen" vorbehalten, jenen also, die ihre Jungfräulichkeit verloren hatten, ohne verheiratet zu sein. Solche Vorstellungen herrschten zu Zeiten, in denen Seher wie der Mühlhiasl dem noch nicht gänzlich aufgeklärten Volk die Rätsel der Welt erklärten. Der Waldprophet, der vor 200 Jahren gelebt haben soll, wird auch in der jetzigen Krise wieder häufig zitiert. Beim Einkaufen etwa, wo man sich in 1,50 Meter Abstand dessen Orakel zuraunt. Dass eine Zeit komme, in er die Welt abgeräumt und die Menschen wieder weniger werden, solche Sachen hat er prophezeit. In der Trostlosigkeit der Quarantäne beeindrucken derlei Sprüche Fantasiebegabte natürlich mehr, als es die Verbotsrhetorik der Politiker vermag.

Nun steht aber erst einmal der Palmsonntag ins Haus, ein Festtag, dessen Brauchtum schon zu Mühlhiasls Zeiten populär war. Vielleicht schützt es sogar ein bisserl vor Corona. Gegen aufkeimendes Halsweh hatte der Palmsonntag einiges zu bieten. Weil die geweihten Palmbuschen, die dem Vieh helfen sollen, auch dem Menschen nicht schaden können, schluckt so mancher bei Halsweh selber ein silbergraues Mauzerl vom Palmbaum. Man darf dabei keinesfalls zimperlich sein. Leider rutschen die pelzigen Mauzerl nur qualvoll den Hals hinunter.

© SZ vom 04.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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