Unter Bayern:Die Qualen der Mannwerdung

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Selbst eine nette Französisch-Referendarin hilft nicht, wenn das Gehirn des männlichen Nachwuchses voll im Umbau ist, wie die schwache Erinnerung daran beweist

Kolumne von Sebastian Beck

Wer als Journalist an Schulen ab und zu Workshops gibt und darüber redet, wie spannend Journalismus sei, der stößt immer wieder auf ein Phänomen: In den Jahrgangsstufen acht bis zehn werden angehende Männer von einer Art Schlafkrankheit heimgesucht. Manchmal pennen gleich drei nebeneinander mit dem Kopf auf dem Tisch. Dozenten sollten das nicht persönlich nehmen, denn es kommt in den besten Gymnasien vor. Beim Besuch einer digitalen Vorzeigeschule in Oberbayern mit digitalem Vorzeigeunterricht an einem Vorzeigewhiteboard, da schlief hinten einmal eine ganze Viererreihe. Die Burschen wachten nur kurz auf, um ihre Vierer und Fünfer in der Schulaufgabe entgegenzunehmen, dann fielen sie wieder in Ohnmacht. In solchen Gehirnen findet eine Umbaupause statt, ähnlich wie in einem Theater, in dem von Biene Maja auf Samuel Beckett umgestellt wird.

Der Vorzeigelehrer sagte noch, er wünsche seinen jungen Kerlen, dass sie ein Jahr lang vom Unterricht befreit würden, um irgendetwas Praktisches zu lernen. Zum Beispiel, wie man einen Dachstuhl aus Holz baut oder eine Zylinderkopfdichtung austauscht. Jedenfalls sei es eine Folter für Halbwüchsige, die Pubertät in der letzten Reihe absitzen zu müssen. Leider aber nehme das bayerische Schulsystem auf junge Männer keinerlei Rücksicht. Das weckte Erinnerungen an den eigenen Französischunterricht: Damals stand eine nette Referendarin an der Tafel. Sie redete irgendwas von "Piéton de l'air", der Rest ist Dunkelheit: Alle Vokabeln gingen im ausgedehnten Nachmittagsschlaf verloren.

Der Weg zum erwachsenen Mann ist weit und steinig, manchmal auch im Wortsinne. Am Montag rief der Sohn am Handy an: Er und sein Spezl stünden mit dem Auto am Arsch der Welt, genauer gesagt an der Grenze von Georgien zu Aserbaidschan. In der Ölwanne klaffe ein Riss, das nächste Dorf liege etwa fünf Stunden Fußmarsch entfernt. Was er jetzt tun könne? Die Antwort des weisen Vaters war ganz einfach: Er muss die Ölwanne schweißen und ein paar Liter Öl nachfüllen. Dann läuft die Karre wieder wie geschmiert. Das bayerische Schulsystem hat die Abiturienten darauf nicht vorbereitet, sie haben es ein paar Tage später aber auch so irgendwie hinbekommen.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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