Unter Bayern:Die Heiligen und die Scheinheiligen

Wer katholisch erzogen worden ist, der weiß, dass Reden und Handeln nicht deckungsgleich sind

Von Katja Auer

Wer eine katholische Erziehung durchlebt hat, auf dem Land zum Beispiel - und das muss noch keine 50 Jahre her sein -, der erinnert sich womöglich an diese Momente aus der Kindheit. Diesen Schreck, der durch und durch geht, Millisekunden nach dem Biss in ein Brot mit Gelbwurst drauf. Oh nein, vergessen, es ist Freitag, da ist Fleisch verboten!

Dem Herrgott wird sie ziemlich sicher wurscht sein, die Sache mit der Gelbwurst, aber das weiß das Kind noch nicht, das aufwächst unter dem Blick von Nachbarn und Verwandtschaft, nach den Regeln von Kirchen- und Bauernjahr. Sonntags in die Kirche, freitags kein Fleisch, geflucht wird nicht, geschwindelt auch nicht, und wenn doch, dann muss man beichten. Später merkt das Kind, dass die fromme Nachbarin, die immer vorne dran steht beim Kuchenbuffet am Pfarrfest, über den allseits beliebten Mesner herzieht, der sich zwar tadellos um die Kirche kümmert, aber halt mit einer geschiedenen Frau verheiratet ist. Und dass ein paar Männer zwar den Hut ziehen vor der Kirchentür, aber nicht hineingehen, sondern gleich weiter ins Wirtshaus.

Die Summe solcher Erlebnisse führt unweigerlich zur Erkenntnis, dass Reden und Handeln nicht zwingend deckungsgleich sind bei allen Leuten. Und dass eine Mitgliedschaft beim katholischen Frauenbund, ja nicht einmal bei Gottes offiziellem Bodenpersonal oder beim katholischen Männerverein Tuntenhausen, automatisch zur Heiligkeit führt.

Scheinheiligkeit wiederum ist ungleich schneller zu erlangen. Mal angenommen, zwei Bewerber wollen Feuerwehrkommandant werden und versichern, dass sie überhaupt nicht grantig sein würden, wenn's doch der andere wird, freilich nicht. Und hernach stänkert der Unterlegene, dass der neue Kommandant zwar mit dem alten Spritzenwagen von anno 1928 ganz gut umgehen könne, dem modernen TLF 5000 aber wahrlich nicht gewachsen sei. Oder, noch ein Beispiel, im Vorstand vom Gartenbauverein sind sich alle einig darüber, dass es heuer kein Streuobstwiesenfest geben soll. Und dann erzählt der Vize herum, dass er unbedingt ein solches Fest veranstalten will, ganz klar. Widersprüchlich mindestens, oder halt scheinheilig. Aber das sagt man nicht. Weil man es halt nicht sagt.

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